Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen

  1. Schule und Erziehung im Griff des totalitären Staates: die Göttinger Schulen in der Zeit von 1933 bis 1945 / Berthold Michael. - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1993. - 214 S.: III. - ISBN 3-525-85420-X. - 19,90 EUR

    Erhältlich beim Stadtarchiv

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Geleitwort
Einführung1
Staatliche Zentralisierung und politische Funtkionalisierung3
Einleitung3
Die durchgängige Zentralisierung der Verwaltung5
Die Gleichschaltung bei Lehrern und Schülern10
Die Indoktrination mit dem "Geist des Nationalsozialismus"20
Die Ausgrenzung und Ausmerzung alles Entgegenstehenden, Andersdenkenden, "Volks- und Artfremden"32
Zusammenfassung: Schule und Erziehung im totalitären Staat64
Eingriffe in das Schulsystem - Nivellierung der Schulformen und Schulbildung65
Einleitung65
Die Beseitigung des Eigencharakters der Grundschule66
Die Einschränkung der Volksschulbildung68
Die Umfunktionalisierung der "Hilfsschule"73
Die Herabstufung der Mittelschule zur Hauptschule79
Die Reduktion der höheren Schulen zu Oberschulen90
Zusammenfassung: Reduktion und Deformation der Bildung113
Die Schulen unter den Drohungen und Belastungen des Krieges117
Einleitung117
Die lange Zeit der Kriegsvorbereitungen118
Das erste Kriegsjahr 1939/40136
Die Steigerung zum totalen Kriegseinsatz 1941 - 1944152
1945 - Die letzten Monate bis zum Zusammenbruch188
Nachwort197
Verzeichnis der Abkürzungen201
Quellen- und Literaturverzeichnis203



Geleitwort
Mit der vorliegenden Monographie zur Geschichte der Göttinger Schulen in den Jahren 1933 - 1945 wird erstmals versucht, eine Gesamtdarstellung der Einwirkungen des NS-Regimes auf die Schulen, Schüler und Lehrer in Göttingen zu gewinnen. Für uns alle, besonders aber für die Arbeit in den Schulen und Einrichtungen der Jugendbildung, ist dies ein sehr wichtiges Buch. Herrn Professor Dr. Berthold Michael danken wir dafür, uns mit dieser beeindruckenden Forschungsarbeit sehr anschaulich den Zugang zu öffnen zu einem immer noch ziemlich unbekannten Abschnitt unserer jüngeren Geschichte. Nach der intensiven thematischen Bearbeitung der allgemeinen Stadtgeschichte des angesprochenen Zeitraumes in gut dokumentierten Ausstellungen des Städtischen Museums und des Stadtarchivs bringt der jetzt vorliegende Band 19 der "Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen" weitere wichtige Informationen, Materialien und Ergebnisse zum großen Komplex "Göttingen in der Zeit der NS-Herrschaft".

Sehr herzlich danke ich den großzügigen Förderern, ohne deren Hilfe dieser Band nicht hätte erscheinen können: vornehmlich einer nicht genannt werden wollenden Bürgerin unserer Stadt, dann aber auch der Sparkasse Göttingen, der Volksbank Göttingen eG, der Gothaer Lebensversicherung aG, der Alexander-Stiftung und dem Geschichtsverein für Göttingen und Umgebung e.V.
Der Leiterin unseres Stadtarchivs, Frau Dr. Helga-Maria Kühn, danke ich für die hartnäckigen und erfolgreichen Bemühungen zur Finanzierung und Fertigstellung dieses Buches in der Reihe der Veröffentlichungen des Stadtarchivs.

Joachim Kummer, Stadtrat, Dezernent für Schulen, Kultur und Sport der Stadt Göttingen




Einführung
Die zwölf Jahre des nationalsozialistischen Regimes brachten für das Schulwesen tief einschneidende Veränderungen. Sie waren zunächst von außen wenig wahrzunehmen, bewirkten jedoch im Unterricht, in der Erziehung und in der Verwaltung in kurzer Zeit einen umfassenden Wandel aller Verhältnisse. Bald führten sie auch zu radikalen Umstrukturierungen der Schulorganisation. Doch konnten diese sich infolge des Eintritts in den Krieg und des baldigen Endes des Regimes nicht mehr voll auswirken. Wohl auch deshalb ist manches nur unzureichend der Öffentlichkeit bewußt geworden und im Gedächtnis geblieben.

Die Usurpation der Schule seitens der Nationalsozialisten vollzog sich mit einem Bündel von Maßnahmen in zwei Schüben, deren Schwerpunkte sich unterscheiden lassen, doch in den faktischen Auswirkungen einander vielfältig überlagerten. Unmittelbares Ziel nach der Regierungsübernahme war es, die absolute Verfügungsgewalt über die Schule im ganzen Reichsgebiet zu erlangen um in großer Breite einen Prozeß politischer Umerziehung und Ideologisierung einzuleiten, der ähnlich das ganze Volk erfassen sollte. Lehrerschaft und Jugend schienen offensichtlich besonders geeignet, als Propagandisten der neuen Bewegung und ihrer Lehre zu fungieren. Erst nach Jahren einer gewissen Konsolidierung der Macht folgten nach und nach Eingriffe in das Organisationsgefüge der Schule, die dann jedoch radikale Veränderungen mit sich brachten. Sie unterwarfen die Schule vollends der Macht- und Rassenpolitik der totalitären Staatsführung und ihren darauf einseitig zugeschnittenen Organisations- und Lehrplänen.

Nicht alle beabsichtigten Umwälzungen kamen indessen zum Zuge, weil der Eintritt in den Krieg und sein negativer Verlauf die Weiterführung zunächst be- und dann gänzlich verhinderten. Der schmähliche Niedergang des Nationalsozialismus hinterließ - wie auf allen Gebieten - auch auf dem des Schulwesens und der Bildung ein totales Chaos, von dem her mühsam der Weg zum Wiederaufbau gesucht werden mußte.

Entsprechend diesem Aufriß ist die nachfolgende Darstellung der Geschichte der Göttinger Schulen in der Zeit von 1933 bis 1945 gegliedert.
Die Gliederung folgt absichtlich nicht der strengen Chronologie, um deutlicher bestimmte Entwicklungen herausheben zu können. Vielmehr ist der zeitgeschichtliche Komplex nach systematischen Gesichtspunkten dreifach unterteilt, wie es im ganzen etwa dem Zugriff des Staates und der Partei auf die Schulen entsprach: Am Anfang stehen die "staatliche Zentralisierung und politische Funktionalisierung des Schulwesens". Es folgt die "Nivellierung der Schulformen und der Bildung" durch die restriktiven Eingriffe in das bestehende Schulsystem. Den Schluß bildet die Darstellung der "Drohungen und Belastungen des Krieges", unter denen die Schulen zu leiden hatten.

Innerhalb dieser Kapitel sind die damaligen "Maßnahmen", die oft gleichzeitig eingeleitet oder durchgeführt wurden und die einander häufig überschnitten, entsprechend ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Themenbereichen konzentriert und dann in ihrem geschichtlichen Zusammenhang dargestellt. Dafür dienen als Grundlage die Gesetze, Verordnungen, Erlasse, Richtlinien, Verfügungen usw., die in den überlieferten Dokumenten vorliegen. Sie ergeben den "roten Faden" nationalsozialistischer Schulpolitik, die von Staat und Partei zentral gesteuert wurde. Die jeweiligen Nachweise sind in der Regel unmittelbar im Text ausgewiesen.

In die Nachzeichnung der Grundlinien der Entwicklung wurden die Vorgänge hier am Ort eingefügt als Beleg für die hiesigen Verhältnisse und zur Veranschaulichung der Schul- und Lebenswirklichkeit von damals. Die Zeugnisse dafür sind großenteils in den Akten des Städtischen Schulamtes überliefert, oder sie haben in Konferenzprotokollen und Jahresberichten der Schulen ihren Niederschlag gefunden, oder es wurde über sie in den Festschriften der Schulen berichtet u.a.m.
Auf diese Weise ist versucht worden, eine Gesamtdarstellung der Geschichte der Göttinger Schulen jener Jahre zu erarbeiten, die zwei Ansprüchen genügen möchte: Als Zeitbild sollte sie vom damaligen Alltagsgeschehen und den Erinnerungen der Menschen, die unter solchen Umständen leben mußten, möglichst viel einfangen; darüber hinaus sollte sie die grundlegenden Zusammenhänge aufzeigen und durch die Veranschaulichung am Beispiel Göttingens zu kritischer Auseinandersetzung mit jener Vergangenheit anregen.
Möge durch beides die Darstellung auch über Göttingen hinaus Interesse finden als ein Beitrag zur Erhellung unserer noch vielfach virulenten Vergangenheit.


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