ISK - Beginnende Widerstandstätigkeit
Die Neuorganisation und Tätigkeit des ISK ab dem Frühjahr 1933 werden an dieser Stelle dargestellt, um den Hintergrund der Widerstandstätigkeit in Göttingen zu beleuchten. Die Ausführungen dazu bleiben deswegen kursorisch.
Der Bundesvorstand berief zu Ostern 1933 (Mitte April) Vertreter der einzelnen Ortsgruppen zu einer illegalen Tagung nach Berlin, an der 20 Funktionäre teilnahmen. Unter ihnen waren auch Max Mayr aus Kassel und Fritz Körber aus Göttingen.1 Nach dem endgültigen Verbot der Zeitschriften und Organisation des ISK ging man daran, eine illegale Organisation zu schaffen, die die politische Arbeit unter den veränderten Bedingungen weiterführen konnte. Zudem wurde eine Organisation gegründet, die in der Tradition der Bemühungen um eine Einheitsfront gegen den Nationalsozialismus bemüht war, bislang politisch oder gewerkschaftlich nicht organisierten Regimegegnern die Möglichkeit zu verschaffen, den illegalen Kampf gegen den Faschismus aufzunehmen. Diese zweite Organisation wurde später unter dem Namen Unabhängige sozialistische Gewerkschaft (USG) bekannt.2
Die zweite Konferenz fand vom 10. - 14.8.1933 in Saarbrücken statt. Willi Eichler machte sich Sorgen um die Form seiner Funktionäre: (…) Angesichts der tatsächlich vorhandenen Schwierigkeiten der erwähnten Art muss mindestens der Ff (Funktionärs)-Körper über die Bereitwilligkeit der Mitarbeit hinaus wesentlich mehr an Wagemut besitzen als in der Augustversammmlung in S. zum Ausdruck kam.3
Geplant wurde vom ISK nun in „langer Perspektive“. Der Aufbau von illegalen Fünfer-Gruppen im Laufe des Jahres 1934 wurde beschlossen. Dieses System sollte auf eine breitere Basis gestellt werden, was bedeutete, dass auch Antifaschisten, die nicht dem ISK angehörten, aufgenommen werden sollten. Diese sollten zusammen mit ISK-Genossen in den bereits in Berlin beschlossenen USG-Gruppen arbeiten. Die Konferenz in Saarbrücken hatte noch ein anderes, richtungweisendes Ergebnis. Willi Eichler war es gelungen, bei einer Zusammenkunft mit dem Generalsekretär der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF), Edo Fimmen (Deckname Lang)‚ eine enge Zusammenarbeit zwischen dem ISK und der ITF zu vereinbaren. Eine gemeinsame Flugblatt-Aktion wurde gestartet. Die ITF hatte bereits vor dieser Vereinbarung unter dem Titel Berlin, im August 1933 ein Flugblatt in Deutschland verbreitet, das zur Sammlung der geschichtlich fortschrittlichen Kräfte sowie der Arbeiterklasse unter den Fahnen des revolutionären Marxismus aufrief. (Sozialistische Erneuerung gegen den Faschismus, Berlin im August 1933)4
Die Organisation wurde neu aufgebaut. Im Herbst 1933 wurden von den Funktionären eine Anzahl von Verhaltensmaßregeln für die illegale Arbeit entworfen. Diese wurden Edo Fimmen per Kurier zugesandt, der sie unter dem Namen Willst du gesund bleiben? drucken ließ. (Willst du gesund bleiben? PDF) Danach wurden von Willi Eichler, René Bertholet und Edo Fimmen die Richtlinien für die gemeinsame Arbeit zwischen ISK und ITF festgelegt.5
Ab dem Oktober 1933 erschienen die Neuen politischen Briefe, die ab März 1934 als Reinhart-Briefe (Reinhart-Brief vom April 1935 PDF) verfasst und in Deutschland illegal verteilt wurden. Der Name stammt vom Pseudonym, mit dem Eichler die Flugblätter zu unterzeichnen pflegte.6 Ab April 1934 erschien jeden Monat ein Reinhart-Brief.7 (ISK Verbindungswege)
1935 konnte Eichler im März berichten, dass unsere deutschen Freunde (…) in bezug auf den Organisationsplan in der gleichen Richtung wie bisher arbeiteten. Die Verbindung untereinander und zu uns außerhalb Lebenden wird nach und nach stabiler. Die Aktivität unserer dortigen Freunde hat nicht nachgelassen (…).8
Auch konnte er noch im Sommer 1935 feststellen, dass die Beziehungen zu bestimmten Gruppen der freien Gewerkschaftsbewegung nach und nach (in) immer besser geworden wären. Er schrieb weiter: Unsere Verluste, die uns durch Paul (Polizei) selber oder durch seine Spitzel zugefügt worden sind, haben sich in verhältnismäßig minimalen Grenzen gehalten. Die Erziehung zur Vorsicht und zur prompten Innehaltung von Verabredungen und Anweisungen hat sich hier bewährt.9
Dies sollte sich bald ändern. Im Oktober 1935 wurden bei den umfangreichen Verhaftungsaktionen in Hann. Münden auch die beiden ISK-Leute Karl Gries und Ludwig Gutberlet festgenommen.10 Im selben Monat berichtete Eichler zudem von der Verhaftung zweier ISK-Gruppen in Berlin, die allerdings durch einen gemeinsamen Mitarbeiter verbunden waren. Der Druck, den die ständige Unsicherheit bei der illegalen Arbeit mit sich brachte, provozierte auch mitunter folgenreiche Fehler. Von einem berichtet Eichler: Eine den Namen ihres Besitzers tragende Tasche wurde zum Transport von Flugblättern benutzt und dann mit ihrem Inhalt auf der Straße verloren. Der Verlierer konnte noch rechtzeitig das Land verlassen.11
In diesem Zusammenhang und vor dem Hintergrund der Verhaftungen der Göttinger ISK'ler schrieb Eichler an Fimmen: (…) Allerdings sind wir der Meinung, dass mit der Verbreitung von schriftlichem Material in Deutschland ein grosser Unfug getrieben wird und dass diese Verbreitung unnötig viel Opfer fordert. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir gegen jede Verbreitung sind. Sie soll nur geschickt gemacht werden, was an sich schon bedeutet, dass man nicht mit dem Material links und rechts um sich wirft.12
Willi Eichler gab auf dem Osterkurs 1936 einen Überblick über die bislang geleistete Arbeit. Die Tätigkeit der Gruppen lag in der regelmäßigen Sammlung von Geld, dem Lesen und Verbreiten der Reinhart-Briefe und in sichtbarer illegaler Arbeit. Als Mitglieder der USG-Gruppen gab er vor allem Gewerkschaftler und Sympathisierende des ISK an (Deckname ABC). Ihre Arbeit verlaufe, wie im ISK üblich, nicht demokratisch. Nach gemeinsamen Aussprachen fasst in der Regel der Leiter der Gruppe einen Beschluss.
Der ISK führte neben diesen-Gruppen ein Eigenleben. Im Reichsmaßstab organisiert, unterhielt er einen eigenen „Nachrichtendienst“, von dem auch die USG-Gruppen profitierten. Der Reichsleiter sollte sich einmal im Vierteljahr mit den Bezirksleitern treffen. Jeder Bezirksleiter sollte einmal im Vierteljahr die OVV und Verbindungsleute versammeln. Außerdem sollte er einmal im Vierteljahr persönlich in jedem Ort gewesen sein. Vier Ausbildungskurse wurden 1935 in Düsseldorf für zukünftige Funktionäre veranstaltet.13
Für die Arbeit in Göttingen war vor allem der geregelte Transport illegaler Schriften wichtig. Der Auslandsvorstand um Willi Eichler in Paris unterstützte die Genossen, die im Reichsgebiet verblieben waren, auch mit Finanzmitteln, die über die Kanäle der ITF transferiert wurden. Die Ausprägung der konkreten Widerstandstätigkeit wurde aber vor Ort gestaltet. (ISK Widerstand Göttingen)
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Literatur und Quellen
Christmann, Gottfried; Kropp, Dieter (1984): Arbeiterbewegung in Hann. Münden von 1918 bis 1936: (Katalog der Ausstellung „Arbeiterbewegung in Münden von 1869 bis 1945“). Göttingen (Göttinger Beiträge zur universitären Erwachsenenbildung / Sonderheft).
Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Bundestage, Parteiausschusstagungen, Konferenzen, Treffen, Besprechungen, Aussprachen, Kurse, Funktionärsbefragungen: Treffen, Kurse. Archiv der sozialen Demokratie.
Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Bundestage, Parteiausschusstagungen, Konferenzen, Treffen, Besprechungen, Aussprachen, Kurse, Funktionärsbefragungen: Bericht auf dem Ersatz-Bundestag des ISK am 11. Juli 1942. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000010.
Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946): Korrespondenz 1935. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000028.
Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946): Korrespondenz 1936. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000029.
Link, Werner (1964): Die Geschichte des Internationalen Jugend-Bundes (IJB) und des Internationalen Sozialistischen Kampf-Bundes (ISK): ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Meisenheim am Glan (Marburger Abhandlungen zur politischen Wissenschaft).
1Link 1964, S. 175, Ostern 1933, Konferenz Berlin.
2Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Bundestage, Parteiausschusstagungen, Konferenzen, Treffen, Besprechungen, Aussprachen, Kurse, Funktionärsbefragungen, S. 7, Willi Eichler.
3Ebenda, S. 1.
4Link 1964, S. 177-178, 1934, ISK-Organisation illegale Schriften.
5Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Bundestage, Parteiausschusstagungen, Konferenzen, Treffen, Besprechungen, Aussprachen, Kurse, Funktionärsbefragungen, S. 8, Bundesarbeit, Herbst 1933 - Willst du gesund bleiben?
6Link 1964, S. 179, Oktober 1933, illegale Schriften ISK, Anklage Dönch.
7Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Bundestage, Parteiausschusstagungen, Konferenzen, Treffen, Besprechungen, Aussprachen, Kurse, Funktionärsbefragungen, S. 2.
8Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946), S. 1, 11.3.1935. Willi Eichler Bericht.
9Ebenda, S. 5–6, 2.6.1935, Willi Eichler Bericht.
10Christmann und Kropp 1984, S. 131, 1935 - Verhaftungen Münden.
11Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946), S. 12, 9.10.1935, Willi Eichler Bericht.
12Ebenda, S. 5, 4.3.1936, Amsterdam- Eichler an Fimmen.
13Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Bundestage, Parteiausschusstagungen, Konferenzen, Treffen, Besprechungen, Aussprachen, Kurse, Funktionärsbefragungen, S. 2.
Rainer Driever