Jörres und Wucherpfennig
Der Schuhmacher Wilhelm Wucherpfennig und der Dreher Theodor Jörres hatten für einsitzende Mündener Kommunisten Geld gesammelt. Dieses wurde unvorsichtigerweise von Richard Scharf in einem Brief thematisiert, den er seinem Bruder Bernhard in das Gerichtsgefängnis Göttingen schrieb. (Richard Scharf) Bei der obligatorischen Postkontrolle wurde der verdächtige Passus entdeckt.
Scharf wurde umgehen verhaftet, am nächsten Tag, dem 27. April 1933, folgten ihm bereits Jörres und Wucherpfennig in das Gerichtsgefängnis.
Die Ortspolizei Münden bat den Oberstaatsanwalt in Göttingen für den Fall des Scheiterns einer Klage auf hochverräterische Umtriebe, den Vorgang an den Landrat in Göttingen abzugeben, damit die Kreispolizeibehörde die Schutzhaftverfügung erlassen kann. (…) Wesentlich ist der Umstand, daß hier bislang der rote Terror hemmungslos wütete und daher die kleinsten Ansätze staatsfeindlicher Umtriebe im Keim erstickt werden müssen.1
Die beiden wurden noch vor ihrem Abtransport nach Göttingen vom Krim.Ass. Lieberknecht vernommen. Beide hätten am 22. und 24.4. für die politischen Schutzhaftgefangenen Geld gesammelt, zuerst bei den Angehörigen der Inhaftierten. Wucherpfennig hätte ausgesagt: (...) Die Sammlung erfolgte aus reinem Solidaritätsgefühl heraus, um den Inhaftierten ihr Los zu erleichtern (...). Wucherpfennig gab an, nicht Mitglied er KPD zu sein, aber mit ihr sympathisiert zu haben. Zudem gehörte er kurze Zeit der Antifa an.
Jörres gab an, von Bekannten der Inhaftierten Tabak und Zigaretten erhalten zu haben, die dann an die Inhaftierten abgegeben wurden. Wer die Sachen mit nach Göttingen genommen hat, weiß ich nicht. (...) Interessiert bin ich insofern, als mein Schwager Eisfeld unter den Inhaftierten ist. Ich gehöre keiner Partei an, habe aber mit der KPD demonstriert. Auch der Antifa gehörte ich nicht an. Ich habe aus reinem Menschlichkeitsgefühl gehandelt, um den Inhaftierten ihr Los zu erleichtern.2
Dabei war die Wortwahl von beiden Inhaftierten durchaus überlegt. Die Sammlungen galten ausdrücklich den Gefangenen persönlich, konnten also nicht, wie z.B. der Kauf von Zeitungen oder Broschüren, als eine Unterstützung der KPD gelten. Gerade dieser „Tatbestand“ wird in späteren Prozessen von den Staatsanwaltschaften bis ins Kleinste ausgebeutet werden.
Beide
verblieben im Gerichtsgefängnis. Wucherpfennig wandte sich am 7.
Mai an den Landrat. In seiner Eingabe betonte er seine
Weltkriegsteilnahme und seine lange Arbeitslosigkeit,
unterbrochen von kurzen Jobs. Er habe sich nicht politisch betätigt,
aber an Demonstrationen der KPD und SPD teilgenommen. Als Gründe
für die Schutzhaft gab er an: (...) weil
ich für meinen Bruder und Schwager sowie mehrere Freunde, die
sich in Schutzhaft befanden, von Freunden und Bekannten zusammen
Rauchwaren zusandte. Ich glaube aber daß dieses nur aus
menschlichen Gefühlen heraus gemacht wurde und nicht aus
politischen Gründen. (…).3
Im Gegensatz zu der anfangs harten Haltung gegenüber Jörres, setzte sich die Mündener Polizei dann doch noch für ihn ein. Sie verwies gegenüber dem Landrat auf seine sehr kränkliche Frau. Zudem betonte sie, Jörres gehöre nicht zu den Häftlingen, bei denen im Hinblick auf die frühere politische Tätigkeit zu erwarten steht, daß sie sich nach einer Freilassung erneut in staatsfeindlichem Sinne betätigen. Einer Entlassung stehen Bedenken nicht entgegen.4 Am 19. Juni wurde Jörres aus der Schutzhaft entlassen.5
Drei Tage später folgte ihm Wucherpfennig.6
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Quelle:
Schutzhaft und politische Polizei Hann. Münden II. Kreisarchiv Göttingen, LA HMÜ 85.
1Schutzhaft und politische Polizei Hann. Münden II, S. 189, 27.4.1933 -Ortspolizei Münden an Oberstaatsanwalt Göttingen - Zuführung Wucherpfennig und Jörres.
2Ebenda, S. 188v-189, 27.4.1933 - Vernehmung Wilhelm Wucherpfennig und des Drehers Theodor Jörres Hann. Münden, Ziegelstr. 16 und Marktstr. 12.
3Ebenda, S. 131, 7.5.1933 - Wilhelm Wucherpfennig an Landrat – Eingabe.
4Ebenda, S. 193, 30.5.1933 - Ortspolizei an Landrat – Jörres.
5Ebenda, S. 195, 19.6.1933 - Verpflichtungserklärung Jörres.
6Ebenda, S. 132, 22.5.1933 - Verpflichtungserklärung Wilhelm Wucherpfennig.
Rainer Driever