Reichsbanner
Das Reichsbanner war eine Selbstverteidigungsorganisation der SPD, 1924 in Magdeburg gegründet. Es war zur Verteidigung von Staat und Republik konzipiert, schützte in der Radikalisierungsphase der politischen Auseinandersetzung ab 1930 aber vor allem SPD-Veranstaltungen.
Ab
dem 16.12.1930 war das Reichsbanner
Teil der Eisernen
Front,
die zusammen mit dem Allgemeinen
freien Angestelltenbund
(AfA-Bund), den Arbeiter-Sportvereinen, der SPD und dem ADGB
gegründet wurde.1
Am 7. Jahrestag der Gründung es Reichsbanners am 23.2.1931 kam es zu einem Aufmarsch in Göttingen (Volksblatt 24.2.1931). 500 Reichsbanner-Leute aus Göttingen und dem Kreisgebiet zogen abends mit Fackeln durch Göttingen (bei Mobilisierung konnte man mit 900 Personen rechnen). Die Organisation war kopfmäßig stärker als die SA, sodass Veranstaltungen normalerweise nicht von diesen gesprengt werden konnten (Ausnahme Volksblatt Nr. 48, 16.2.1932).2 Bei abzusehenden Konfrontationen mit der SA holte man sich zudem aus Hann. Münden Verstärkung.3
1932 war die Ortsgruppe organisatorisch dem Unterbezirk Göttingen eingegliedert, der die Ortsvereine Göttingen-Stadt und -Landkreis umfasste. Der Unterkreis Göttingen (Führung Ernst Georg, bzw. der Otto Rogge) war dem "Kreis Göttingen" eingegliedert, in dem außerdem noch die Unterkreise Northeim, Uslar und Einbeck zusammengefasst waren. Der Kreisführer kam aus Northeim. Der Kreis Göttingen des Reichsbanners gehörte zum Gau Hannover, dessen Führer der Landtagsabgeordnete Lau aus Hannover war.
Seit Herbst 1930 gliederte sich das Reichsbanner als Reaktion auf den verstärkten Straßenterror der SA in verschiedene Teile. Führer des aktiven Reichsbanners (Schutzformation - Schufo) in Göttingen war Wilhelm Surk. Die Schufo umfasste 100 Mann und war mit einem grünen Hemd und Schulterriemen quasiuniformiert. Die Stammformation des Göttinger Reichsbanners (Stafo) zählt etwa 250-300 Mann, geführt vom Arbeiter August Bartels aus Rosdorf. Die Jugendorganisation des Reichsbanners (Jungbanner) zählte etwa 60 Mitglieder, geführt von dem Verkäufer Fritz Schlote aus Grone.
Auf
Gewerkschaftsseite standen die Hammerschaften
dem Reichsbanner
zur Seite. Sie gehörten einer dem ADGB angeschlossenen
Bezirksorganisationen
an.
Die Kriminalpolizei Göttingen ging nicht davon aus, dass in den
Göttinger Betrieben Hammerschaften
bestanden.
Trotz der Schwierigkeiten, Informationen dazu zu erlangen, schätzte
die Polizei deren Mitglieder trotzdem auf einige hundert Personen.
Die Bildungsarbeit wurde in gelegentlichen Vorträgen realisiert, zur politischen Orientierung diente das Verbandsorgan Das Reichsbanner sowie das Volksblatt. Zudem unterhielt das Reichsbanner ein eigenes Musikkorps (1932 mindestens 32 Mitglieder), was für die Präsenz auf der Straße zentral wichtig war.4
Einheitsfrontbestrebungen in den Göttinger linksgerichteten Kreisen (KPD, Antifa und ISK mit Sonderstellung) gab es 1932 nicht, den Kommunisten stand die Führung der Eisernen Front unversöhnlich gegenüber. Die Anhänger und Mitglieder der Organisationen hingegen standen zu verschiedenen Gelegenheiten gegen die Nazis zusammen.5
Willi Rohrig, ein Zeitzeuge der Auseinandersetzungen erinnerte sich: Es hat nie Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und den Leuten des "Reichsbanners" gegeben (...). Die Gewerkschaften und das "Reichsbanner" mußten ihre ganze Kraft aufwenden, um gegen die SA-Studenten-Stürme, die es schon vor 1933 in Göttingen gab, anzukommen. Die SA–Stürme machten ihre Märsche mit Fackeln, und wenn das "Reichsbanner" so etwas unternahm, mußten die Kommunisten mitwirken, indem sie dem "Reichsbanner" den Rücken freihielten. So ist es oft zu Prügeleien zwischen der SA und den Kommunisten gekommen.“6
Die Verteidigungsbereitschaft wurde über sog. "Alarmbereitschaften" simuliert, die unregelmäßig die Mitglieder versammelte. Dies zog natürlich den Blick der Obrigkeit auf sich.7
1933
Das Reichsbanner war eine gut situierte und etablierte Organisation. So reagierte sie auch auf die Machtübernahme der Nazis. Viele Mitglieder warteten auf das Signal zum Losschlagen, allerdings verzichtete die SPD-Führung auf außerparlamentarische Aktionen und mahnte zu Ruhe und Disziplin.
Zwei
Wochen nach der Machtübergabe und nach drei Vorstandssitzungen
der Partei, kam es am 15. Februar zu einer Demonstration der Eisernen
Front
mit SPD, Gewerkschaften, Reichsbanner
Schwarz-Rot-Gold
und den Arbeitersportvereinen.8
Ungefähr
900 Menschen nahmen an dem Zug teil. Der Verlauf war friedlich,
lediglich an der Ecke Weender- und Barfüßerstraße
kam es zu Rempeleien mit der SA. Die abschließende Kundgebung
fand im Volksheim statt. Sie wurde durch Gewerkschaftssekretär
Borowski eröffnet und der SPD-Spitzenkandidat aus Hannover,
Richard Partzsch, beschwor in seiner Rede den Weiterbestand der
Partei, die selbst Wilhelm II. und Bismarck überstanden habe.9
Zur letzten öffentlichen Versammlung am 3. März gelang es der Eisernen Front noch einmal, 300 Personen zu mobilisieren. Im Volksheim sprach Reichstagsabgeordneter Karl Raloff, Hannover, zum Thema "Die Wahlen am 5. März 1933.10
Im März wurde das Reichsbanner im ganzen Reich (in den einzelnen Staaten zu verschiedenen Terminen) verboten. Mitte März konnten noch sämtliche Unterlagen der Göttinger Gruppe mit Ausnahme des Kassenbuchs und der Ausgabebelege verbrannt werden. Mit dem Verbot als staatsfeindliche Organisation ging die penible Vermögensverwaltung bzw. -aneignung durch die neuen Machthaber einher. Beschlagnahmt wurde oft, da es sich um kleine Geldbeträge handelte, persönlich durch einen Beauftragten. Bei der Beschlagnahme des Vermögens des Jungreichsbanners Anfang Mai 1933 erhielt SA-Sturmführer Karl-Heinz Lange die betreffenden 50 RM direkt vom Kassierer Hönsch.11
Unter
die Vermögensverwaltung fielen auch die Sachwerte der nun
verbotenen Organisationen. Anlässlich der Besetzung der
Gewerkschaftshäuser am 2. Mai wurde durch den Beauftragten
Kleine im Büro der SPD die Ausrüstung des Reichsbanners
beschlagnahmt (Hemden, Selbstbinder, Sturmriemen und die bekannten
„Drei-Pfeile-Wimpel“ als Abzeichen der Eisernen
Front).12
Dies traf auch den Reichsbanner-Musikzug, dessen Instrumente auf
Anordnung des Regierungspräsidenten in Hildesheim
an SA und SS weitergegeben wurden.13
Die Instrumente waren Eigentum der Musiker und nicht etwa zentral
angeschafft. Standartenführer Peter (Kommissar der
Ortspolizeibehörde Göttingen) wurde Anfang Mai als
Verantwortlicher für
die ordnungsgemäße Übernahme und Feststellung u.a.
des Reichsbannervermögens
bestimmt.14
Hatte es vom Reichsbanner bereits Mitgliederabwanderungen zur Antifa gegeben, so traten nun durchaus prominente Mitglieder der Organisation der SA bei, so z.B. Willi Schlote als ehemaliger Führer und Hönsch als Kassierer des Jungbanners.15 Nach Auskunft des Sturmführers Karl-Heinz Lange hielten sich Schlote und Hönsch als Mitglieder des SA-Sturms I/81 gut, obwohl es noch Turbulenzen um eigenmächtig transferierte Ausrüstung des Jungbanners zum SA-Sturm gab.16
Wie argwöhnisch das Tragen von Abzeichen und Emblemen des Reichsbanners beobachtet wurde, machte ein Vorfall im November 1933 klar. Der Schuhmacher Ernst Seegers wurde mit einem verdächtigen Abzeichen (Verdacht Reichsbanner) auf der Groner Straße angetroffen. Er war in Begleitung seines Freundes, des SS-Mannes Paul Schmitz. Das Abzeichen wurde als eine Neuanfertigung des früheren Reichsbanner-Abzeichens identifiziert und von Seegers sofort abgegeben.17 Bei seiner Vernehmung Ende des Monats gab Seegers an, das Abzeichen zusammen mit einer Schirmmütze 1932 in einem Geschäft in Hannover gekauft zu haben.18 Die Nachfrage bei der Stapo-Stelle Hannover in Hannover ergab allerdings, dass das Abzeichen durchaus harmlos war.19
Der große Aufwand innerer Organisation des Reichsbanners erwies sich angesichts der neuen Situation als Fassade.20 Konzipiert auf eine Verteidigung gegen den politischen Gegner, war sie nun als Kampfmittel gegen einen neuen Machthaber wirkungslos. Der legalistische Kurs der SPD-Führung, der auf die Einhaltung von Ruhe und Disziplin angelegt war, erwies sich schnell als ein Grund für eine Lähmung. Für den „einfachen Reichsbannermann“ war diese Ohnmachtserfahrung durchaus dramatisch, wähnte man sich doch als Mitglied einer mit annähernd tausend Mitgliedern in Göttingen mächtigen Organisation.
Geblieben waren alte Embleme und Abzeichen der Zugehörigkeit, deren Besitz nun – wenn nicht rechtzeitig entsorgt – Gefahr bedeutete. Die alte Reichsbannerfahne wurde vom Großvater auf dem Dachboden verborgen, der Roller mit dem Wimpel der Eisernen Front musste bei Hausdurchsuchungen schnell beiseite geräumt werden.21
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Literatur und Quellen
Augenzeugenbefragung Willi Rohrig (30.12.1976). Stadtarchiv Göttingen, Dep. 77 I, Nr. 78.
Berichte über stattgefundene öffentliche Volksversammlungen. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir., Fach 153, Nr. 6.
Beschlagnahme staatsfeindlichen Vermögens. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir., Fach 31a, Nr. 10.
Bons, Joachim; Denecke, Viola; Duwe, Kornelia; Löneke, Regina; Tapken, Bernd (Hg.) (1986): "Bohnensuppe und Klassenkampf". Das Volksheim: Gewerkschaftshaus der Göttinger Arbeiterbewegung von der Entstehung im Jahre 1921 bis zu seiner Zerstörung 1944. Göttingen.
Breuker, Ulrich (1974): Die SPD in Göttingen. Eine Studie zum Wiederaufbau und zur Entwicklung der Partei 1945 - 1949 unter Berücksichtigung ihrer lokalen Geschichte während der Weimarer Zeit. Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der wissenschaftlichen Prüfung für das Lehramt an Gymnasien. Göttingen.
Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir., Fach 153, Nr. 21.
Rosenbaum, Heidi (2014): "Und trotzdem war's 'ne schöne Zeit". Kinderalltag im Nationalsozialismus. Frankfurt a.M.
Sicherheitspolizei im Allgemeinen. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir., Fach 30, Nr. 1.
Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik: Schutzhaft. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir., Fach 31a, Nr. 2, Bd. 1.
1Bons (1986), S. 39.
2Breuker 1974, S. 38, 23.2.1931 – Reichsbanner-Aufmarsch.
3Augenzeugenbefragung Willi Rohrig 30.12.1976, S. 18.
4Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, S. 4v, 1932 - Mitglieder des Musikkorps des Reichsbanners.
5Ebenda, S. 6-7v, 30.8.1932 - Ortspolizei an Polizeipräsidenten Hannover - Bericht Griethe - Reichsbanner.
6Augenzeugenbefragung Willi Rohrig 30.12.1976, S. 8.
7Sicherheitspolizei im Allgemeinen, S. 135, Reg.Präs. Hildesheim, Alarmbereitschaften politischer Verbände, 21.7.1932.
8Bons et al. 1986, S. 63, 16.2.1933 - Artikel des Volksblatts über die letzte große Demonstration.
9Berichte über stattgefundene öffentliche Volksversammlungen, S. 52-53v, vom16.2.1933 - Bericht Alfter - Versammlung Gewerkschaften.
10Ebenda, S. 65-65v, 28.2.1933 - Eiserne Front an Polizeidirektion - Ankündigung einer Wahlkundgebung.
11Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, S. 31, nach Mai 1933 - Nachweis Beschlagnahmung Reichsbanner-Guthaben.
12Ebenda, S. 15, nach 2.5.1933 – Nachweis beschlagnahmtes Vermögen Reichsbanner.
13Ebenda, S. 16, nach 2.5.1933 - Nachweis beschlagnahmtes Vermögen Reichsbanner.
14Beschlagnahme staatsfeindlichen Vermögens, S. 2, 10.5.1933 - Gnade an Standartenführer Peters - Beschlagnahmung Vermögen staatsfeindlicher Organisationen.
15Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, S. 24–26, 31.7.1933 - Vorladung Willi Schlote.
16Ebenda, S. 27, 29.7.1933 - Aussage Lange.
17Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik, S. 309-309v, 10.11.1933, Untersuchung wegen eines verdächtigen Abzeichens an der Mütze des Schuhmachers Ernst Seegers.
18Ebenda, S. 311-311v, 30.11.1933 - Vorladung und Bericht: Untersuchung wegen eines verdächtigen Abzeichens an der Mütze des Schuhmachers Ernst Seegers.
19Ebenda, S. 312, Antwort aus Hannover, 8.12.1933: Untersuchung wegen eines verdächtigen Abzeichens an der Mütze des Schuhmachers Ernst Seegers.
20Breuker 1974, S. 38, 23.2.1931 – Reichsbanner-Aufmarsch.
21Rosenbaum 2014, S. 410–411.
Rainer Driever