Chronik für das Jahr 1952 |
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1. Januar 1952 In der Neujahrsnacht kam es am Flughafen und in der Johannis-Straße zu Massenschlägereien, bei denen es schwere Verletzungen gab, so daß die Polizei einschreiten mußte. 3. Januar 1952 Die Spruchkammer des Oberversicherungsamtes fällte in der heutigen, in Göttingen stattfindenden Sitzung eine Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung. Nämlich die Aufhebung einer Verfügung des Landesarbeitsamtes vom 18. Juli vorigen Jahres, wonach den Mitgliedern des Göttinger Opern- und Operetten-Theaters, die ohne festes Engagement sind, die Arbeitslosenunterstützung entzogen worden war. 4. Januar 1952 Oberstadtdirektor im Ruhestand Erich Schmidt, der mit kurzer Unterbrechung von der Kapitulation Göttingens im April 1945 bis zum 31. Dezember 1951 an verantwortlicher Stelle in der Verwaltung stand und sich in dieser schweren Zeit um die Stadt die größten Verdienste erworben hat, wurde heute zum Ehrenbürger der Stadt Göttingen ernannt. Die Ehrung fand im Rahmen einer eigens dazu anberaumten öffentlichen Ratssitzung in der Rathaushalle statt, an der auch Regierungspräsident Backhaus-Hildesheim teilnahm. Oberbürgermeister Föge überreichte die kunstvoll ausgeführte Urkunde dem Geehrten mit einer warmherzigen Ansprache. Der Fortgang des Bundesbahn-Zentralamtes von Göttingen nach Minden im vergangenen Jahr führt in den kommenden Monaten auch zur Verlegung des Chemischen Versuchsamtes der Bundesbahn, das bis spätestens 1. April nach Bückeburg gehen wird. Diese bedeutenden Ämter, die am Ende des Krieges hierher evakuiert worden waren, verlassen Göttingen, weil es nicht gelungen ist, ihnen Diensträume und Wohnungen in dem erforderlichen und gewünschten Ausmaß zur Verfügung zu stellen. Für Göttingen ist der Fortgang ein schwerer Verlust, prestigemäßig wie auch wirtschaftlich. Von den 15.608 derzeit in Göttingen wohnenden Ost-Flüchtlingen sind 5976 Schlesier, 3229 Ostpreußen, 1905 Pommern, 1334 Westpreußen, 932 Sudetendeutsche, 713 aus dem Warthegau, 454 aus Ost-Brandenburg, 188 aus Österreich, 82 aus Rumänien, 51 aus Jugoslawien, 8 aus Ungarn und 734 aus sonstigen Gebieten. Allein gegenüber dem Vormonat hat sich in Göttingen die Zahl der Flüchtlinge um 156 erhöht. Darin wirkt sich seine Lage und Eigenschaft als Grenzstadt an der sowjetischen Besatzungszone deutlich aus. 8. Januar 1952 Heute starb der älteste Göttinger männliche Einwohner, Reichsbank-Oberzählmeister außer Dienst Wilhelm Banse, wenige Wochen vor seinem 99. Geburtstag. 14. Januar 1952 Seit längerem wird - wie schon vor zwei Jahren - von Braunschweig aus der Versuch unternommen, das nur einen Landgerichts-Bezirk umfassende Oberlandesgericht Braunschweig dadurch lebensfähig zu halten, das ihm die Landgerichts-Bezirke Hildesheim und Göttingen angegliedert werden sollen. Wie in Hildesheim, so erfährt diese Plan auch in Göttingen lebhafteste Ablehnung. Der Hauptausschuß des Rates befaßte sich heute mit dieser Angelegenheiten und protestierte gegen eine Veränderung der altbewährten Verbindung der Stadt mit dem Oberlandesgericht Celle. 15. Januar 1952 Anläßlich seines 70. Geburtstages ehrte die Studentenschaft den bedeutenden Staats- und Kirchenrechtler, Professor Dr. jur., Dr. theol. h.c. Rudolf Smend, heute durch einen Fackelzug. Die Göttinger Schuhmacher-Fachschule (die einzige ihrer Art in der Bundesrepublik) erhielt die Nachricht von der Verleihung eines "Grand Prix" und eines "Prix d'honneur" auf der internationalen Schuh-Ausstellung in Wien 1951. Seit ihrer Gründung im Jahre 1949 hat die Schule 6 Goldmedaillen, 2 Ehrenpreise der Städte Kassel und Mainz und 2 mal einen "Grand Prix" erhalten. 18. Januar 1952 Die General-Versammlung der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften beschloß heute in Düsseldorf, Göttingen als Sitz ihrer Verwaltung beizubehalten, bis Berlin Bundeshauptstadt geworden ist. Göttingen schwebte in Gefahr die bedeutenden Institute an eine westdeutsche Großstadt zu verlieren. Auch der Rat der Stadt hatte sich in einer dringenden Entschließung für das Verbleiben in Göttingen eingesetzt. Durch den heutigen Entschluß der Gesellschaft ist die Stadt, wenigstens bis auf Weiteres, von einer schweren Sorge befreit. 19. Januar 1952 Für das Studienjahr 1952/53 wählte der Senat der Universität mit großer Mehrheit heute den Ordinarius für physiologische Chemie, Professor Dr. med. Deuticke, zum Rektor der Georgia Augusta. 20. Januar 1952 Superintendent Wiesenfeldt führte in feierlichem Gottesdienst den auf die zweite Pfarrstelle von St. Albani gewählten Pastor Johannes Leiskau aus Restorf (Kreis Dannenberg) ein. 23. Januar 1952 Am Brauweg rammte heute Nachmittag ein Zug der Gartetalbahn einen Autobus der Linie 6. Es entstand nur Sachschaden, Personen wurden glücklicherweise nicht verletzt. 25. Januar 1952 Wie in anderen Universitäts-Städten, vor allem Freiburg im Breisgau und Münster, kam es auch in Göttingen vor dem "Central-Theater" in der Barfüßerstraße nachmittags zu Kundgebung freiheitlicher Studenten gegen die Aufführung des Filmes "Hanna Amon" von Veit Harlan. Die Demonstrationen richteten sich gegen den Regisseur, der durch seinen Film "Jud Süß" in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes dessen antisemitischen Tendenzen gefördert hat. Sie wiederholten damit die im Februar 1951 an der gleichen Stelle gegen den Harlan-Film "Die unsterbliche Geliebte" gewesenen Kundgebungen. Von den demonstrierenden Studenten wurden Transparenten mit der Aufschrift "Friede mit Israel" und "Wir wollen keine Harlans mehr" getragen, was von gegnerischer Seite mit lebhaften antisemitischen Äußerungen beantwortet wurde. Nachdem es in den Straßen zu Schlägereien gekommen und die dritte Vorstellung durch Stinkbomben gestört war, schritt die Polizei ein und verbot zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit die weitere Aufführung des Filmes. Diese Ereignisse sind in der Bürgerschaft tagelang lebhaftest für und wider diskutiert worden. 48 Professoren und Dozenten der Universität wie der Pädagogischen Hochschule billigten in einem Flugblatt unter dem 29. Januar öffentlich die Motive der Demonstrationen, die sie als Zeichen politischen Verantwortungsgefühls der akademischen Jugend gegenüber antisemitischen und undemokratischen Tendenzen anerkannten. Unter den Unterzeichnern der Erklärung befanden sich einige der bekanntesten Persönlichkeiten der Göttinger Wissenschaft, wie der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Professor Otto Hahn, der berühmte Atomphysiker, Professor Werner Heisenberg, der Staats- und Kirchenrechtler, Professor Rudolf Smend. Auch der Intendant des "Deutschen Theaters", Heinz Hilpert, gehörte dazu. Der Rektor der Universität, Professor D. Dr. Trillhaas, stellte sich in einer Sitzung des Studentenrates hinter diese Erklärung. Versuche Harlans, Anfang Februar in Göttingen mit Rektor und Studentenschaft zu verhandeln, schlugen fehl, da weder der Rektor, noch der Allgemeine Studenten-Ausschuß ihn empfing. |
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