Illegale Schriften – Verteilungswege

Vom ISK wurden im Reichsgebiet vor allem die Reinhart-Briefe und die Sozialistische Warte verbreitet. Produziert wurden sie beim Auslandsvorstand des ISK in Paris und anschließend mit Hilfe der Internationalen-Transportarbeiter-Föderation (ITF) über Basel oder Köln nach Deutschland eingeschmuggelt. Dies galt auch für weniger auflagenstarke Schriften, wie z.B. die sogenannte Kant-Broschüre. Die Taschenausgabe der philosophischen Bibliothek, Nr. 24, Kant – so der eigentliche Titel – war eine Schulungsbroschüre für Funktionäre; im Prozess gegen die Göttinger ISK'ler spielten alle drei Publikationen eine Rolle.1

Ab Oktober 1933 erschienen die Neuen politischen Briefe, die ab März 1934 als Reinhart-Briefe verfasst und in Deutschland illegal verteilt wurden. Der Name stammt von dem Pseudonym, mit dem Eichler die Flugblätter zu unterzeichnen pflegte, W. REINHART.2 Ab April 1934 erschien jeden Monat ein Reinhart-Brief (Reinhart-Brief vom April 1935 PDF). Eichler gab 1936 die Zahl der durch diese Publikationen entstanden USG-Gruppen (Unabhängige Sozialistische Gewerkschaft) mit 60 in insgesamt 25 Orten an. Die Verbreitung der Briefe lag in einem Raum zwischen Köln, Görlitz und Hamburg.3

Es handelte sich zumeist um vierseitige Dünndruck-Flugschriften, die im Notfall verschluckt werden sollten. In der Tarnschrift Willst du gesund bleiben? (Willst du gesund bleiben? PDF) war unter Punkt 5 zu lesen: Flugblätter kannst du auch verschlucken, wenn du nicht zuviel bei dir hast (Üben!).4 Es brauchte einige Zeit, bis man das richtige Material herausgefunden hatte. Im März 1934 wandte sich Hans Jahn an Willi Eichler: Zur Technik: Die Blätter sind nicht so, dass man sie, wie angekündigt, verschlucken kann. Der Versand macht Schwierigkeiten. Bitte für die nächste Sendung: kleinere und dünnere Blätter. Die Gesundheitsblätter waren ideal.5

Für den Transport in das Reichsgebiet waren gewerkschaftlich organisierte Rheinschiffer und Eisenbahner des illegalen Eisenbahner-Netzwerkes unter dem Dach der ITF verantwortlich. Das in hoher Auflage hergestellte Material wurde anscheinend überall dort im Reich verteilt, wo die ITF illegale Stützpunkte hatte, auch in Göttingen. Die Zahl der so überbrachten Schriften schwankte sicherlich je Ortsgröße, für die hannoversche Gruppe scheinen jeweils etwa 300 bis 400 Exemplare am Bahnhof abgeholt worden zu sein.

Die ITF-Eisenbahner deponierten die eingeschmuggelten Flugschriften meist in den Schlafwagen der Schnellzüge. Wechselnde ISK-Mitglieder holten dann beim Halt des Zuges auf dem hannoverschen Hauptbahnhof die Flugschriften aus dem Versteck, wie Alfred Dannenberg berichtete: Wir wussten genau, in welchem Zug, wir wussten die Zugnummer, wir wussten die Ankunft (…). Wir sahen also den Mann von der Internationalen praktisch nicht, wir wollten auch nicht. Wir wollten ihn ja nicht in Verlegenheit bringen, und die Gefahr ist ja groß genug, wenn einer hängt.6 Dies wird in Göttingen ähnlich funktioniert haben.



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Literatur und Quellen

Gefangenenpersonalakte Gustav Funke: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86a Hannover Acc. 2000/057 Nr. 195.

Gottwaldt, Alfred Bernd (2009): Eisenbahner gegen Hitler. Widerstand und Verfolgung bei der Reichsbahn 1933-1945. Wiesbaden: Marix-Verlag.

Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Bundestage, Parteiausschusstagungen, Konferenzen, Treffen, Besprechungen, Aussprachen, Kurse, Funktionärsbefragungen: Treffen, Kurse. Archiv der sozialen Demokratie.

Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946): Korrespondenz 1934. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000027.

Lemke-Müller, Sabine (1996): Ethik des Widerstands: der Kampf des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) gegen den Nationalsozialismus; Quellen und Texte zum Widerstand aus der Arbeiterbewegung 1933 - 1945. Bonn: Dietz.

Link, Werner (1964): Die Geschichte des Internationalen Jugend-Bundes (IJB) und des Internationalen Sozialistischen Kampf-Bundes (ISK): ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Meisenheim am Glan (Marburger Abhandlungen zur politischen Wissenschaft).



1Gefangenenpersonalakte Gustav Funke, S. 9, 29.4.1936.

2Link 1964, S. 179, Oktober 1933, illegale Schriften ISK, Anklage Dönch.

3Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Bundestage, Parteiausschusstagungen, Konferenzen, Treffen, Besprechungen, Aussprachen, Kurse, Funktionärsbefragungen, S. 2, 13.–25.

4Lemke-Müller 1996, S. 80–84, 1934 - Willst du gesund bleiben?

5Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946), S. 4, 30.3.1934, Hans Jahn an Henri (Willi Eichler).

6Gottwaldt 2009, S. 86–87, ISK - Erhalt des illegalen Materials über ITF – Reinhardt-Briefe und Sozialistische Warte, Weiterverteilung. Interview mit Alfred Dannenberg am 19. Oktober 1987 (Projekt Widerstand, Historisches Seminar der Universität Hannover).

Rainer Driever