Chronik für das Jahr 1950

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2. Juli 1950

Mit George Bizets Oper "Carmen" schloß die Theater-Spielzeit 1949/50. Gleichzeitig endete mit ihr die künstlerisch bedeutende vierjährige Intendanz Fritz Lehmanns und einer wichtige Epoche Göttinger Theatergeschichte. Nach dem Beschluß des Rates soll künftig aus Sparsamkeitsgründen die Oper fortgefallen, nachdem gerade dieses Jahr die 30 jährige Wiederkehr ihrer Aufnahme in den laufenden Göttinger Spielplan gebracht hat. Die Stimmung in der Bevölkerung ist in dieser Frage des Ausfalls der Oper geteilt, doch sind gewichtige Stimmen vorhanden, die diese für das Theater einer Universitätsstadt für unentbehrlich halten, zumal Göttingen von jeher eine musikfrohe Stadt ist, und die Oper unter der künstlerischen Leitung des Intendanten Lehmann eine hier bisher unbekannte Höhe erreicht hatte. Im Februar und März dieses Jahres war versucht worden, durch Auslegung von Unterschriftenlisten die Erhaltung der Oper zu erreichen. Viele Tausende Göttinger haben sich in diese Listen eingetragen, ohne daß die Erhaltung des Opernspielplanes und Opernensembles ermöglicht werden konnte. In den beiden letzten Wochen der Spielzeit wurden - gewissermaßen als Abschluß - fast nur Opern gegeben, die ständig ausverkaufte Häuser erzielten. Der Beifall des Publikums war bei diesen Vorstellungen von demonstrativer Stärke, nach der heutigen "Carmen"-Aufführung dauerte der eine volle Stunde - etwas, das in der Göttinger Theatergeschichte bislang noch niemals sich ereignet hat!

5. Juli 1950

Die Personn-Mädchen-Mittelschule weihte ihr auf dem Lohberg gelegenes Waldheim ein. Die geldlichen Mittel kamen im vorbildlicher Opferfreudigkeit durch Schülervorstellungen und Kartenverkäufe zusammen, die erforderlichen 6000 Mauersteine hatten die Schülerinnen selbst auf den Lohberg gefahren.

8. Juli 1950

Heute und morgen fand unter der Schirmherrschaft des Bundesverkehrsministers Dr. Seebohm ein von der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Landesverband Niedersachsen und Bremen, veranstaltetes großes Sudetendeutsches Treffen in Göttingen statt, das Tausende von Fremden hierher führte, insgesamt nahmen 15.000 sudetendeutsche Heimatvertriebene an dem Treffen teil. Nach Arbeitstagungen und verschiedenen landsmannschaftlichen Heimatabenden, Festgottesdienst in der St. Michaelskirche und Empfang der Ehrengäste in der Rathaushalle, brachte der Sonntag den Höhepunkt in Gestalt eines imposanten Festzuges und einer Großkundgebung auf dem Schützenplatz, bei der auch Bundesminister Dr. Seebohm sprach.

In Korea wütet seit einiger Zeit ein Krieg zwischen kommunistischen nordkoreanischen und südkoreanischen, von den Vereinigten Staaten von Nordamerika und den Vereinigten Nationen unterstützten Truppen. Die Möglichkeit eines übertragenen Übergreifens dieses Konfliktes zwischen Sowjet-Rußland samt den von ihm beeinflußten Ländern und den Weststaaten mit ihren Verbündeten auf Europa wird vielfach diskutiert. Überängstliche und hysterische Personen glauben sogar, es könne zu einem Einmarsch sowjetischer Truppen aus der benachbarten russischen Besatzungszone nach Göttingen kommen. Die Folge solcher völlig sinnloser Ansichten sind allerlei Panikgerüchte, die in der Stadt laut werden und Angstkäufe. Von manchen wird schon wieder "gehamster". Vor einigen Geschäften gab es auch schon wieder "Schlangen" anstehender Hausfrauen. Gewisse Lebensmittel, wie Zucker und Öl, waren daher bald ausverkaufte, so daß einzelne Kaufleute dazu übergingen, sollte Waren nur mehr an Kunden auszugeben. In den Zeitungen wurden diese vollkommen unbegründeten und unsinnigen Gerüchte und Käufe mit Recht als "grober Unfug" gebrandmarkt.

13. Juli 1950

Die Feuerwache II der Berufsfeuerwehr (insbesondere Krankentransport und Unfalldienst) ist von Reinhäuser Landstraße 2 in die ehemalige Langemarck-Kaserne in der Geismar Landstraße verlegt worden. Dort bieten die großen Gebäude und Garagen geeignetere Unterbringung für den zahlreichen Wagenpark. Später sollen auch die Fahrzeuge der Wache I am Ritterplan hierher verlegt werden.

14. Juli 1950

Die Felix-Klein-Oberschule beging vom 14. bis 16. Juli ihr 60 jähriges Bestehen durch verschiedene Veranstaltungen. Das 25 jährige Jubiläum konnte wegen des Ersten, das 50 jährige (1940) wegen des Zweiten Weltkrieges nicht gefeiert werden. Daher nahm man die 60. Wiederkehr der Gründung zum Anlaß des Gedenkens. Eine große Zahl ehemaliger Lehrer und Schüler hatten sich dazu eingefunden.

Die Staats- und Universitäts-Bibliothek ist mit einer Million Bände die größte wissenschaftliche Bibliothek der westdeutschen Bundesrepublik. Sie hat aber in schwerster Weise finanziell zu kämpfen. Der Vermehrungsetat, von dem auch noch die Buchbinderarbeiten zu bestreiten sein sollen, ist vom Niedersächsischen Landtag auf ganze 50.000 DM festgesetzt worden. Für die Städtische Bücherei in Göttingen mit 20.000 Bänden beträgt der gleiche Etatposten 30.000 DM! Angesichts eines solchen, die weitere fruchtbringende Existenz des Instituts völlig in Zweifel stellenden Etats hat der Direktor, Professor Dr. Dr. Hartmann, sein Amt zur Verfügung gestellt.

Der Rat beschloß den städtischen Haushaltsplan 1950. Trotz aller Sorgfalt ist es nicht möglich gewesen, ihn in Einnahme und Ausgabe auszugleichen, es wird etwa eine Million DM Defizit entstehen. Den städtischen Dienststellen ist daher allerstrengste Sparsamkeit anbefohlen worden.

15. Juli 1950

Im Garten der "Kammerspiele", Hospitalstraße 1, ist heute ein Freilichtkino mit 600 Plätzen eröffnet worden, das erste in Westdeutschland.

Der Sportbund Niedersachsen, Fachverband Leichtathletik, trug am 15. und 16. Juli hier die Niedersächsischen Jugend-Leichtathletik-Meisterschaften aus.

16. Juli 1950

Das Max-Planck-Institut für Strömungsforschung beging in einer Feier das 25 jährige Bestehen. Der Festakt fand - symbolisch - in der leeren Halle des einstigen, 1945 auf Befehl der Besatzungsmächte demontierten großen Windkanals statt.

Nach dem üblichen Kommers am Vorabend begann heute Nachmittag mit einem großen Umzug das traditionelle Schützenfest, dem sich in der folgenden Woche das althergebrachte Volksfest anschließen wird. Die Besatzungsbehörde hat kurz vor dem Fest das Schießen mit Kleinkalibern wieder erlaubt, so daß von jetzt ab nicht mehr, wie bisher nach 1945, mit der Armbrust geschossen zu werden braucht.

17. Juli 1950

Ratsherr Ellermeier (früher Kommunistische Partei Deutschlands, seit seinem Ausschluß aus der Partei unabhängig) hat sein Mandat niedergelegt.

Der Rat beschloß, das Haus Nikolausberger Weg 22/24 anzukaufen und es durch kleinere Umbauten zu einer sechsklassigen Volksschule umzubauen. Dadurch soll die stark überbelegte Albanischule erneut entlastet werden.

18. Juli 1950

700 Studenten brachten dem verdienten Chirurgen, Professor Dr. Stich, am Vorabend seines 75. Geburtstages nach altem akademischem Brauch einen Fackelzug.

19. Juli 1950

Heute Nachmittag wurde auf dem "Schützenhof" der neue Schützenkönig ausgerufen: Kaufmann Wilhelm Heise.

Bei den Ausschachtungsarbeiten für die unterirdische Bedürfnisanstalt sowie ein unterirdisches Elektrizitäts-Umschaltwerk zwischen Rathaus und St. Johanniskirche ist außer einer großen Zahl von Begräbnisstätten des einstigen Johanniskirchhofs - zum Teil in mehreren Lagen übereinander - die ursprüngliche Friedhofsmauer, bei den Ausschachtungsarbeiten zum Neubau der künftigen Ladenstraße auf dem Grundstück des bisherigen Hotels "Zur Krone" zwischen Weender und Gotmarstraße sind mittelalterliche Gefäße gefunden worden.

Der alte, zumal im früheren Göttinger Studentenleben bedeutende und weithin berühmte Ausflugsort Mariaspring bei Bovenden, neuerdings wiederhergestellt, feierte sein 150 jähriges Bestehen.

22. Juli 1950

Im ehemaligen Geschäftshaus Gräfenberg, Weender Straße 19, eröffnete die große Kasseler Bekleidungsfirma Hettlage ein Göttinger Unternehmen.

23. Juli 1950

Mit einem feierlichen, durch die Darbietung der Bach-Kantate Nr. 187 bereicherten Festgottesdienst in der überfüllten St. Johanniskirche, bei dem der derzeitige Rektor der Universität, Professor Dr. Trillhaas, Liturgie und Predigt hielt, wurden die Veranstaltungen des Westdeutschen Bach-Festes 1950 eingeleitet.

Der Anlaß dieses Festes ist die 200. Wiederkehr des Todestages Johann Sebastian Bachs am 28. Juli. Die durch die politischen Verhältnisse der Nachkriegszeit geschaffene Zerreißung Deutschlands in einen Ost- und einen West-Teil hat sehr bedauerlicherweise die Abhaltung eines allgemein-deutschen Bachfestes in Leipzig unmöglich gemacht. So wird daher in Leipzig eine von der Regierung der Deutschen Demokratischen Volksrepublik inaugurierte große Feier, für den Bereich der Deutschen Bundesrepublik aber eine ebenfalls repräsentative Veranstaltung in Göttingen stattfinden. Bundespräsident Professor Dr. Theodor Heuss, hat die Schirmherrschaft über das Göttinger Bach-Fest übernommen, wodurch die Bedeutung des Festes dokumentiert ist. Die Wahl unserer Stadt erfolgte nicht zuletzt in Hinsicht darauf, das hier in Generalmusikdirektor Fritz Lehmann einer der hervorragensten deutschen Bach-Interpreten zur Verfügung steht.

An den Festgottesdienst schloß sich in der Rathaushalle die offizielle Begrüßung der geladenen Gäste durch Oberbürgermeister Föge namens der Stadt und Ministerpräsident Kopf für das Land Niedersachsen an. Der Herr Bundespräsident hatte aus seinem Schweizer Ferienaufenthalt ein warmherziges Begrüßungstelegramm gesandt. Vizekanzler Blücher eröffnete im Namen und Auftrag des Bundespräsident sodann das Westdeutsche Bach-Fest Göttingen 1950 mit einer längeren Ansprache. Von ausländischen Ehrengästen sind vor allem zu nennen: Botschafter Davids von der kanadischen, Gesandter Kumlin von der schwedischen, Attaché Gerard von der belgischen Mission in Bonn, Herr Akses als Vertreter des türkischen Kultusministers und Mr. Biehl, der Beobachter des amerikanischen Hohen Kommissars in Niedersachsen.

Der feierlichen Eröffnung des Bach-Festes in der Rathaushalle folgte eine Besichtigung der von Erstem Bibliotheksrat Dr. Luther unter großen Schwierigkeiten zusammengestellten Ausstellung im Kunstmuseum der Universität am Theaterplatz. Diese Ausstellung bietet eine insgesamt 545 Nummern umfassende Schau von Bach-Dokumenten aller Art aus deutschen wie ausländischen Bibliotheken, Archiven, Kunstsammlungen und Privatbesitz und repräsentiert, zumal in den zahlreichen Autographen, einen großen wissenschaftlichen Wert.

Der Nachmittag brachte in der Aula der Universität das Festliche Eröffnungskonzert, der Abend in St. Marien ein Orgelkonzert. Eine Versammlung der Neuen Bach-Gesellschaft, Vorträge "Bachs Kunst in der Entwicklung des abendländischen Geistes" (Professor Dr. Gerber-Göttingen), "Johann Sebastian Bach und der Gottesdienst seiner Zeit" (Oberlandeskirchenrat Dr. Mahrenholz-Hannover), "Der weltliche Bach" (Professor D. Smend-Berlin), "Johann Sebastian Bach - der Kantor" (Professor Dr. Gurlitt-Freiburg), eine Gedenkfeier in St. Johannis am Todestag des Meisters (Gedenkrede: Landesbischof D. Dr. Lilje-Hannover) waren an den folgenden Tagen umrahmt von Motetten und Orgelkonzerten in der Marienkirche, Kammermusiken in der Aula, einer Aufführung der Orgelmesse wie zweien der Hohen Messe in St. Johannis. Am Sonntag dem 30. Juli predigte im Festgottesdienst in der Johanniskirche Landesbischof Erdmann-Braunschweig.

Namhafte Solisten aus Deutschland und dem Ausland waren die Ausführenden, die künstlerische Gesamtleitung hatte Generalmusikdirektor Fritz Lehmann-Göttingen. Aus allen Teilen der Bundesrepublik waren zahlreiche Gäste gekommen. Das Straßenbild Göttingens war während der ganzen Woche durch die vielen Fremden bestimmt, die allabendlichen Anstrahlungen des Rathauses wie der Türme von St. Johannis und St. Jacobi trugen nicht zuletzt dazu bei, der Stadt ein festliches Gepräge zu geben.

Professor Dr. Martius, Direktor der Universitäts-Frauenklinik, ist von der Spanischen Gynäkologischen Gesellschaft in Mattiat sowie von der Sociedade Brasileira de Ginecologia in Rio de Janeiro zum Ehrenmitglied gewählt worden.

26. Juli 1950

In der Jahreshauptversammlung des Göttinger Universitätsbundes wurde der Rücktritt des bisherigen Vorsitzenden, Professor Dr. Nohl, bekannt gemacht. Den Vorsitz übernimmt nunmehr Professor Dr. Raiser, derzeitiger Prorektor der Georgia Augusta.

Im Berichtsjahr 1949/50 wurden von Göttinger Professoren in Osnabrück, Celle und Lüneburg "Universitätswochen" veranstaltet, deren Hörerzahl sich auf rund 30.000 Personen belief. Die wirtschaftliche Lage des Universitätsbundes ist sehr schwierig, da die früher reichen Spenden von Städten, Industriellen und von anderen Stellen im niedersächsischen Raum heute fast ganz fortgefallen sind. Im Wesentlichen ist der Universitätsbund heute auf die Einnahmen aus den Beiträgen seiner Mitglieder angewiesen, konnte aber dennoch mehrere wissenschaftliche Institute geldlich fördern.

Der Weltkongreß der Musikbibliotheken wählte Dr. Wilhelm Martin Luther, Ersten Bibliotheksrat an der Niedersächsischen Staats- und Universitäts-Bibliothek Göttingen, als Vertreter Deutschlands in den vorläufigen Vorstand.

29. Juli 1950

Im Sitzungssaal des Rathauses hielt der Kulturausschuß des Deutschen Städtetages eine Sitzung ab.


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