Klebzettel, Logos und Abzeichen
Heinz
Lechte
war Malerlehrling und Fürsorgezögling und im Frühjahr
1933 im Arbeitslager Westerhof interniert. Er schrieb von dort eine
Karte an den KPD-Funktionär Gustav Kuhn, die im Rahmen der
Postkontrolle eine Haussuchung bei Gustav Kuhn im Rosdorfer Weg 12
auslöste. Die Karte sollte dem Führer des Arbeitslagers
Westerhof zugeleitet werden, um wegen der staatsfeindliche(n)
Haltung
Lechtes eingreifen zu können. Das von Lechte auf der Karte
aufgebrachte OTR
NTRFO
ist selbst für wenig geübte Scrabble-Spieler schnell
aufzulösen, das Hakenkreuz am Galgen spricht für sich.1
Diese Haltung, gerade junger Leute, erklärt sich natürlich
aus ihrer Unerfahrenheit. Aber auch erfahrenere Menschen wie Richard
Scharf,
ein Mündener KPD-Funktionär, waren mit den Regeln und dem
Umfang der Überwachung nicht vertraut. Scharf schrieb seinem
Bruder in das Göttinger Gerichtsgefängnis einen für
sich selbst kompromittierenden Brief, der ihn schließlich
ebenfalls in Schutzhaft brachte. (Richard
Scharf)
Eine halbwegs gute Vorbereitung auf die Illegalität und eine
Einübung von konspirativen Verhaltensweisen fand in Göttingen
nur beim ISK statt. (Vorbereitung
Illegalität)
Ein
Ausweichen auf neue Embleme war durchaus denkbar. So warnte der
Führer der SS-Gruppe Nord, SS-Brigadeführer Wittje, am 28.
Juli 1933 vor einem neuen KPD-Geheimabzeichen. (Dunkle
Stoffunterlage, Flügel und Kranz in goldener oder silberner
Stickerei (oder Blech), Fähnchen in Landesfarben).2
Wie
argwöhnisch das Tragen von Abzeichen und Emblemen beobachtet
wurde, machte ein Vorfall im November 1933 klar. Der Schuhmacher
Ernst
Seegers
wurde mit einem verdächtigen Abzeichen (Verdacht: Reichsbanner)
am 10. November auf der Groner Straße angetroffen. Er war in
Begleitung seines Freundes, des SS-Mannes Paul Schmitz. Das Abzeichen
wurde als eine Neuanfertigung des früheren
Reichsbanner-Abzeichens
identifiziert und von Seegers sofort abgegeben.3
Bei seiner Vernehmung Ende des Monats gab Seegers an, das
Abzeichen zusammen mit einer Schirmmütze 1932 in einem Geschäft
in Hannover gekauft zu haben.4
Die Nachfrage bei der Stapo-Stelle Hannover ergab allerdings, dass
das Abzeichen durchaus harmlos war. Die Stapo-Stelle wandte zudem
ein, exzessive Verdächtigungen wegen solcher Abzeichen könnten
obendrein
u.U. zu Schädigungen der Wirtschaft (Mützenabzeichenindustrie)
führen.5
Aufgrund einer Anzeige durch den SS-Mann Hans Lefevre vom Nachrichtendienst der NSDAP wurde August Hartmann aus dem Papendiek 23 am 14. November 1933 von der Ortspolizei vorgeladen. In seiner Wohnung sollte ein Leninbild hängen.6 Zwar war Hartmann früher kurzzeitig Mitglied der KPD, betrachtete sich aber nun ab März 1933 als Anhänger der NSDAP. Wegen der Harmlosigkeit des Vorgefallenen wurde er anscheinend nicht zur Rechenschaft gezogen. (Hartmann PDF)
Am 16. April 1934 wurden Klebzettel Rotfront lebt noch in der Größe von etwa 5 cm Durchmesser im Kleinbahnhof in der Lotzestraße und an einem Verkehrsschild am Jahnspielplatz aufgefunden. Weitere Ermittlungen bzw. Überwachungen blieben erfolglos.7 Vernommen dazu wurde am 4. Mai 1934 der Kunstmaler Emil Rothe, der angab, diese Klebzettel abgekratzt und weggeworfen zu haben. Der Buchhalter Walter Kruse gab zudem an, einen Klebzettel am 10. April beim Lindenkrug an einem Verkehrsschild gesehen zu haben. Es handelte sich dabei ebenfalls um einen kleinen Zettel mit der roten Aufschrift Rot Front lebt noch. Kruse ließ den Zettel vor Ort und informierte Ortsgruppenleiter Rothe, der den Zettel in Augenschein nahm.8
Erst Anfang März 1937 fiel einem Bewohner des Ebertals ein verdächtiges Zeichen an einem Telegrafenmasten auf. Der Parteigenosse Oswald Niebsch‚ der im Ebertal wohnte, zeigte bei der Ortspolizei ein kommunistisches Abzeichen - Hammer und Sichel - am zweiten Masten in der A-Reihe an. Die Ermittlungen ergaben, dass Hammer und Sichel schon seit Jahren dort angebracht waren. Die Farbe war allerdings schon stark verwittert, sodass das Zeichen kaum noch wahrnehmbar war.9
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Quellen
Anfragen und Beobachtungen über Personen in politischer Hinsicht: Personenbeobachtung. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 31a, Nr. 14.
KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir., Fach 155, Nr. 1a.
Schutz des deutsche Volkes: Schutzhaft, Vorbeugungshaft, Anzeigen. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir., Fach 31a, Nr. 2, Bd. 2.
Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik: Schutzhaft. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir., Fach 31a, Nr. 2, Bd. 1.
1Anfragen und Beobachtungen über Personen in politischer Hinsicht, S. 26-26v, Ermittlungen zu dem Lehrling Heinz Lechte wegen kommunistischer Umtriebe, 1.6.1933.
2KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 15, SS-Gruppe Nord, Altona, 28.7.1933: KPD-Geheimabzeichen.
3Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik, S. 309-309v, 10.11.1933, Untersuchung wegen eines verdächtigen Abzeichens an der Mütze des Schuhmachers Ernst Seegers.
4Ebenda, S. 311-311v, 30.11.1933 - Vorladung und Bericht: Untersuchung wegen eines verdächtigen Abzeichens an der Mütze des Schuhmachers Ernst Seegers.
5Ebenda, S. 312, Antwort aus Hannover, 8.12.1933: Untersuchung wegen eines verdächtigen Abzeichens an der Mütze des Schuhmachers Ernst Seegers.
6KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 270–272v, Vorladung August Hartmann, 14.11.1933.
7Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik, S. 347-347v, Anzeige Lichtenberg (Pol.), Anbringung von Klebzetteln "Rotfront lebt", 20.04.1934.
8Ebenda, S. 348-348v, Vernehmungen von Emil Rothe und Walter Kruse wegen der Klebzettel "Rotfront lebt noch", 4.5.1934.
9Schutz des deutsche Volkes, S. 10v, Logo KPD im Ebertal, Bericht Spindler 1. März 1937.
Rainer Driever