Heinrich Wiemer

Am 8.April wurde die Wohnung des Arbeiters Heinrich Wiemer (geb. 12.1.1904) am Schloßplatz 12 durchsucht. Das Gefundene reichte für die Einleitung eines Strafverfahrens und Wiemer wurde am 24. April in das Gerichtsgefängnis Göttingen als Schutzhäftling überführt.

Dort kam es zu einer Denunziation durch einen Mitinsassen, der entweder gezielt auf Wiemer angesetzt worden war oder sich Vorteile davon versprach. Jedenfalls teilte der Denunziant, ein Mitglied des Stahlhelms, der Polizei mit, daß nach wie vor bei dem Kommunisten Wiemer Kommunisten in erheblicher Zahl ein- und ausgehen. So (sind) zuletzt am 23.4.1933 tagsüber Kommunisten laufend ein und ausgegangen. Zudem wollte er gehört haben, dass Wiemer vor etwa 14 Tagen gesagt habe, daß in etwa 1/4 Jahre die Sache wieder anders gekommen sei, und der Polizeikommissar Meier und der Kriminalassistent Lieberknecht bei dieser Gelegenheit aus der Stadt gepeitscht würden. Polizeikommissar Meier kommentierte in seinem Bericht: Wiemer ist zweifellos als fanatischer Kommunist anzusprechen. Wenn er bislang noch nicht in Schutzhaft genommen wurde, so wurde dies lediglich deshalb unterlassen, weil er nach aussen hin nicht besonders gewalttätig auftrat.1

Drei Tage nach seiner Inhaftierung stellte Wiemer einen Antrag auf Haftentlassung.2 Nach seiner Überführung in das Konzentrationslager Moringen stellte Wiemer erneut einen Antrag. Diesen begründete er mit seinem anstehenden Prozess vor dem Göttinger Schöffengericht am 21.7.1933. Da er mit einer Verurteilung zu einer Haftstrafe rechnete, bat er den Landrat um Entlassung, um vor dem Prozess noch einige Dinge regeln zu können.3

Diese Bitte wurde aufgrund einer polizeilichen Einschätzung an den Landrat abgelehnt: Wiemer ist der geistige Förderer der kommunistischen Idee. Seine Freilassung kann aus sicherheitspolizeilichen Gründen nicht befürwortet werden, umsoweniger, als die KPD erneut beginnt, im Geheimen gegen die Nationale Regierung zu arbeiten.4

Im September wurde ein erneutes Entlassungsgesuch mit einer detaillierteren Begründung abgelehnt. Wiemer wurde nun charakterisiert als nicht nur einer der eifrigsten Kommunisten in Münden, sondern auch der geistige Führer derselben. Wenn er auch in der Öffentlichkeit nicht besonders hervorgetreten ist, so steht doch fest, daß er aus dem Hinterhalt mit besonderem Eifer gearbeitet hat. Bei Wiemer ist s.Zt. die umfangreichste kommunistische Literatur beschlagnahmt worden.5

Eine Woche später befürwortete Kommissar Meier plötzlich Wiemers Entlassung gegenüber dem Landrat und erklärte dies mit Wiemers Parteiaustritt: Wiemer war der weit über dem Durchschnitt stehende geistige Leiter und Führer der kommunistisch eingestellten Mündener Erwerbslosen. Er gehörte früher der K.P.D. an, geriet aber mit dieser in Differenzen und trat aus der Partei aus. Einer Entlassung steht nichts im Wege. Nach außen hin trat er nicht besonders gewalttätig auf.6

Am 2. Oktober wurde Karl Wiemer aus dem Konzentrationslager Moringen entlassen.7 Allerdings wurde er bei seiner Entlassung gleich wieder verhaftet und in das Gerichtsgefängnis in Northeim eingeliefert, um dort eine Gefängnisstrafe zu verbüßen.8 Diese war anscheinend relativ kurz, da Heinrich Wiemer bereits im November 1933 in der Liste der meldepflichtigen Personen in Hann. Münden wieder auftaucht. 9



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Quelle:

Schutzhaft und politische Polizei Hann. Münden II. Kreisarchiv Göttingen, LA HMÜ 85.



1Schutzhaft und politische Polizei Hann. Münden II, S. 110, Bericht Gerichtsgefängnis - Paul Schwuchow über Heinrich Wiemer.

2Ebenda, S. 113, 2.5.1933 - Landrat - Vermerk Wiemer.

3Ebenda, S. 114, 4.7.1933 - Eingabe um Entlassung aus Schutzhaft Moringen an Landrat.

4Ebenda, S. 115, 11.7.1933 - Ortspolizei Münden an Landrat – Wiemer.

5Ebenda, S. 116, 19.9.1933 - Ortspolizei Münden an Landrat - erneut: Entlassung Wiemer.

6Ebenda, S. 117, 26.9.1933 - Ortspolizei Münden - zum Bericht Wiemer.

7Ebenda, S. 118, 2.10.1933 - Verpflichtungserklärung Wiemer.

8Ebenda, S. 150, 2.10.1933 - Kommandant Moringen an Landrat.

9Ebenda, S. 120–121, 21.11.1933 - Verzeichnis der Personen mit polizeilicher Meldepflicht.

Rainer Driever