Wilhelm König
Der Bäckermeister Wilhelm König wurde am 6. November 1898 in Hattorf geboren. Zur Zeit der Machtübernahme wohnte er mit seiner Frau Minna (geb. Gerelt) in Groß Lengden, Nr. 102.1 Beide waren Angehörige der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung (IBV). Vom Jahresanfang 1930 bis zum 1. April führte Wilhelm König als Selbständiger eine Bäckerei im Ort.
Das
Ehepaar besuchte die Versammlungen der Zeugen Jehovas in Grone. In
Groß Lengden selbst kam es bereits im Frühjahr 1933 zu
Ächtung und Verfolgung des Ehepaars durch die örtliche SA.
Minna König gab in ihren Entschädigungsverfahren 35 Jahre
später an:
Am
15.3.36 marschierte die SA vor dem Haus der Königs auf und
skandierte, angeführt vom örtlichen Lehrer, Parolen gegen
die beiden Zeugen Jehovas. Am folgenden Tag, dem 16.3., dem Tag der
Wahl, sollte die Mutter von Minna König zur Wahl gebracht
werden. Minna Schäfer verweigerte dies aber mit dem Hinweis,
dass sie nicht wählen würden. Dies brachte ihr eine Anzeige
des Ortsgruppenleiters Schäfer und ein anschließendes
Polizeiverhör ein. Die Fürsprache des Bürgermeisters
verhinderte eine Verhaftung.
In der anschließenden Nacht
(16.3.33) zertrümmerten Angehörige der SA alle Fenster im
Erdgeschoss, in der Bäckerei auch die Fensterkreuze. Angeblich
fiel sogar ein Schuss. (…) Die angerufene Polizei erschien in
der Nacht nicht, dafür (erschien sie) aber in der Folgezeit, um
die Personalien von Eltern gefährdeter Kinder aufzunehmen.2
Am
8. Dezember erhielt Frau König wegen ihrer Verweigerung der
Teilnahme an der Reichstagswahl und Volksabstimmung (Abstimmung über
bereits vollzogenen Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund) am
12. November eine Verwarnung des Landrats: Sie
haben am 12. November einem Angehörigen der NSDAP gegenüber,
der Kranke zum Wahllokal holen wollte und den Auftrag hatte, Sie zu
holen, Aeusserungen gemacht, die den Verdacht aufkommen lassen
können, daß Sie staatsfeindlich eingestellt sein
können.
Die angestellten Ermittlungen lassen jedenfalls
Zweifel über Ihre Einstellung offen.
Hierdurch warne ich Sie,
durch unbedachte Aeusserungen Dritten gegenüber den Anschein zu
erwecken, als ob Sie staatsfeindlich eingestellt seien.3
Die Königs wurden an den Rand der Dorfgemeinschaft gedrängt. Durch ihre Verweigerung der Teilnahme an Wahlen sowie des Hitlergrußes waren sie im Dorf als „Staatsfeinde“ allgemein bekannt. Hinzu kamen Haussuchungen und Vernehmungen durch die Gestapo.4
Am 1.4.1937 wurde Wilhelm König kurz vor Mitternacht in seinem Hause von zwei Gestapo-Beamten verhaftet. Über seinen Prozess ist weiter noch nichts bekannt, ob seine Verhaftung noch im Zusammenhang mit der Flugblattverteilung in Göttingen stand oder aufgrund seiner Kuriertätigkeit erfolgte, die er für die IBV ausübte, muss an dieser Stelle ungeklärt bleiben. Sein Auto wurde beschlagnahmt (dies und die Haftdauer spricht für eine Verurteilung wegen Kuriertätigkeit, die er laut Schmalstieg mit seinem Auto ausübte). König wurde darüber hinaus das Recht entzogen, Lehrlinge auszubilden. 5
Die Strafe verbüßte König ab 1.4.1937 in den Gerichtsgefängnissen Göttingen, Hildesheim und Hannover. Vom 1.4.1940 - 16.5.1940 war er noch einmal im Polizeigefängnis Hannover inhaftiert, zusammen 37 Monate und 16 Tage. Er wurde wegen Haftunfähigkeit entlassen.6 Eine starke Mandelentzündung mit anschließendem Bronchialkatarrh zog er sich im Winter 1937/38 zu. König musste aus der warmen Gefängnisbäckerei, in der er beschäftigt war, täglich das Essen über den kalten Gefängnishof zu den verschiedenen Stationen tragen. Dieser ständige Wechsel zwischen geheizten Räumen und winterlich kalten Außenbereichen in leichter Gefängniskleidung löste seine Krankheit aus. 1939 bekam er erneut eine Mandelentzündung und litt zusätzlich unter Rheumatismus. Kurz vor Ablauf seiner Gefängnisstrafe verletzte er sich am Fuß, sodass er sich nur noch mittels eines Besenstiels fortbewegen konnte. Den Rest der Haft verbrachte er im Lazarett und war zum Schluss vollständig bettlägerig. Am 1.4.1940 wurde er bei seiner Entlassung von der Gestapo in Schutzhaft genommen. Seine Krankheit war so fortgeschritten dass er von seinen Mitgefangenen getragen werden musste. Am 16. Mai wurde er als haftunfähig entlassen.7
Nach seiner Inhaftnahme 1937 leitete seine Frau Minna die Bäckerei. Ihre beiden Gesellen wurden kurz darauf zum Arbeitsdienst eingezogen. Als politisch Unzuverlässige erhielt Minna König vom Arbeitsamt keine neuen Arbeitskräfte. Notgedrungen führte ihre alte Mutter nun den Haushalt während Frau König mit ihrer Nichte den Bäckereibetrieb aufrechterhielt. Haussuchung nach verbotenen Schriften und Erkundigungen über die schulische Führung des Sohnes Gerhard (mit der Drohung, ihn aus der Familie zu holen, da eine nationalsozialistische Erziehung dort nicht gewährleistet war) schufen ein Klima permanenter Unsicherheit. Gerhard König verbrachte deshalb 4 ½ Jahre bei Minna Königs Schwester in Bad Harzburg.
Die Entlassung Wilhelm Königs aus der Haft verschärfte die Situation eher noch, weil er bis zum Frühjahr 1941 bettlägerig war. Erneute Bemühungen um einen Gesellen wurden wiederum mit der Begründung einer „staatsfeindlichen“ Arbeitsumgebung abgelehnt. Während ihrer Schwangerschaft 1942/43 und einem gesundheitlichen Zusammenbruch Minna Königs erhielt die Familie zumindest für drei Wochen einen Gefangenen zur Hilfe. Um einer drohenden Geschäftsaufgabe zu entgehen, nahmen die Königs ihren Sohn im Herbst 1944 aus der Schule, um im elterlichen Betrieb zu helfen.8 Eigentlich wollte Gerhard Medizin studieren, als Schulabbrecher hatte er dazu keine Gelegenheit, auch in die Lehrlingsrolle der Bäckerinnung konnte er erst nach dem Krieg eingetragen werden.9
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Quellen:
Entschädigungsakte Koenig, Gerhard, Archiv des VVN-BdA Niedersachsen e.V., Fach 41, Nr. 362.
Entschädigungsakte König, Minna Auguste, Archiv des VVN-BdA Niedersachsen e.V., Fach 41, Nr. 363.
Entschädigungsakte König, Wilhelm, Archiv des VVN-BdA Niedersachsen e.V., Fach 41, Nr. 364.
Groß Lengden – Sattenhausen, Kreisarchiv Göttingen, LK GÖ 855.
1Entschädigungsakte König, S. 1, ohne Datum - handschriftlich - Klage König.
2Ebenda, Bl. 3, 4.3.1958 - Begründungsschrift Entschädigungssache König an Entschädigungskammer Landgericht Hildesheim.
3Groß Lengden - Sattenhausen, Bl. 1, 8.12.1933 - Landrat an Ehefrau König - Staatsfeindliche Einstellung.
4Entschädigungsakte König, Bl. 2, 31.1.1958 - Minna König an Entschädigungskammer Landgericht Hildesheim.
5Groß Lengden - Sattenhausen, Bl. 21, 30.5.1946 - Militärregierung - Personalfragebogen Wilhelm König.
6Entschädigungsakte König, Bl. 2, 24.4.1967 - Wilhelm König an Hollack - Brief handschriftlich.
7Ebenda, Bl. 3, 21.2.1958 - Wilhelm König an Entschädigungskammer Landgericht Hildesheim.
8Ebenda, Bl. 1, 15.11.1957 - Abschrift: Verfolgungsvorgang Wilhelm König.
9Ebenda, Bl. 1, 8.3.1966 Gerhard König an Reg.Präs. Hannover, Entschädigungsbehörde.
Rainer Driever