Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen

  1. Wie wählte Göttingen? Wahlverhalten und die soziale Basis der Parteien in Göttingen 1924 - 1933 / Fritz Hasselhorn. - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1983. - 71 S. + 27 Schautafeln. - ISBN 3-525-85414-5. - 31,90 EUR

    Erhältlich beim Stadtarchiv oder im Buchhandel

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Geleitwort
Vorwort
Einleitung11
Göttingen in der Weimarer Republik13
Soziale Schichtung in Göttingen15
Modell sozialer Schichtung15
Von den Wohnungsinhabern zur Wählerschaft19
Die Stimmbezirke22
Wahlrecht und Wahlbeteiligung25
Methoden und Grundbegriffe der Parteienanalyse28
Die Basis der Prozentrechnung28
Veranschaulichung des Korrelationskoeffizienten28
Sozialprofil, Volksparteiindex und "soziale Koalition"31
Die Entwicklung der Parteien34
Die "Partei" der Nichtwähler34
Die Kommunistische Partei Deutschlands38
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands40
Die Deutsche Zentrumspartei42
Die Deutsche Demokratische Partei / Deutsche Staatspartei44
Die Deutsche Volkspartei47
Die Deutschnationale Volkspartei48
Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei50
Ergebnisse in Thesen54
Anhang
Die Einteilung der Stimmbezirke in Göttingen
Schautafeln 1-26
Stadtplan Göttingen 1927



Geleitwort
Es freut mich, mit dieser Studie zur Göttinger Stadtgeschichte der Öffentlichkeit eine Arbeit vorlegen zu können, die aus einem von mir veranstalteten Forschungsseminar vor vier Jahren hervorgegangen ist. Dieses Seminar war von dem allerorts neu erwachten Interesse an lokaler und regionaler Geschichte bestimmt und ging der Frage nach, wieweit eine Untersuchung der politischen und sozialen Verhältnisse im begrenzten Raum einer Stadt zum besseren Verständnis allgemeiner Entwicklung beitragen kann.

Bei der großen Aufmerksamkeit, die nach wie vor dem Aufstieg des Nationalsozialismus zur Macht in Deutschland entgegengebracht wird, sprach vieles dafür, diesen Versuch in der Epoche der Weimarer Republik durchzufahren. Daß die Wahl dabei auf Göttingen fiel, hat neben dem verständlichen Interesse an dem Ort unserer Universität vor allem zwei Gründe. Zum einen ist die Quellenlage in der von Kriegseinwirkungen nicht zerstörten Stadt besonders gut; sowohl die Zeitungen unterschiedlicher politischer Ausrichtungen als auch die Protokolle aller wichtigen Verwaltungsgremien sind erhalten. Zum andern fordert Göttingen zur Beschäftigung mit seiner jüngsten Vergangenheit heraus, weil hier die Partei Adolf Hitlers schon lange vor der Weltwirtschaftskrise am Ende der zwanziger Jahre Fuß fassen konnte. Die Geschichte Göttingens macht deutlich, daß man bei der Frage nach der Möglichkeit des 30. Januar 1933 mehr im Auge haben muß als nur die viel erwähnten sechs Millionen Arbeitslosen im Deutschen Reich.

Um so mehr besteht Anlaß zur Dankbarkeit für die großzügige Unterstützung der Stadtverwaltung und des Stadtarchivs bei der Aufarbeitung dieses beschwerlichen Stücks Göttinger Stadtgeschichte. Insbesondere gebührt Frau Dr. Helga-Maria Kühn Dank, ohne deren beharrlichen Einsatz die Arbeit hätte weder geschrieben noch gedruckt werden können. Darüber hinaus sei den Kollegen Helga Grebing, Hans-Georg Herrlitz und Konrad Jarausch für ihre kritische Begleitung und Förderung der Arbeit gedankt.
Mögen die Bürger der Stadt Göttingen die nun vorliegende Studie mit derselben Anteilnahme aufnehmen.

Rudolf von Thadden




Vorwort
"Göttingen unterm Hakenkreuz" war das Thema von Ausstellungen, Veranstaltungen und einer von mehreren Autoren verfaßten Dokumentation, mit dem die Stadt Göttingen der 50. Wiederkehr der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten gedachte. Dem Stadtarchiv war dabei die Aufgabe übertragen worden, die Zeit "vor dem Hakenkreuz", nämlich die Anfänge der nationalsozialistischen Bewegung in einer Ausstellung durch Schriftstücke, Bilder, Diagramme, Graphiken, Plakate und Zeitungen transparent zu machen. Dazu wurden aus den Beständen des Stadtarchivs mit Hilfe des Historischen Seminars der Universität Schautafeln erarbeitet, die erstmalig das Wahlverhalten der Göttinger Bevölkerung in ihrer sozialen Schichtung nach der Gründung der Göttinger Ortsgruppe der NSDAP (15.5.1922) für die Wahljahre 1924 - 1933 analysierten. Obwohl diese Fallstudie nicht alle Fragen beantworten kann, legt sie doch soviel neues Material zur politischen Entwicklung des Göttinger Wählerverhaltens in der Endphase der Weimarer Republik vor, daß dabei der Wunsch entsteht, auch aus anderen Orten ähnliche Untersuchungen zu erhalten. Als Band 14 der "Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen" werden die farbigen Schautafeln mit einem ausführlichen Begleittext von Fritz Hasselhorn vorgelegt.

Die Stadt Göttingen schuldet den Professoren Helga Grebing, Hans-Georg Herrlitz, Konrad Jarausch, Rudolf von Thadden für die fachliche Betreuung und das Interesse am Erscheinen dieses Bandes besonderen Dank.

Helga-Maria Kühn




Einleitung
Überblickt man die Fülle der älteren und neueren Buchtitel zum Ende der Weimarer Republik, so entsteht der Eindruck, alles Wissenswerte aus dieser Epoche sei inzwischen erforscht und erklärt. Die Beschäftigung mit der lokalen und regionalen Geschichte zeigt jedoch, wieviel noch geleistet werden kann und sollte, um die Kenntnisse zu vertiefen, denn die Lokalgeschichte hat Möglichkeiten, die einer umfassenden Staats- oder Gesellschaftsgeschichte verschlossen sind.

Der Wahlsieg der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei am 14. September 1930 und ihr anschließender Aufstieg zur stärksten Partei in Deutschland haben bereits damals zahlreiche Zeitgenossen veranlaßt, nach der Herkunft ihrer Wähler zu fragen. Es gibt bis heute viele gut oder weniger gut begründete Vermutungen über die Zusammensetzung und Herkunft der nationalsozialistischen Wählerschaft, aber wenig gesicherte Ergebnisse. Das hängt mit folgender Schwierigkeit der historischen Wahlforschung zusammen: Während moderne Wahlprognosen und -analysen auf Repräsentativbefragungen von Wählern beruhen, die dann hochgerechnet werden, stehen dem Historiker keine Umfragen zur Verfügung, die die individuelle Wahlentscheidung aufdecken. Im günstigsten Fall liegen ihm Daten über die Wahlergebnisse und die soziale Zusammensetzung von Bezirken vor. Anstelle von direkten Aussagen über das Wahlverhalten einzelner Gruppen kann er streng genommen nur Aussagen machen über den statistischen Zusammenhang zwischen dem Anteil einer Gruppe und dem Stimmenanteil einer Partei. In Handbüchern finden sich in der Regel nur die Wahlergebnisse für das Deutsche Reich insgesamt oder für alle 35 Wahlkreise, die jeweils ein Land, eine Provinz oder wenigstens einen Regierungsbezirk umfaßten. Je größer aber die Bezirke sind, desto mehr regionale und lokale Unterschiede werden eingeebnet und desto unsicherer werden die Aussagen über die soziale Basis der Parteien.

Die Beschränkung auf die Lokalgeschichte, hier auf die Untersuchung der Stadt Göttingen, bietet deshalb die Chance, der Frage nach dem Zusammenhang von Wahlentscheidung und Sozialstruktur genauer nachzugehen. Denn mit der geographischen Eingrenzung kann eine inhaltliche Ausweitung der Fragestellungen verbunden werden. Neben dem Aufstieg der NSDAP wird auch die Entwicklung der anderen Parteien verfolgt. Durch die Einbeziehung der Landtags- und Gemeindewahlen in die Untersuchung erhält man Einblick in die Wählerwanderungen zwischen den Reichstagswahlen. Als Grundlage dienen die Angaben der Volkszählung von 1925 über die soziale Schichtung in der Stadt Göttingen. Die Wahlergebnisse liegen nicht nur für die Stadt insgesamt, sondern auch für die 19 Stimmbezirke vor, in die das Stadtgebiet eingeteilt war. Um die Sozialstruktur dieser Stimmbezirke zu erheben, werden sie mit Hilfe des Adreßbuches gleichsam soziologisch geröntgt. Damit werden auch die Bewohner der Mansarden und Hinterhäuser erfaßt, die dann hinter den Fassaden verborgen bleiben, wenn - wie bei Hamilton - die Stadtbezirke im wesentlichen an Hand von Stadtführern und -beschreibungen kategorisiert werden. Mit den so gewonnenen Daten werden die Sozialprofile der verschiedenen Parteien berechnet. Die Veränderung der Sozialprofile von Wahl zu Wahl erlaubt Rückschlüsse auf Veränderungen der Wählerschaft der Parteien. Schließlich läßt sich mit dem Volksparteiindex ein bestimmter Aspekt des modernen Begriffs der Volkspartei messen, nämlich wie gut einer Partei die Mobilisierung von Anhängern aus allen sozialen Schichten gelang oder wie sehr sie auf bestimmte Gruppen beschränkt blieb. Aus diesem Blickwinkel erscheinen die Veränderungen im Parteiensystem gegen Ende der Weimarer Republik als Folge der schwindenden Integrationskraft der alten Parteien, denen die Bündelung verschiedener sozialer Gruppen und Interessen nicht mehr gelang.


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