Rote Studentengruppe

Im Dezember 1931 stellten einige Personen beim Rektor der Göttinger Universität den Antrag auf Zulassung als studentische Vereinigung unter dem Namen Rote Studentengruppe. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten, neben ungefähr zehn weiteren Personen, Martin Strauß, Adolf Cordes und Hanna Vogt.1

Zunächst betrieb die Gruppe die übliche Agitation. So wurde die Zeitschrift Der rote Student an der Universität verbreitet. Die Gruppe hatte es nicht leicht, ihre Position an der Hochschule zu behaupten. Der NSD-Studentenbund erreichte an der Göttinger Universität bereits 1931 die absolute Mehrheit in der Studentischen Kammer (Selbstverwaltungsparlament).

So ist es nicht verwunderlich, wenn Aktionen der Gruppe unbedeutend blieben, wie z.B. ein Agitationsversuch vor dem Auditorium im Lärm von nationalsozialistischen Studenten unterging. Ebenso scheiterte eine öffentliche Versammlung aus Anlass der Gebührenerhöhung an den Hochschulen am 1. Dezember 1931. Der Student und Mitglied der Gruppe Rudi Anders (Rudi Anders PDF) sollte über das Thema "Gebührenerhöhung und Kulturabbau" sprechen. Die Versammlung, die von etwa 200 Studenten - darunter viele Nationalsozialisten - besucht war, wurde kurz nach der Eröffnung infolge des unruhigen Verlaufs aus sicherheitspolizeilichen Gründen abgebrochen.2

Bei der prekären Situation der Gruppe an der Universität waren Bündnispartner von Vorteil. So arbeitete die Gruppe denn auch mit der Akademischen Vereinigung zum Studium des neuen Rußland3 sowie dem Bund Freunde der Sowjetunion zusammen.4 Nach Polizeiermittlungen, die noch Anfang 1934 angestellt wurden, lag keine illegale Betätigung der Freunde der Sowjetunion in Göttingen vor, die Vereinigung zum Studium bestand als Nebenorganisation der KPD, war allerdings selbstständig und agierte unabhängig von der Parteiorganisation.5

Aber auch durchaus (in linken Kreisen) prominente Vortragsredner wurden von der Gruppe eingeladen, wie z. B. der deutsche Soziologe und Sinologe Karl August Wittfogel. (Mit ihm konnte man gut diskutieren.)6 (Im Gegensatz zu beinahe allen anderen Mitgliedern der Frankfurter Schule wurde Wittfogel 1933 an der Schweizer Grenze verhaftet und in ein Konzentrationslager im Emsland gebracht.)

Die Polizei beobachtete die Gruppe routinemäßig, fand aber schnell heraus, dass weder die Rote Studentengruppe noch die Vereinigung zum Studium des neuen Rußland einen nennenswerten Einfluss an der Universität entwickelten.7

Ab Anfang Mai 1932 gab die Rote Studentengruppe die Göttinger Hochschul-Zeitung heraus. Ihr Format entsprach den üblichen Zellenzeitungen (z.B. dem Roten Stürmer der Ortsgruppe Göttingen), verantwortlich dafür zeichnete die Studentin Käthe Schiff (Käthe Schiff PDF).8

Hannah Vogt, die den Vorsitz von Anders übernommen hatte, erinnert sich an die Verhältnisse in der Gruppe vor ihrem Weggang nach Bad Lauterberg 1932: In Göttingen bekam man ständig Besuche. Es klingelte dauernd, und irgendjemand kam und wollte diskutieren über den tendenziellen Fall der Profitrate nach Marx oder derartige Themen. Das war die Art und Weise, wie wir damals arbeiteten. Es wurde Marx gelesen und diskutiert. Es war ein recht interessanter intellektueller Zirkel, an dem auch viele recht gescheite Leute teilnahmen. (...) Die KP wird ja prinzipiell von oben her geleitet, und wir diskutierten alles, was herausgegeben wurde. Wir waren keineswegs auflehnend – wie man es heute erlebt –, aber es bestand ein sozialer Unterschied. Die Studenten kamen aus bürgerlichen und intellektuellen Kreisen. Die Kommunistische Partei Göttingens hatte daneben natürlich auch ausgezeichnete Arbeiter.9

Willi Rohrig, damals 16 Jahre und seit dem 8. Lebensjahr in der Arbeiterbewegung eingebunden, machte zu der Zeit eine Feinmechanikerlehre bei der Firma Lambrecht in Göttingen. Er erinnert sich an die Studenten in Geismar: Es gab hier eine sehr aktive kommunistische Studentengruppe. Wir wohnten damals in dem Häuserblock in Geismar, der gegen den Widerstand der Bürgerlichen von den Sozialdemokraten gebaut worden war. (...) Wir wohnten in diesen Häusern, und dort hatten sich auch kommunistische Studenten als Untermieter angesiedelt! Ich war in einem Zirkel, den die kommunistischen Studenten mit den sozialdemokratischen Arbeitern aufgemacht hatten. Meine ersten theoretischen Kenntnisse verdanke ich diesen kommunistischen Studenten. Diese Zirkel gefielen der Parteiführung (der SPD, RD) in Göttingen nicht (...). 10

31. Januar 1933

Die Reaktion der Gruppe erfolgte umgehend. Zwei Tage nach der Machtübernahme erreichte ein Anruf aus der Universitätsaula die Ortspolizei. Auf der Straße vor der Aula werden kommunistische Flugblätter an die Passanten verteilt. Die Polizei reagierte sofort und konnte noch einige der Zettel sicherstellen. Zudem waren 30 Mitglieder der NSDAP erschienen, um augenblicklich die Verfolgung der Verteiler aufzunehmen, die allerdings ergebnislos verlief. Die Ermittlungen liefen bis zum 23. März ohne Erfolg weiter.11

Nach dem 31. Januar 1933 richtete sich die Repression auch gegen die linken Studenten. Die KPD mit ihren Nebenorganisationen wurde allerdings nie offiziell verboten. Ihre Reichstagsmandate wurden auf Grundlage der „Reichstagsbrandverordnung“ am 8. März 1933 annulliert, das Vermögen der Partei aufgrund des Gesetzes über die Einziehung des kommunistischen Vermögens vom 26.5.1933 beschlagnahmt (RGBl. 1933, Nr. 55). Die Rote Studentengruppe wurde gleichzeitig mit der Ortsgruppe der KPD aufgelöst. Ihr theoretisches Ende fanden die Parteien im Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933.

Nach zwei Erlassen vom 29. Juni und vom 9. August wurden wie an allen Universitäten im Reich auch in Göttingen die kommunistischen und marxistischen Studenten von der Universität verwiesen. Betroffen davon waren in Göttingen 9 Mitglieder der Roten Studentengruppe (von denen die meisten nicht mehr hier studierten) und 4 Mitglieder der Sozialistischen Studentenschaft.12

Am 4.4.33 wurde der Student Martin Strauß ausdrücklich als Funktionär der Roten Studentengruppe in Schutzhaft genommen.13 Adolf Cordes wurde am 31.5. wegen Verdachtes der Mithilfe bei der Vorbereitung zur Herstellung des illegalen Roten Stürmer in Schutzhaft genommen.14 Er wurde am 12.7.1933 unter der Voraussetzung der Unterbringung in einem Arbeitslager entlassen.15 Hannah Vogt wurde am 2. März in Bad Lauterberg verhaftet, am 2. Juni 1933 in das Konzentrationslager Moringen überführt und dort anlässlich der Weihnachtsamnestie 1933 entlassen.



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Literatur und Quellen:

Augenzeugenbefragung Willi Rohrig (30.12.1976). Stadtarchiv Göttingen, Dep. 77 I, Nr. 78.

Becker, Heinrich; Dahms, Hans-Joachim (Hg.) (1998): Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus. 2. Aufl. München: Saur.

Herausgabe verschiedener Druckschriften. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir., Fach 154, Nr. 13.

Interview mit Hannah Vogt (31.03.1976). Stadtarchiv Göttingen, Dep. 77 I, Nr. 99a.

KPD - Generalakten der kommunistischen Partei. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir., Fach 155, Nr. 1.

KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir., Fach 155, Nr. 1a.

Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik: Schutzhaft. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir., Fach 31a, Nr. 2, Bd. 1.



1KPD - Generalakten der kommunistischen Partei, S. 442, Ortspolizei, Bericht Griethe an Reg.Präs. Hildesheim, komm. Studentengruppen, 11.12.1931.

2Ebenda, S. 442v, Ortspolizei, Bericht Griethe an Reg.Präs. Hildesheim, komm. Studentengruppen, 11.12.1931.

3Ebenda, S. 442v, Ortspolizei, Bericht Griethe an Reg.Präs. Hildesheim, komm. Studentengruppen, 11.12.1931.

4Ebenda, S. 529, Ortspolizei Bericht "Freunde der Sowjetunion" / „Vereinigung zum Studium des neuen Rußland", 3.1.1934.

5Ebenda, S. 529, Ortspolizei Bericht "Freunde der Sowjetunion" / „Vereinigung zum Studium des neuen Rußland", 3.1.1934.

6Interview mit Hannah Vogt 31.03.1976, S. 4, Augenzeugenbefragung Hannah Vogt, 31.3.1976.

7KPD - Generalakten der kommunistischen Partei, S. 443, Ortspolizei, Bericht Griethe an Reg.Präs. Hildesheim, komm. Studentengruppen, 11.12.1931.

8Herausgabe verschiedener Druckschriften, S. 180v, 12.5.1932 - Bericht Griethe - KPD Hochschul-Zeitung.

9Interview mit Hannah Vogt 31.03.1976, S. 2, Augenzeugenbefragung Hannah Vogt, 31.3.1976.

10Augenzeugenbefragung Willi Rohrig 30.12.1976, S. 7.

11KPD - Spezialakten betreffend die kommunistische Partei, S. 77-77v, Ortspolizei, Anruf von der Universitätsaula, Verteilung von Flugblättern, 2.2.1933.

12Becker, Heinrich, Dahms, Hans-Joachim 1998, S. 45, 1933 Relegation linker Studenten.

13Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik, S. 145, Bericht Griethe, Zahl der Schutzhäftlinge, 13. April 1933.

14Ebenda, S. 151, Bericht Ahlers, Schutzhäftlinge, vom 13. Juni 1933.

15Ebenda, S. 155, Bericht Ahlers, Schutzhäftlinge vom 14. Juli 1933.

Rainer Driever