Die KPD-Ortsgruppe Göttingen
Die
Wahlergebnisse, die die Kommunisten in Göttingen erzielten,
lagen in der letzten Phase der Weimarer Republik stets bei der Hälfte
des Reichsanteils der Partei. Bei der Reichstagswahl am 14.9.1930 lag
das Göttinger Ergebnis noch bei 9,1% (13,1% reichsweit), bei der
Reichspräsidentenwahl am 13.3.1932 bei 7,6% für Thälmann
(13,2% reichsweit), bei der Reichstagswahl am 31.7.1932 bei 7,1%
(14,5% reichsweit), bei der Reichstagswahl am 6.11.1932 bei 8,7%
(16,9% reichsweit) und bei der Reichstagswahl am 5.3.1933 bei 6,1%
der Stimmen (12,3% reichsweit). Bei der Kommunalwahl am 12.3.1933
erzielte die KPD noch einmal 6,1% der Stimmen in Göttingen.
Gewalt
In
einem gewissen Gegensatz zu ihrem politischen Einfluss war die KPD
der Hauptantagonist der NSDAP auf den Göttinger Straßen.
Die Beispiele dafür sind zahlreich. Es seien hier nur kurz 4
Beispiele angeführt.
Auseinandersetzungen
fanden oft als Schlägereien zwischen Einzelnen oder kleinen
Gruppen statt. Im Verzeichnis von politischen Ausschreitungen für
den Juli und August 1932 ist zu lesen:
31.7.:
vor dem Lokal "Jagdstube“ - Angreifer NSDAP, Angegriffene
KPD und Eiserne Front, Angreifer in SA und SS-Uniform, 2
Leichtverletzte, kein polizeiliches Einschreiten mit
Waffengewalt
8.8.: Düsterer Eichenweg, Angreifer KPD,
Angegriffener 1 SA-Mann, nicht uniformiert, 1 Mittelschwerverletzter,
kein polizeiliches Einschreiten mit Waffengewalt.1
Kleinere Schlägereien am Rand von Demonstrationen konnten sich zu Auseinandersetzungen zwischen den Kommunisten und der SA ausweiten. So z.B. die Vorfälle anlässlich einer Demonstration des Reichsbanners zusammen mit der KPD am 4.7.1932. Die Göttinger Zeitung2 und das Volksblatt3 berichteten über die Vorfälle.
Mitunter
wurden auch einzelne Einrichtungen der Arbeiterschaft angegangen, wie
der SA-Angriff auf das Volksheim im Jahre 1930 zeigt.4
Aber
auch innerhalb von Lokalen konnte es zu größeren
Schlägereien kommen. (Saalschlacht
1928 PDF)
Dieses Klima der Gewalt war durchaus prägend für den öffentlichen Bereich. Ein Zeitzeuge, damals im Schulalter, erinnerte sich: (...) also die Jahre waren ja politisch schon kolossal unruhig, und dadurch, (...) hab ich ja diese ganzen Krawalle miterlebt. Die Kommunisten marschierten ja immer in blauen Jacken mit Schalmeien, und die marschierten dann zuerst durch, und dann kamen hinterher die Nazis in ihren SA-Uniformen, und dann gab's die großen Schlägereien, nech. Das war furchtbar! Furchtbar! Als Kind hat man da auch Angst gehabt.5
Ansehen
Die Bedingungen für die KPD waren in Göttingen alles andere als ideal. Hannah Vogt, seit dem 1.8.1930 Parteimitglied, erinnerte sich an die Verbindungen der Roten Studentengruppe zur Ortsgruppe: Unsere Verbindungen zur Partei waren etwas schwierig, denn die Partei, die KPD hier in Göttingen, genoß kein besonderes Ansehen. Es gab eine Reihe Mitglieder aus lumpenproletarischen Verhältnissen, die verhinderten, daß die Partei ein ähnliches Renommee erhielt, wie sie es z. B. in Lauterberg im Harz hatte. (…) In Göttingen war die KP eine Randerscheinung. Ein großer Teil der Wähler lebte entweder in dem damaligen Ebertal, im Maschmühlenweg oder in der Eisenbahnstraße. Wenigstens zweimal habe ich erlebt, daß die Parteileitung in Hannover einen sog. Sekretär nach Göttingen schickte. Wir waren offenbar nicht imstande, irgend jemanden zu wählen, der dieses Amt bekleiden konnte.6
So tauchen auch in den Interviews mit Zeitzeugen aus dem Bürgertum in Göttingen immer wieder dieselben Straßenzüge auf, von denen sich die meisten der Kinder damals fernhielten: Das waren neben der Oberen Masch in Bahnhofsnähe vor allem das Ebertal und der Maschmühlenweg. Für eine Schülerin waren beide Gebiete verrufene Gegenden, die sie mied. Ein anderes Mädchen bezeichnete den Maschmühlenweg als anrüchig. Ein Schüler wuchs in der Gewissheit auf, dass dies keine gute Gegend sei.7 Kommunisten waren überhaupt bedrohliche Figuren für die Kinder des Bürgertums. Eine Schülerin gab über ihre Angst Auskunft: (...) und wovor wir Angst hatten, meine Freundin und ich, (...) wovor wir als Kinder wahnsinnige Angst hatten, das habe ich heute noch ganz gut in Erinnerung: Kommunisten und Zigeuner. Das war uns wohl einfiltriert worden, dass das ganz böse Menschen sind. Und wenn wir spazieren gingen, und da waren so zwei, die so diskutierten und so, dann sagte meine Freundin: „Das sind sicher Kommunisten! Komm, lass uns hier weggehen.“8
Einbettung in die linke Politik in Göttingen
Ideologisch
von der KOMINTERN (Kommunistischen Internationale) geführt,
akzeptierte die deutsche KPD ab 1929 die Sozialfaschismusthese, die
alle Funktionsträger der Freien Gewerkschaften und der
SPD zu Feinden erklärte. Sie charakterisiert den Faschismus als
eine Kampforganisation der Bourgeoisie und die Sozialdemokratie als
den linken Flügel des Faschismus. Spaltung,
Zersplitterung und Lähmung der Arbeiterbewegung waren das
Resultat. In Göttingen litt unter diesen Flügelkämpfen
nicht nur die Antifaschistische Arbeiterwehr, es litt auch die
Präsenz der KPD in den wenigen Industriebetrieben der Stadt. So
wurde z:B. Hermann Fraatz, KPD-Mitglied und vor 1933
Betriebsratsvorsitzender im Reichsbahn-Ausbesserungswerk, Ende 1930
aus der KPD ausgeschlossen. Als Leiter des
Eisenbahner-Fürsorge-Vereins war er nicht bereit, die
revolutionäre Opposition innerhalb aller Gewerkschaften zu
organisieren. (Fraatz
Parteiausschluss PDF)
Abhilfe schaffen konnten nur die Bemühungen um eine
Einheitsfront, die allerdings nicht von Funktionären und schon
gar nicht öffentlich thematisiert wurde.)
Die personelle Decke war für den gewaltigen Aufwand, den die KPD in Göttingen für politische Arbeit betrieb, eng. Hannah Vogt erinnert sich: Sollte nun eine neue Organisation gegründet werden oder die "Rote Hilfe" verstärkt werden, wurden alle KP–Genossen aufgefordert, noch ein weiteres Amt zu übernehmen und dafür die Marken zu kleben. Es konnte dann gemeldet werden, daß sich zwanzig bis dreißig Mitglieder gefunden hätten, aber im Grunde genommen waren es immer dieselben Genossen. Die KP war in dem Sinne keine Massenpartei, die Tendenz hier in Göttingen ging dahin, daß viele Genossen drei, vier dieser Bücher in der Tasche hatten, und die Basis nicht verbreitert wurde. Wahrscheinlich haben sich die Verantwortlichen dadurch täuschen lassen.9
Trotzdem tauchen in den Quellen ungefähr 180 Namen im Zusammenhang mit der KPD auf. Dies sind aber teilweise Personen, die der Partei zu Jahresanfang 1933 schon nicht mehr angehörten. Zudem muss bei dieser Zahl bedacht werden, dass die Polizei schnell dazu neigte, jedweden Widerspruch ohne eine klare Organisationszugehörigkeit als „kommunistisch“ einzuordnen.
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Quellen und Literatur
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in der Übergangszeit. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir., Fach 31a, Nr. 4.
Bons, Joachim; Denecke, Viola; Duwe, Kornelia; Löneke, Regina; Tapken, Bernd (Hg.) (1986): "Bohnensuppe und Klassenkampf". Das Volksheim: Gewerkschaftshaus der Göttinger Arbeiterbewegung von der Entstehung im Jahre 1921 bis zu seiner Zerstörung 1944. Göttingen.
Entschädigungsakte Gassmann, Theodor. Archiv des VVN-BdA Niedersachsen e.V., Fach 18, Nr. 131.
Gefangenenpersonalakte Karl Thies: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Hameln Acc. 143/90 Nr. 480.
Herausgabe verschiedener Druckschriften. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir., Fach 154, Nr. 13.
Interview mit Hannah Vogt (31.03.1976). Stadtarchiv Göttingen, Dep. 77 I, Nr. 99a.
KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir., Fach 155, Nr. 1a.
Rosenbaum, Heidi (2014): "Und trotzdem war's 'ne schöne Zeit". Kinderalltag im Nationalsozialismus. Frankfurt a.M.
1Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in der Übergangszeit, S. 151, 17.9.1932 - Verzeichnis politische Ausschreitungen vom 20.7. bis zum 31.8.1933.
2Herausgabe verschiedener Druckschriften, S. 143, 4.7.1932 - Göttinger Zeitung - Artikel: Neue politische Krawalle.
3Ebenda, S. 143v, 4.7.1932 - Volksblatt: Artikel - Die Straße frei! Schluß mit dem Mordterror der Nationalsozialisten.
4Bons et al. 1986, S. 58, 6.8.1930 Angriff der SA auf das Volksheim, Bericht an den Reg.Präs.
5Rosenbaum 2014, S. 87.
6Interview mit Hannah Vogt 31.03.1976, S. 2, Augenzeugenbefragung Hannah Vogt, 31.3.1976.
7Rosenbaum 2014, S. 93–94.
8Ebenda, S. 309.
9Interview mit Hannah Vogt 31.03.1976, S. 10, Augenzeugenbefragung Hannah Vogt, 31.3.1976.
Rainer Driever