ISK-Jugend

Die Jugendarbeit war einer der Schwerpunkte der ISK-Arbeit. Dr. Grete Hermann (damals in Göttingen) stellte in ihrer Rede auf einer Tagung der Philosophisch-Politischen-Akademie e.V. 1918 das Kapitel Erziehung und Unterricht aus Nelsons Vorlesungen über die Grundlagen der Ethik dar: Die Ethik fordert, dass die jungen Menschen zur Erfüllung ihrer Pflicht tauglich gemacht werden. Darüber hinaus sollen sie fähig sein, den Idealen der Wahrheit und Schönheit nachzustreben, deren Verwirklichung dem Leben erst einen Wert gibt. Dabei lässt Nelson nicht außer acht, dass jeder Gesellschaftszustand zu verwerfen ist, der nicht die Anforderungen der Gerechtigkeit erfüllt, und dass jede Erziehung ein Verbrechen ist, die nicht ihre erste Aufgabe darin sieht, das Rechtsbewusstsein im Kind zu entwickeln.1

Grundlage dieser Erziehung war die Entwicklung des Charakters durch Pflege des Denkens. Abseits von Dogmatismus und Autoritätshörigkeit sollte es den Jugendlichen dadurch ermöglicht werden, ihr Tun am Denken und umgekehrt zu bewerten.

Die ISK-Jugend wurde zunächst von Lisbeth Evers, ab Anfang 1927 von Karl Wagner geführt.2 In der Jugendgruppe wurden, wie bei den erwachsenen Mitgliedern des ISK auch, periodische Besprechungen durchgeführt. Die Gruppe traf sich zu dem Zweck im Jugendheim.3 Dies konnte mehrmals im Monat geschehen, wobei die Treffen in zwei Gruppen stattfanden. Über die Stärke der beiden Gruppen liegen keine verlässlichen Zahlen vor. Im Mai 1927 aber waren an vier Treffen jeweils 16 Jugendgenossen der Jugendgruppe und neun ältere Jugendgenossen beteiligt.4

Mitglieder der ISK-Jugend wurden immer wieder als Schüler in der Walkemühle aufgenommen. Dies waren meist ältere Schüler oder solche, die bereits die erste Schule abgeschlossen hatten. Besonderer Wert wurde auf die Aufnahme junger Arbeiter und Arbeiterinnen gelegt. Zu diesen gehörte auch Helmut Schmalz, der bereits 1924 über seinen Bruder Fritz Mitglied des IJB wurde. Er hatte vergeblich Arbeit gesucht und wurde nach einiger Vorbereitung Anfang des Jahres 1925 in der Walkemühle aufgenommen.5 (Schmalz Bericht Walkemühle PDF)

Aber auch zeitlich begrenzte Kurse für Jugendliche wurden im Landerziehungsheim Walkemühle abgehalten. Der erste fand im August 1927 statt und sollte 14 Tage dauern.6

Thematisch wurde in der ISK-Jugend meist in Fünfergruppen gearbeitet. Dies konnte allgemeiner politischer Unterricht sein oder eine gemeinsame Aufgabe, wie z.B. die Vorbereitung einer Ausstellung zum Ersten Weltkrieg im August 1927. Diese Arbeit wurde unterstützt von Heinrich Düker, der den Jugendlichen über seine Kriegsteilnahme berichtete.7 Eine gemeinsame Aufgabe war auch stets der Straßenverkauf des isk, der Publikation des ISK.

Exkurs: Helmut Schmalz berichtete über die bevorzugte Kleidung der ISK-Jugend: Viele Klamotten hatten wir ja nicht. Im Sommer gingen wir Jungen in kurzen Hosen, die waren aus stabilem Manchesterstoff und hielten unglaublich lange. Im Winter trug man das, was man damals Bridgeshosen nannte. Meine Mutter strickte mir dazu immer die Wadenstrümpfe. Oben trug man im Sommer einen Fahrtenkittel, die gab es in verschiedenen Farben, und die gingen über die Hose, waren vorne zugeschnürt und besaßen um die Taille eine Kordel. Dann hatten die Fahrtenkittel einen Schillerkragen, das war die Erfindung der Freideutschen Jugend, vordem gab es das ja noch nicht, vordem hatte man ja noch den Stehkragen, wie ihn Herr Schacht noch zwanzig Jahre später trug, bis ganz oben rauf und dann die Ecken umgelegt. Das wurde dann in der Jugendbewegung über Bord geworfen, und diese Auflockerung der Kleidung fand großen Anklang und brachte der frei-deutschen Jugend viel Zulauf. Das wurde aber nicht nur in den Jugendverbänden so getragen, auch die Sozialistische Arbeiterjugend ging so. Für feierliche Gelegenheiten hatte man dann einen schneeweißen Kittel, der besonders peinlich gewaschen worden war, das sah sehr gut aus. Die Mädchen trugen dann ihre langen Kleider mit den Holzklunkern und Sandalen. Das war ein fröhliches Bild, wenn damals junge Menschen zusammenkamen.8 (Exkurs Ende)

Die Schulungen und der politische Unterricht konnten auch überfordern. So wurde für den Februar 1927 für die Jugendgruppe angemerkt, dass vor allem unter den jüngeren Teilnehmern eine gewisse Ermüdung aufgetreten sei, man solle deshalb mehr Rücksicht auf das Spielbedürfnis legen.9

Eine etwas entspanntere Jugendarbeit wurde auf gemeinsamen Fahrten gepflegt. Zu Pfingsten 1927 nahm 14 Mitglieder der Göttinger ISK-Jugend an einer gemeinsamen Fahrt der Ortsvereine Melsungen und Kassel teil.10 (Helmut Schmalz Bericht Ausflug PDF)

Freizeitaktivitäten der ISK-Jugend wurden mitunter politisch angegangen. Zusammen mit der Jugendgruppe der Freidenker und kommunistischen Jugendlichen bildete man eine Theatergruppe, die Spielschar, die auch als Rote Rufer für die Kommunisten auftrat.11 1932 führten sie z.B. das Stück Die Matrosen von Cattaro (1930) von Friedrich Wolf auf. Auch das Wolf-Stück Cyankali (1929), das die Problematik des § 218 thematisierte, stand auf dem Spielplan, was von Seiten des Stadtjugendpflegers Tegtmeier nicht unwidersprochen hingenommen wurde.12

Ort der Theaterproben war das Jugendheim, das zwischen den Göttinger linken Gruppierungen eine verbindende Rolle spielte.13 Die Veranstaltungen im Jugendheim waren immer gut besucht. Neben Theateraufführungen wurden auf ihnen z.B. auch moderne Lieder von Hanns Eisler gespielt.14 Selbst gesungen wurde an den Singeabenden der Freidenkerjugend, auf denen wiederum Mitglieder der ISK-Jugend (Georg Deppe, Else Fischer u.a.) ebenso präsent waren wie die der kommunistischen Jugendorganisation.15

Im Ortsausschuss für Jugendpflege machte der ISK ebenfalls seinen Einfluss geltend. So wurden Anfang 1927 Willi Hente Mitglied und Fritz Schmalz stellvertretender Vorsitzender des Arbeitsausschusses für Jugendpflege der Stadt und konnten so Einfluss auf die Verwaltung des Jugendheims nehmen.16

1930 machten sich erste Bestrebungen bemerkbar, jedenfalls die Grundbedingungen von Verschwiegenheit über die eigene Organisation zu beachten. Willi Eichler teilte im April den Ortsvereinsvorsitzenden mit, dass der ISK dem Reichsausschuss der deutschen Jugendverbände nicht beiträte, weil er (der ISK) vermeiden will, dem Minister des Innern Zahl und Alter der M (Mitglieder) des ISK und noch viele andere innere Angelegenheiten des ISK mitzuteilen.17

Mit der Machtübertragung verschwanden die Möglichkeiten für die Jugendarbeit des ISK in Deutschland. Die Liegenschaften der Organisation wurden beschlagnahmt und enteignet. Jugendarbeit in der Illegalität ist schwer vorstellbar. Aber die ISK-Jugend existierte in der Emigration weiter. 1938 wurde vom Auslandsvorstand des ISK die Aufnahme der ISK-Jugend in die Freie Deutsche Jugend beantragt und diese am 6.7.1938 aufgenommen. Hier sollte sich die ISK-Jugend weiterhin für ihr altes Ziel einsetzen, die Einheitsfront der sozialistischen und kommunistischen Jugendgruppen.18 Die ersten Gruppen der FDJ entstanden 1936 in Paris und 1938 in Prag. Mit Beginn der deutschen Aggression und der folgenden Besetzungen entstanden ab April 1939 die ersten Gruppen in England. Ihr Hauptarbeitsfeld war zunächst die Unterstützung der jungen jüdischen Emigranten.19



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Literatur und Quellen

Augenzeugenbefragung Willi Rohrig (30.12.1976). Stadtarchiv Göttingen, Dep. 77 I, Nr. 78.

Bons, Joachim; Denecke, Viola; Duwe, Kornelia; Löneke, Regina; Tapken, Bernd (Hg.) (1986): „Bohnensuppe und Klassenkampf“. Das Volksheim: Gewerkschaftshaus der Göttinger Arbeiterbewegung von der Entstehung im Jahre 1921 bis zu seiner Zerstörung 1944. Göttingen.

Giesselmann, Rudolf (1997): Geschichten von der Walkemühle bei Melsungen in Nordhessen. Kassel.

Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an Bundesvorstand: Briefe, Berichte 1930-33. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000012.

Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an ISK-Bundesvorstand: Monatsberichte 1927. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK00014.

Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946): Korrespondenz 1938. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000036.

Interview August Stapel (21.01.1977). Stadtarchiv Göttingen, Dep. 77 I Nr. 90 (Popplow-Box).



1Giesselmann 1997, S. 57, 4.8.1918 - Grete Hermann (Göttingen), Rede auf einer Tagung der Philosophisch-Politischen Akademie.

2Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an ISK-Bundesvorstand, S. 1, Monatsbericht Januar 1927, 4.2.1927, Fritz Schmalz.

3Ebenda, S. 3, Monatsbericht März 1927, 5.4.1927, Fritz Schmalz.

4Ebenda, S. 5, Monatsbericht Mai 1927.

5Giesselmann 1997, S. 23, 1924 - Hellmut Schmalz.

6Ebenda, S. 29, 1927 - Willi Schaper - Jugendkurs in der Walkemühle.

7Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an ISK-Bundesvorstand, S. 8, Monatsbericht August 1927, 4.9.27, Fritz Schmalz.

8Giesselmann 1997, S. 64, 1925 - Helmut Schmalz - Walkemühle, Kleidung.

9Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an ISK-Bundesvorstand, S. 2, Monatsbericht Februar 1927, 5.3.1927, Fritz Schmalz.

10Ebenda, S. 6, Monatsbericht Juni 1927, 5.7.1927, Fritz Schmalz.

11Augenzeugenbefragung Willi Rohrig, 30.12.1976, S. 17

12Interview August Stapel, 21.01.1977, S. 1, Theatergruppe Freidenker, Waffen.

13Augenzeugenbefragung Willi Rohrig, 30.12.1976, S. 9

14Interview August Stapel, 21.01.1977, S. 1, Theatergruppe Freidenker, Waffen

15Bons et al. 1986, S. 59, 2.9.1930 - Briefauszug - August Stapel an Heinrich Schlieper - Angriff auf das Volksheim.

16Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an ISK-Bundesvorstand, S. 2, Monatsbericht Februar 1927, 5.3.1927, Fritz Schmalz.

17Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an Bundesvorstand, S. 4, 10.4.1930, Willi Eichler an OVV.

18Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946), S. 1, Juni 1938 - Aus der Freien Deutschen Jugend.

19https://de.wikipedia.org/wiki/Freie_Deutsche_Jugend, zuletzt 21.12.2015.

Rainer Driever