Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen

  1. Stadt und Kirche im mittelalterlichen Göttingen / Reinhard Vogelsang. - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1968. - 128 S.

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Vorwort
Einleitung11
Rat, Bürgerschaft und Geistlichkeit13
Die Stellung des Rates gegenüber dem Herzog, den Bürgern und Mitbewohnern13
Der Rat im Verhältnis zum Herzog und zur Bürgerschaft13
Das Streben des Rates nach Aufsicht über alle Lebensbereiche der Stadt15
Die Beschränkung der Ratsaufsicht durch die kirchlichen Immunitäten16
Die Stellung des Rates und der Bürger gegenüber der Geistlichkeit und der Kirche17
Die Kirchlichkeit des Rates und der Bürger17
Die Kirche und das öffentliche Leben der Stadt18
Der Anteil der Kirche am täglichen Leben des Bürgers23
Der Kampf zwischen Rat und Geistlichkeit um die kirchlichen Immunitäten28
Die Stadtlasten28
Kaiserliche und kirchliche Privilegien für die Geistlichkeit28
Die Interessen der Stadt28
Der Haus- und Grundbesitz der Göttinger Geistlichkeit29
Die Beschränkung der Erwerbs- und Besitzfähigkeit von Kirche und Klerus durch den Rat und ihre Heranziehung zu den Stadtlasten32
Einzelverträge mit den kirchlichen Körperschaften32
Ratsverordnungen37
Die Wirtschaft45
Handel und Gewerbe45
Weiderechte47
Zehnten48
Städtische Zwangs- und Bannrechte51
Die Gerichtsbarkeit54
Das geistliche Gericht54
Das privilegium fori54
Die Machtfülle des geistlichen Gerichts55
Offizial und Kommissar58
Maßnahmen des Rates zur Einschränkung der geistlichen Gerichtsbarkeit60
Die Abgrenzung von geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit60
Städtebündnisse63
Auseinandersetzungen mit geistlichen Richtern und Gerichten64
Die Inanspruchnahme des Offizials durch den Rat72
Eingriffe des Rates in den Bereich der geistlichen Gerichtsbarkeit73
Die freiwillige Gerichtsbarkeit77
Die Maßnahmen des Rates zur Einschränkung der geistlichen Körperschaften79
Die Sicherheit der Stadt und die Bauaufsicht des Rates82
Das Eindringen der Bürgerschaft in die kirchliche Verwaltung87
Die Pfarrkirchen87
Die Besetzung der Pfarrstellen87
Die Kirchenpflegschaft90
Die Reform des Barfüßerklosters92
Das Stiftungswesen94
Die Meßpfründstiftungen94
Andere Stiftungsformen99
Die Schule und die Hospitäler101
Ausblick auf die Zeit nach der Einführung der Reformation110
Stammtafel der über Göttingen herrschenden Herzöge aus dem Hause Braunschweig-Lüneburg115
Verzeichnis der Quellen116
Verzeichnis der Literatur119
Index der Personennamen und der kirchlichen Institute und Körperschaften124



Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Jahre 1966 von der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Sie ist von meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Hermann Heimpel, angeregt worden. Ihm, der mit stetem Interesse und vielen Anregungen den Fortgang der Arbeit gefördert hat, bin ich zu schuldigem Dank verpflichtet. Danken möchte ich an dieser Stelle auch dem Leiter des Göttinger Stadtarchivs, Herrn Archivoberrat Dr. Walter Nissen, für das freundliche Entgegenkommen bei der Benutzung des Stadtarchivs und für zahlreiche Hinweise auf bisher unerschlossene Archivalien; in liebenswürdiger Weise hat er dafür gesorgt, daß die Arbeit in die Reihe der "Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen" aufgenommen werden konnte. Seinem Mitarbeiter, Herrn Amtsgerichtsrat a.D. Heinz Kelterborn, bin ich für viele Ratschläge und Auskünfte und für manchen wertvollen Hinweis bei der Interpretation der Quellen verpflichtet. Mein Dank gilt schließlich denen, die es erst ermöglicht haben, daß diese Arbeit gedruckt werden konnte: dem Herrn Niedersächsischen Kultusminister in Hannover, der Calenberg-Grubenhagenschen Landschaft und ihrem Landsyndikus, Herrn Dr. Lampe, und endlich der Stadt Göttingen, in deren Mauern ich den größten Teil meines Studiums verbracht habe.

Reinhard Vogelsang




Einleitung
Es ist bekannt, daß das tägliche Leben im Mittelalter in weit größerem Ausmaß als heute von der Kirche bestimmt wurde. Was bezeichnet der Begriff "Kirche", bezogen auf die Stadtgeschichte? Er meint einmal die Zahl der kirchlichen Institute: Dom- und Kollegiatkirchen, Pfarrkirchen, Kapellen, Klöster, Schulen und Spitäler; er umfaßt ferner die Geistlichkeit: Stifts- und Ordensgeistliche, Pfarrer, Kapläne, Meßpriester; er bezeichnet schließlich den Kultus: die Gottesdienste der Sonn- und Feiertage und der Heiligenfeste, Prozessionen und Messen verschiedenster Art und Bestimmung. Die Kirche war aber auch weltliche Macht, und als solcher gehörten ihr Haus und Grund, Wald, Wiesen, Äcker, Viehherden, Mühlen. Geistliche beteiligten sich an Handel und Gewerbe. Geistliche Gerichte verhandelten nicht nur Rechtssachen der Kleriker untereinander, sondern auch bürgerliche Streitigkeiten. - Mittelalterliche Stadtgeschichte ist zugleich immer und in wesentlichen Zügen Geschichte des Klerus und der kirchlichen Institutionen.

Unter der städtischen Bevölkerung hatte die Geistlichkeit auf Grund ihrer Immunitätsprivilegien eine bevorrechtigte Stellung. Das privilegium immunitatis nahm sie von der Steuerzahlung für Vermögen, Haus und Grund aus und befreite sie von den Stadtpflichten wie etwa Wache und Torhut. Sofern Geistliche Handel trieben oder ein Gewerbe ausübten, brauchten sie die sonst üblichen Abgaben nicht zu tragen. Das privilegium fori sicherte ihnen den eigenen Gerichtsstand. Nun nahm die Zahl der Geistlichen im späteren Mittelalter in den Städten stetig zu - wir werden die Gründe dafür darlegen. Die anfangs nur einen engen Kreis von Einwohnern betreffenden Privilegien galten nun für einen beträchtlichen Teil der städtischen Bevölkerung und wurden so zu einer großen Belastung für die Stadt. Hier ergab sich der Ansatzpunkt für eine Unzahl von Streitigkeiten; denn das Ziel der städtischen Politik war, die Privilegien der Geistlichen zu beseitigen und den Klerus der übrigen Bevölkerung im Hinblick auf die Stadtlasten, die Wirtschaft und das Gericht gleichzustellen.

Die Bürgerschaft bemühte sich ferner um einen Anteil an der Verwaltung der kirchlichen Institute. Allem voran stand der Wunsch, die Pfarrer der Stadtkirchen frei wählen zu dürfen. Die Probleme des Kirchenpatronats und der Inkorporation gehören in diesen Zusammenhang. Parallel dazu, auf einer zweiten Ebene, verliefen die Auseinandersetzungen um die Besetzung und Verwaltung der Meßpfründstiftungen. Zielten solche Ansprüche auf die geistliche Verwaltung der Pfarrkirchen, so gab es daneben die - meist erfolgreichen - Bemühungen der Bürgerschaft, die Aufsicht über das Kirchengut in die Hand zu bekommen und für die fabrica der Pfarren das Amt der bürgerlichen Kirchenpfleger durchzusetzen. Auch Versuche, dieses Amt bei den Stiftern und Klöstern einzuführen, sind unternommen worden. - Zu den kirchlichen Instituten zählten im Mittelalter die Schulen und die Spitäler. Weil die Kunst des Lesens und Schreibens zunehmend ein Erfordernis des bürgerlichen Lebens wurde und weil nur eine gründliche Vorschulung den Weg zur Universität und damit zu höheren Ämtern ebnete, bemühte sich die Bürgerschaft um eigene Schulen. Nicht selten geriet sie durch die Errichtung einer oder mehrerer Stadtschulen in heftige Auseinandersetzungen mit den schon bestehenden kirchlichen Schulen, ungeachtet der Tatsache, daß es ja hier wie dort Geistliche waren, die als Lehrer wirkten. Auch die Armen- und Krankenpflege wurde zu einem Objekt der bürgerlichen Verwaltung. Der Übergang des Hospitalwesens in die Hände der Bürgerschaft ist dadurch erleichtert worden, daß die Spitäler häufig aus bürgerlichen Stiftungen hervorgingen. Wie bei den Meßpfründen blieb das Patronat über die Hospitalpfarre oft in der Hand der Stifterfamilie oder des Rates der Stadt; für die Verwaltung des Besitzes wurden Spitalpfleger eingesetzt.

Daß die Geistlichkeit das Eindringen der Bürgerschaft in die Verwaltung der kirchlichen Institute nicht ohne weiteres hinnahm, ist verständlich. So blieb nicht aus, daß es vielfach zu Streitigkeiten kam, und nicht immer trug die Bürgerschaft schließlich den Sieg davon. Die Arbeiten, die bisher zu unserem Thema vorliegen, zeigen eine große Vielfalt. Zwar gleichen sich die Probleme der einzelnen Städte, ganz verschieden waren aber die Ergebnisse der Auseinandersetzungen, nicht zuletzt deshalb, weil von Stadt zu Stadt verschiedene Voraussetzungen bestanden. Die Form der Stadtherrschaft hat dabei weniger eine Rolle gespielt als die Art der kirchlichen Institute und geistlichen Körperschaften und deren Ausstattung mit besonderen Privilegien.


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