Stationen der Stadtgeschichte

1717 - Textilfabrikant Grätzel Göttinger Bürger

Die Göttinger Tuchherstellung, ehemals der wichtigste Wirtschaftszweig, hatte, wie die gesamte Stadt, während des 17. Jahrhunderts einen steilen Niedergang erlebt. Um 1700 allerdings – und damit bereits vor Gründung der Universität – führten die von der hannoverschen Regierung erteilten Aufträge zur Herstellung von Uniformstoffen zu einer spürbaren Wiederbelebung. Einer der größten Nutznießer dieser gezielten staatlichen Wirtschaftsförderung war Johann Heinrich Grätzel.

Graetzel-Haus an der heutigen Goetheallee Grätzel wurde 1691 in Dresden geboren und hatte sich 1711 in Göttingen niedergelassen. Am 19. Juli 1717 wurde ihm das städtische Bürgerrecht verliehen. Schon bald stieg er durch sein ungewöhnliches unternehmerisches Talent zum größten Textilfabrikanten der Stadt auf, der an seinen einhundert Webstühlen rund 500 Arbeiter beschäftigte. Grätzel war ein typischer "Aufsteiger", der seinen schnell erworbenen Reichtum ungehemmt nach außen darstellte: Sein seit 1739 am Beginn der "Allee" - direkt gegenüber der neugegründeten Universität - errichtetes Wohnhaus übertraf an Pracht jedes andere Gebäude der Stadt. Es verwundert nicht, dass diese etwas unbeholfene Protzerei den scharfen Spott eines Georg Christoph Lichtenberg auf sich zog.

Auch während des ganzen 19. Jahrhunderts blieb die Textilwirtschaft der wichtigste industrielle Arbeitgeben Göttingens. Welche Wirtschaftskraft hier über die Zeiten hin lagt, zeigt die Tatsache, dass sich auch der Textilunternehmer Ferdinand Levin, dessen Betrieb die Grätzelsche Firma 1846 übernommen hatte, von 1899 bis 1902 in bester Lage – am unteren Ende der Schillerwiesen – ein überaus prächtiges Anwesen errichtete. Die von Grätzel begründete Tradition fand ein Ende, als die Levinsche Tuchfabrik 1931 ein Opfer der Weltwirtschaftskrise wurde.

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