Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF)
Die
ITF ist eine 1896 gegründete internationale
Gewerkschaftsorganisation, die bereits früh länderübergreifende
Streiks organisierte, z.B. 1911, als sie zahlreiche europäische
Häfen gleichzeitig lahmlegte. Ihre syndikalistische Ausrichtung1
in der Zwischenkriegszeit unter ihrem Generalsekretär Edo Fimmen
erschwerte die Zusammenarbeit mit den eher traditionalistischen,
nationalen Gewerkschaften.
Von 1933 bis 1945 spielte die ITF eine wichtige Rolle in der Unterstützung illegal arbeitender Gruppen von Transportarbeitern und unterstützte sie im antifaschistischen Kampf. Im Spanischen Bürgerkrieg verzögerte und verhinderte sie Waffentransporte an Franco und unterstützte die Republik im Ankauf von Schiffen. Eigene Flugblätter und Druckschriften, aber auch die des ISK, wurden von Transportarbeitern nach Deutschland geschleust. Dies und die Zusammenarbeit mit dem ISK werden hier dargestellt.
Aufbau eines illegalen Eisenbahner-Netzwerkes der ITF
Hans
Jahn (1885-1960) war ab 1928 Mitglied des Deutschen Eisenbahner
Verbandes (DEV) und im Vorstand des Allgemeinen Deutschen
Beamtenbundes (ADB) tätig. Er gehörte zur
linkssozialdemokratischen Minderheit im Eisenbahnerverband. Vor der
Machtübertragung war er bereits gegen die Nationalsozialisten
gewerkschaftlich aktiv gewesen, im Frühjahr 1933 machte er den
legalistischen Kurs der Gewerkschaftsführung nicht mit.
Basierend auf der Funktionärskartei des Verbandes baute er in Zusammenarbeit mit der ITF bis 1935 ein illegales Informationsnetz in Deutschland auf. Zu diesem gehörten im Jahre 1936 insgesamt 284 „Stützpunktführer“ in 137 Orten, insgesamt waren darin 1320 Funktionäre organisiert. Eingeteilt wurde das Deutsche Reich in 17 Regionen (Gaue). Jeder Gau bzw. Bezirk wurde von einem von Jahn und Fimmen bestätigten Funktionär geleitet. In den einzelnen Bezirken waren an sogenannten Stützpunkten Vertrauensleute aktiv, die in der Regel keinen Kontakt zur ITF hatten und nur den jeweiligen Bezirksleiter kannten.2
Dieser
illegale Einheitsverband
der Eisenbahner Deutschlands
(EdED) bildete eine Sektion der ITF. Bereits im Anschluss an die
zweite Konferenz des ISK in Saarbrücken im August 1933 war es
Willi
Eichler gelungen, bei einer Zusammenkunft mit dem Generalsekretär
der ITF, Edo Fimmen (Deckname Lang)‚ eine enge Zusammenarbeit
zwischen dem ISK und der ITF zu vereinbaren. Die ITF hatte bereits
vor dieser Vereinbarung unter dem Datum Berlin,
im August 1933
ein Flugblatt in Deutschland verbreitet, das zur Sammlung
der geschichtlich fortschrittlichen Kräfte sowie
der Arbeiterklasse unter den Fahnen des revolutionären Marxismus
aufrief. (Sozialistische
Erneuerung gegen den Faschismus, Berlin im August 1933)
3
Die erste gemeinsame Aktion beider Organisationen galt der
Verbreitung des Flugblattes Willst
du gesund bleiben? (Willst
du gesund bleiben? PDF)
Danach wurden im Herbst 1933 von Willi Eichler, René Bertholet
und Edo Fimmen die Richtlinien für die gemeinsame Arbeit
zwischen ISK und ITF festgelegt.4
Diese enge Zusammenarbeit wurde bis zum Ende des Krieges fortgesetzt.
Ab
dem Sommer 1933 publizierte die ITF unter der Redaktion von Dr.
Walter Auerbach die Erträge ihrer Informationssammlung in der
Zeitung Hakenkreuz
über Deutschland.
Die zweiwöchentlich erscheinende Zeitung änderte im Juli
1934 ihren Namen in Faschismus
und
berichtete über die Lage der Arbeiterschaft in Deutschland und
den anderen faschistischen Ländern.5
(Hakenkreuz
über Deutschland Volltext
/ Faschismus: Berichte und Dokumente zur Lage der Arbeiterschaft
unter faschistischer Diktatur Volltext)
Auf
der Konferenz in Roskilde zu Ostern 1935 zog die ITF zunächst
eine Art Zwischenbilanz der illegalen Arbeit. Folgende
„Grundgedanken“ wurden der Arbeit vorangestellt:
Illegale Gewerkschaften sind nicht möglich, sondern nur ein Netz
von Betriebsvertrauensleuten. Das gewerkschaftliche Sofortprogramm
will diesen Vertrauensleuten die Hinweise für eine zielbewußte
Verbindung von Tagesforderungen geben, deren Erfüllung die
schrittweise Aufnahme gewerkschaftlicher Tätigkeit ermöglichen
würde.
Zudem wurden Richtlinien der illegalen Arbeit beschlossen, die den
Wiederaufbau der Gewerkschaften und den Schutz vor der Geheimen
Staatspolizei
gewährleisten sollten. Die Vertrauensleute sollten sich auf die
Arbeit in der freigewerkschaftlichen Aktivgruppe konzentrieren und
diese vom Einfluss anderer Parteien oder Gruppierungen freihalten.
Für die Arbeit in den Aktivgruppen wurde eine proletarische
Demokratie
zugrunde gelegt, die Minderheit war der Mehrheitsmeinung
verpflichtet. Ausgenommen davon war der ISK, dessen organisatorische
und politische Linie der illegalen Arbeit weitgehend mit der ITF
übereinstimmte.6
Nach Verhaftungsaktionen und der Flucht Hans Jahns in die Niederlande 1935 konnte Jahn Willi Eichler im Juli mitteilen: (…) Schliesslich freut es mich, Dir mitteilen zu können, dass der Eisenbahner-Apparat vollständig, mit Ausnahme von einem Manne in Hamburg und meinem Freunde im Ruhrgebiet, unberührt geblieben ist und weiterarbeitet.7
Über
den Stand der illegalen Arbeit schrieb Jahn Anfang Oktober 1935 einen
Bericht an Edo Fimmen:
Das Reich ist
eingeteilt in: 7 Gebiete, 19 Gaue und 114 Stützpunkte. Die
Reichsleitung arbeitet im engsten Einvernehmen mit der
Internationale. Jedem Gebiet steht ein Gebietsführer und jedem
Gau ein Gaugraf vor. Jeder Gebietsführer ist gleichzeitig
Gaugraf. Der Gebietsführer, wie auch
die Gaugrafen werden im Einvernehmen mit der Internationale von der
Reichsleitung bestellt.
Der Gaugraf besorgt den Aus- und Aufbau der Kaderorganisation. Er errichtet Stützpunkte, bestimmt die Stützpunktführer und steht auf der einen Seite mit diesen, auf der anderen Seite mit dem Gebietsführer in ständiger Verbindung.
Der Stützpunktführer, an größeren und grossen Orten und Betrieben die Stützpunktführer, sind die Verbindungsleute in den Betrieben. Er bzw. sie erhalten Anweisungen und Material von der Reichsleitung bezw. von der Internationale (…) Sie wiederum berichten laufend über alle Vorgänge im Betriebe, sowie Art und Stand der Bewegung (…) Es ist sowohl eine ständige persönliche Verbindung als auch gegenseitige Nachrichten- und Materialübermittlung gewährleistet.
Gebietsführer, Gaugrafen und Stützpunktführer stehen bis auf 7 Ausnahmen als Arbeiter oder Beamte im Betrieb.
Das
Reich ist eingeteilt in die Gebiete: Westen, Südwesten, Norden,
Mitte, Süden, Südosten und Osten.
(im Folgenden werden die Gebiete mit den Stützpunkten und Gauen aufgelistet) (...)
3.
Gebiet Norden:
Gau Kassel, Sitz Göttingen, Gaugraf St.,
Stützpunkte: Göttingen, Northeim, Kreiensen, Paderborn,
Kassel und Fulda.
Die Gaugrafen sind vom Juni bis Oktober1935 2 zum Teil 3 mal persönlich aufgesucht, informiert und kontrolliert worden. Nach ihren Angaben sind etwa 2000 Stützpunktführer in den verschiedensten Betrieben angesetzt. Zu zahlreichen Betrieben bestehen weitere persönliche Verbindungen, die jedoch aus konspirativen Gründen zur Zeit noch nicht organisatorisch ausgewertet werden. Im Ruhrgebiet besteht daneben Verbindung zu Krupp und in Hamburg zu Blohm & Voss. Nach den erstatteten Berichten sind die Leute opferbereit und streben festere Bindungen an.
Die Einhebung von Beiträgen findet wegen der damit verbundenen Gefahr noch nicht statt. Dringend notwendige Mittel werden, soweit sie über den Rahmen der von der Internationale zur Verfügung gestellten Gelder hinaus gehen, durch Sammlungen aufgebracht.
Das Bewusstsein, mit der Internationale lebendige Verbindung zu haben, stärkt sie. Sie wünschen Material und Aufklärung. Es macht sich ein Stimmungsumschwung bemerkbar. Gaugrafen und Stützpunktführer werden von dem Betriebspersonal aufgesucht und in den verschiedensten Fragen um Rat angegangen. Es bildet sich ein neues Vertrauensverhältnis heraus. Die Voraussetzungen, über die Kaderorganisation zu Masseneinfluss zu gelangen, sind hochgradig erfüllt.8
Der Ort der ITF-Verbindungen in Göttingen war das Reichsbahnausbesserungswerk (RAW), Göttingens größter Arbeitgeber. (ITF Eisenbahner-Widerstand)
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Literatur und Quellen
Graf, Andreas G. (2001): Anarchisten gegen Hitler: Anarchisten, Anarcho-Syndikalisten, Rätekommunisten in Widerstand und Exil: Lukas. Online verfügbar unter https://books.google.de/books?id=0jktYrw4I6UC.
Internationale Transportarbeiter-Föderation (Hg.): Hakenkreuz über Deutschland. Archiv der sozialen Demokratie.
Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946): Korrespondenz 1935. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000028.
Nelles, Dieter (2001): Widerstand und internationale Solidarität: die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. 1. Aufl. Essen: Klartext-Verlag (Veröffentlichungen des Instituts für Soziale Bewegungen / A).
1Auf den französischen Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon zurückgehende Propagierung der Aneignung von Produktionsmitteln durch die Gewerkschaften, die dann auch an Stelle politischer Stellvertreter die Verwaltung organisieren. Dabei bilden Streik, Boykott und Sabotage die Mittel der Syndikalisten; parlamentarische Bestrebungen werden abgelehnt. (Wikipedia)
2Nelles 2001, S. 273.
3Link 1964, S. 177-178, 1934, ISK-Organisation illegale Schriften.
4Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Bundestage, Parteiausschusstagungen, Konferenzen, Treffen, Besprechungen, Aussprachen, Kurse, Funktionärsbefragungen, S. 8, Bundesarbeit, Herbst 1933 - Willst du gesund bleiben?
5Graf 2001, S. 116, Sommer 1933 Hakenkreuz über Deutschland.
6Graf 2001, S. 120.
7Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946), S. 7, 25.7.1935 - Jahn an Eichler.
8Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946), S. 9–11, 1.10.1935 - Stand der illegalen Bewegung am 1.Oktober 1935, Org. Edo Fimmen.
Rainer Driever