Geschäftsstelle des ISK im Nikolausberger Weg 67
Grundstück und Haus im Nikolausberger Weg 67 waren seit dem 28.12.1929 im Besitz des ISK.1 Das Haus, etwas oberhalb des Wohnhauses des 1927 verstorbenen Leonard Nelson gelegen, war aber bereits zuvor der Sitz der Bundes- und Ortszentrale des ISK.2
Als Zentrale der ISK-Arbeit fungierte die Geschäftsstelle auch als Ort für Schulungen und die regelmäßigen Leseabende, die der jeweils aktuellen Ausgabe der Zeitschrift isk gewidmet waren. Zudem befanden sich dort die Geschäftsräume des Verlags Öffentliches Leben.
Das Haus war immer auch bewohnt. Gäste von außerhalb und Göttinger ISK-Mitglieder bewohnten die freien Räume, Fritz Körber war ab Anfang der 1930er Jahre Hausverwalter und wohnte dort mit seiner Familie. Anna Kothe, seit 1927 im ISK, war als Hauswirtschafterin in der Geschäftsstelle tätig, bis sie Ende 1931 mit nach Berlin übersiedelte.3 Nach dem Umzug der „Funkenmannschaft“ incl. des Verlages war Platz entstanden, der hauptsächlich als Wohnraum genutzt wurde. Im April 1933 wohnten dort vier Familien, die eine Gemeinschaftsküche führten und einen größeren Raum als Esszimmer benutzten. Unter ihnen auch die Familie von Ludwig Fürchtenicht, des Schwiegervaters von Oskar Schmitt. Seit März 1933 wohnten dort auch der frischverheiratete Heinrich Oberdieck und seine Frau Lina, die bis Ende Oktober 1933 dort eine eigene Wohnung hatten. Im Sommer 1933 zog Fritz Körber nach Spanbeck um (und nach dem Krieg, genauso wie die Oberdieks, im September 1945 wieder ein).4
Zudem wurden die Räumlichkeiten zu Anfang des Jahres 1933 noch als Ausweichstelle für den Kindergarten benutzt.5
Noch im Frühjahr 1933 lagerten in den Kellerräumen ältere Schriften des Verlages, die bis Ende Mai von der Polizei beschlagnahmt wurden. Ein Teil der Erträge der Beschlagnahmungen wanderte zur Göttinger Bücherverbrennung am 10. Mai. Nach einer zweiten Durchsuchung (die erste fand am 14.3.1933 durch SA und HJ statt), diesmal durch die Polizei am 18.5.1933, galt das Grundstück als beschlagnahmt.6 Knapp ein Jahr später, im Februar 1934, wurde das Haus nur noch von einem kinderlosen Ehepaar, das zwei Zimmer benutzt, bewohnt. Die übrigen Räume standen seit November 1933 leer.7 Fritz Körber versuchte noch, die 1100 RM Grunderwerbssteuer von der Stadt erstattet zu bekommen, die er zur Verhinderung der Beschlagnahmung im Mai 1933 bezahlt hatte. Diese Transaktion sollte die Geschäftsstelle in den Besitz von Körber übertragen, die erhoffte Wirkung allerdings blieb aus. (Polizeibericht Beschlagnahmung PDF)
Eigentümerin des Grundstücks Nikolausberger Weg 67 war im Frühjahr 1934 die Konzentration A.G. in Berlin.8 Diese war eine seit 1925 bestehende sozialdemokratische Aktiengesellschaft zur Zusammenfassung der Wirtschaftsbetriebe der SPD, die nun den Nationalsozialisten als Sammelinstitution für beschlagnahmte sozialdemokratische Regionalgesellschaften diente.
Stühle, Tische und Rollschränke aus dem Inventar der Geschäftsstelle wurden 1935 an die Göttinger Nachrichten verkauft.9 Das Haus wurde im Oktober 1935 an den Rechtsanwalt Dr. Krug vermietet.10
____________________________________________________________________
Quellen
Gefangenenpersonalakte Gustav Funke: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86a Hannover Acc. 2000/057 Nr. 195.
Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Druckschriften / Verschiedene Stücke: Bundestage, Treffen. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000005.
Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an Bundesvorstand: Berichte 1931. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000021.
Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK). Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 155, Nr. 5.
Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 153, Nr. 21.
1Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), S. 65, Bericht Ippensen vom 17.3.1933 zur „Haussuchung“ in der ISK-Geschäftsstelle.
2Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Druckschriften / Verschiedene Stücke, S. 1, 10.–13.
3Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an Bundesvorstand, S. 4, 4.1.1932 Vierteljahresbericht 4/1931 Albert Steen.
4Gefangenenpersonalakte Gustav Funke, S. 7, 29.4.1936–8.
5Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), S. 76, Bericht über den ISK und seine Verbindungen zum Landerziehungsheim „Walkemühle“ bei Melsungen vom 29. Mai 1933, maschinenschriftliche Fassung des Berichts von Griethe vom 12. April.
6Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, S. 11, 24.5.1933 - Bericht des kommissarischen Kassenführers.
7Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), S. 113, Pol. Dir. Göttingen, über Freigabe leerstehenden Wohnraumes in dem Hause Nikolausberger Weg 67, vom 7. Februar 1934.
8Ebenda, S. 122, Vermerk 28. März 1934, Grundstück ISK.
9Ebenda, S. 134, Verwendung von Mobiliar der Geschäftsstelle, 12. Februar 1935.
10Ebenda, S. 163, Ortspolizeibehörde 31.Oktober 1935, Vermietung Nikolausberger Weg.
Rainer Driever