Bekennende Kirche – Kreisgebiet
Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgehen, dass sich Ereignisse, Anweisungen und Berichtsthemen in Stadt und Kreis und darüber hinaus ähneln bzw. wiederkehren. Die Ortspolizei bezog ihre direkten Anweisungen oder Ermittlungsaufträge vom Regierungspräsidenten in Hildesheim oder von der Staatspolizeistelle Hannover. Die Gendarmerieämter der Kreise wurden vom jeweiligen Landrat instruiert. Dieser bezog seine Informationen bzw. Aufträge für die politischen Polizeiangelegenheiten ebenfalls von der Stapo-Stelle Hannover. Im Mai 1933 informiert die neu eingerichtete Stapo-Stelle in Hannover die Polizeibehörden: Der Zuständigkeitsbereich der Staatspolizeistelle Hannover umfasst die Regierungsbezirke Hannover und Hildesheim (dies sollte bis Oktober 1935 so bleiben). (…) Ich ersuche, (...) der Stapo-Stelle Hannover über alle wichtigen Vorgänge und Beobachtungen politischer Art unmittelbar, wie angeordnet, zu berichten.1 Übergeordnet intervenierte auch das Geheime Staatspolizeiamt Berlin (Gestapa) oder auch Innenminister Göring, teils bis hinunter zu den Ortspolizeibehörden.
Auf diese Weise war auch die Überwachung der kirchenpolitischen Aktivitäten durch die Gendarmerieämter des Kreises organisiert. Sie erhielten ihre Anweisungen vom Landrat Bodo Wilke Freiherr von Bodenhausen, der im Landkreis Göttingen 1933 Wessel Georg Nordbeck ablöste. Die Meldungen und Anweisungen sind auf Kreisebene sporadisch überliefert. Dominant sind auch hier die aus Jungreformatorischer Bewegung und Pfarrernotbund entstandenen Bekenntnisgemeinschaften und der sog. Kirchenkampf, d.h. die Auseinandersetzung mit den neuen Machthabern und den nationalsozialistisch geprägten Deutschen Christen um die Verfassung der evangelischen Kirche.
Wie auch schon für die Stadt Göttingen erkennbar, war nicht nur die Polizei mit der Beobachtung von potentiellen Regimegegnern betraut. Dies wurde auch von Parteigliederungen, der neuen „Quasi-Obrigkeit“, für sich reklamiert. So meldete zu Jahresbeginn 1934 der Kreispersonalamtsleiter der NSDAP an die Gauleitung ein Ärgernis aus Sattenhausen. Dort hielt die NS-Frauenschaft ihre Versammlungen im Unterrichtzimmer des Pfarrhauses ab. In diesem Zimmer wurde zur Ehrung des Führers sein Bild aufgehängt. Der Dorfpfarrer, Pastor Dirksen, entfernte den nächsten Tag das Bild samt Nagel. Der Vorfall hat innerhalb der Dorfgemeinde begreiflicherweise Unwillen und Empörung erregt. Pastor Dirksen versuche zu argumentieren, dass das Gastrecht durch Anbringung des Bildes im Konfirmandensaal verletzt worden sei.2
Ende Mai 1934, zur Zeit der ersten Bekenntnissynode in Wuppertal Barmen, wies der Landrat die Gendarmerieämter des Kreises Göttingen an, Ermittlungen über kirchliche Vorgänge anzustellen. Zu erwarten wären: besondere Versammlungen der Kirchengemeinden im Freien oder Gebäuden, Verteilung von Flugblättern sowie Sondergottesdienste aus Anlass der Vorgänge innerhalb der hannoverschen Landeskirche.3
Ebenfalls Ende des Monats gab der Landrat noch einmal besondere Anweisungen der Stapo-Stelle Hannover weiter: Das Verteilen von Flugblättern kirchenpolitischen Inhalts ist grundsätzlich verboten(...). Nicht verboten ist das Verteilen von Flugblättern innerhalb der Kirche. Die Staatspolizeistelle bat zudem‚ auf die Presse einzuwirken‚ die Berichterstattung über den Kirchenstreit zu unterlassen.4
Kurz darauf erinnerte der Landrat anlässlich erneut verteilter Flugblätter die Superintendenten und Pastoren an diese Verfügung und betonte, dass auch das Verteilen an sich zugelassener Zeitschriften unter dieses Verbot fällt.5
Im September 1934 schrieb der Landrat parallel zur Ortspolizei einen Bericht an die Stapo-Stelle Hannover über den Kirchenstreit. Zusammenfassend gesehen, hätte dieser sich auf die Bevölkerung des Landkreises nicht besonders ausgewirkt, insbesondere auf ihre politische Einstellung keine Wirkung gehabt. Da der Landrat einen guten Überblick über die Ereignisse des Jahres gab, lohnt es sich, ihn hier ausführlicher, trotzdem aber gekürzt, zu zitieren:
Im März 1933 wurde auch in Göttingen eine Ortsgruppe der Glaubensbewegung deutscher Christen gegründet. Führend dabei war Pastor Mattiat aus Kerstlingerode. Die Göttinger Geistlichen traten dabei wenig in Erscheinung. In den Zeitungen vertrat der Superintendent Lueder aus Göttingen die Pläne einer "Evangelischen Kirche deutscher Nation”. Nach der Wahl des Pastors D. von Bodelschwingh zum Reichsbischof änderte sich die Lage in Göttingen kaum. Die wichtige Rolle des Professor Dr. Hirsch im Kirchenstreit war für das südhannoversche Gebiet selbst kaum von Bedeutung.
Nach Einsetzung der Kirchenkommissare in Juli 1934 wurden die Superintendenten zum Landrat gerufen, der sie klar anwies, daß die Pastoren sich einer Stellungnahme zu diesen Vorgängen auf der Kanzel und in Pressepolemiken zu enthalten hätten. Einheitliche Listen bei den Kirchenvorsteherwahlen in der Stadt Göttingen und auf dem Lande verhinderten einen Wahlkampf. Bei den Wahlen zum Landeskirchentage wurde der Kandidat der Glaubensbewegung deutscher Christen, Pastor Mattiat, gewählt. Der Kandidat der Gegenliste “Evangelium und Kirche" wurde aber ebenfalls Mitglied des Landeskirchentages. Die Gegensätze zwischen den beiden Richtungen traten wenig hervor. Allerdings schloss sich eine größere Anzahl von Geistlichen in der Stadt Göttingen und im Kirchenkreise Göttingen II dem Pfarrernotbund an. Öffentliche kirchenpolitische Versammlungen fanden kaum statt und waren schlechter besucht. Die beiden Richtungen arbeiteten noch in vielem gemeinsam, so bei einer bis zuletzt stark besuchten kirchlichen Aufbauwoche, die im Februar 1934 unter dem Generalthema “Kirche und Volkstum" in der Johanniskirche abgehalten wurde.
Nach dem Beschluss des Kirchensenats vom Mai 1934 über die Eingliederung der Hannoverschen Landeskirche in die Reichskirche und die Verweigerung des hannoverschen Landesbischofs, spitzte sich die Lage zu. Es bildete sich eine Ortsgruppe der Bekenntnisgemeinschaft, geschlossene Versammlungen wurden abgehalten. Ende Juni 1934 hielt der Landesbischof D. Marahrens in der Jakobikirche einen Gottesdienst, zu dem besonders die Kirchenvorsteher Südhannovers eingeladen waren. Unter den vielen Besuchern waren Anhänger beider Richtungen. Die Predigt Marahrens' ist im Verlag von Vandenhoeck & Ruprecht gedruckt (Junge Kirche). Seit dem Sommer 1934 wandten sich Geistliche und Kirchenvorsteher eher von der Glaubensbewegung deutscher Christen ab und schlossen sich zum Teil der Bekenntnisgemeinschaft an. Politische Themen spielten in der Ortsgruppe der Göttinger Bekenntnisgemeinschaft bislang keine Rolle.6
Zurück zum Jahr 1934: Im Oktober wies die Landesleitung der Deutschen Christen ihre Mitglieder auf den außerordentlichen Bittgottesdienst hin, der von Landesbischof Marahrens angesetzt wurde. Dieser sollte sich gegen die Führung und Maßnahmen der Reichskirche richten und eine Fürbitte für die wegen andauerndem Ungehorsams abgesetzten Landesbischöfe von Württemberg und Bayern enthalten. Dieser Gottesdienst sei vom Reichskommissar der Reichskirche als kirchenpolitische Aktion gekennzeichnet und verboten. Trotzdem wäre eine Abhaltung zu erwarten, durch die erhebliche Erregung in der Bevölkerung hervorgerufen oder gar Zusammenstöße herbeigeführt werden könnten.7
Eine weitere Kanzelabkündigung von Landesbischof Marahrens rief im Dezember 1934 noch einmal die Polizei auf den Plan. Im betreffenden Text des Landesbischofs war zu lesen: Nunmehr ist sogar von verantwortlicher Stelle der Vorwurf erhoben worden, daß sich unter dem Deckmantel christlicher Belange alle mögliche staatsfeindlichen u. landesverräterischen Elemente zusammenfinden, um Politik gegen das 3. Reich zu machen. Dagegen wird in der Erklärung Verwahrung eingelegt. Der Landrat wies daraufhin die Geistlichen des Kreises an, von der Verlesung abzusehen. Die Gendarmeriebeamten des Kreises sollten am sonntäglichen Hauptgottesdienst in Zivil teilnehmen und berichten, ob und von wem eine derartige Bekanntmachung verlesen worden ist.8
Für das Jahr 1935 liegt nur eine Meldung vor. Im Februar wurden die Landräte angewiesen, die Verlesung der Kundgebung von Landesbischof Marahrens am 24.2.1935 im Hauptgottesdienst von der Kanzel zu unterbinden. Sie betraf eine Vereinbarung der Bischöfe von Hannover und der ebenfalls unter Druck geratenen Landeskirchen in Württemberg und Bayern. Da diese Kundgebung geeignet ist, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören und erneut die Bevölkerung in Erregung zu versetzen, bitte ich, sofort in geeigneter Weise Vorsorge zu treffen, dass die Verlesung der Kundgebung unterbleibt. Störungen des Gottesdienstes dürfen unter keinen Umständen stattfinden. Die Namen derjenigen Pfarrer, die einer Aufforderung, die Kundgebung nicht zu verlesen, nicht nachkommen, bitte ich umgehend der Staatspolizeistelle mitzuteilen.9
Natürlich waren die Pastoren selbst häufiger Gegenstand von Berichten. Im Lagebericht der Stapo-Stelle Hildesheim für den Januar 1936 wird eine Zusammenkunft der Kirchenvorstände in Uslar thematisiert. Dort sprach ein Bekenntnispfarrer (und diese Zuschreibung ist der eigentliche Inhalt der Meldung) über das Thema: ,,Der deutsche Mann in der Kirche!''.10 Etwas weiter ist im Lagebericht zu lesen: Gegen den Bekenntnispfarrer Holtermann in Goslar wurde zum dritten Male ein Strafverfahren eingeleitet, weil er durch Herausgabe und Verbreitung von Flugschriften, in denen er Fragen des Kirchenstreites behandelte, eine erhebliche Beunruhigung hervorgerufen hatte.11
Im Lagebericht des Folgemonats tauchen Verwarnungen von zwei „Bekenntnispfarrer“ auf, die (...) in versteckter Form den Staat und die Bewegung angegriffen hatten. In einem Fall äußerte der evangelische Pfarrer Harms aus Bad Grund in der Konfirmandenstunde angeblich, daß das, was in dem Kasten des ,,Schwarzen Korps'' ausgehängt sei, unwahr sei. Weiterhin verbot er den Schülern das Lesen dieser Zeitungen. In einem anderen Falle erklärte der evangelische Pfarrer Knauth aus Lengede seinen Religionsschülern, die mit dem Deutschen Gruß grüßten: Hier ist nicht Hitler, hier ist nur Gott, hier ist eine heilige Stätte. Ferner ordnete er an, daß sie beim Verlassen der Unterrichtsstunden nur mit erhobener Hand und lautlos grüßen sollten.“12
Ähnlich wie in Göttingen wurden auch im Kreis im Juni 1936 Ermittlungen über die Gruppen der Evangelischen Frauenhilfe zusammengefasst. Davon ist der Bericht über die Ortsgruppe Gelliehausen erhalten, deren Leiterin die Ehefrau des Pastors Dr. Storbeck in Gelliehausen war. Zu der Ortsgruppe gehörte noch die Gemeinde Benniehausen. Die Vereinigung führt zwar den Namen "Evangelische Frauenhilfe", ist aber eine lose Zusammenkunft, die rein kirchlichen Zwecken dient (Versammlung einmal die Woche im Winter). Das Verhältnis zur NS-Frauenschaft ist gut. 10 Mitglieder sind gleichfalls der NS-Frauenschaft angeschlossen.13
1936 fand die zweite Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen statt, die Bekennende Kirche hatte inzwischen zwei Flügel. Der gemäßigte Flügel befürwortete eine Zusammenarbeit mit dem Reichskirchenausschuss und dem im September 1935 ernannten neuen Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten Hanns Kerrl. Der radikalere Flügel lehnte diese Zusammenarbeit ab. Eine Denkschrift an Hitler von Ende Mai 193614, die dezidiert nichtkirchliche Fragen thematisierte, wurde aufgrund einer Indiskretion Beteiligter in mehreren europäischen Zeitungen veröffentlicht. Dies führte zu Verfolgung und Verhaftung vieler Geistlicher und vertiefte den Unterschied zwischen den beiden Flügeln der Bekennenden Kirche.
Die Stapo-Stelle Hildesheim fragte am 26. Oktober 1937 nach einer Gründung eines Vereins, der von einigen führenden Männern der Bekennenden Kirche ins Leben gerufen wurde. Dienen sollte er der Unterstützung bedrängter Geistlicher und der Gewährung von Beihilfen bei kirchlichen Notständen15 Im Laufe des Jahres verliert sich die Überlieferung zum Thema für das Kreisgebiet.
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Quellen und Literatur:
Altkreis Göttingen - Kirchliche Angelegenheiten; Kreisarchiv Göttingen, AK Gö 54.
Organisation der politischen Polizei; StA Göttingen, Pol. Dir., Fach 22, Nr. 7.
Mlynek, Klaus (1986): Gestapo Hannover meldet--. Polizei- und Regierungsberichte für das mittlere und südliche Niedersachsen zwischen 1933 und 1937. Hildesheim: A. Lax (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen. XXXIX, Niedersachsen 1933-1945, Bd. 1).
Vorgänge im kirchlichen Bereich: Verhaltenskontrolle Kirchen; Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 310 I Nr. 416.
1Organisation der politischen Polizei, Bl. 32, Stapo-Stelle Hannover an die Ortspolizeibehörden, 8.5.1933.
2Vorgänge im kirchlichen Bereich, Bl. 0.pag. 4, 23.1.1934 Kreispersonalamtsleiter an Gauleitung Hannover.
3Altkreis Göttingen - Kirchliche Angelegenheiten, Bl. 9, 28.5.1934 - Landrat an Gendarmerie-Ämter des Kreises - Überwachung Kirchen.
4Ebenda, Bl. 4, 31.5.1934 - Landrat Vermerk Flugblätter.
5Ebenda, Bl. 5-5v, 11.6.1934 - Landrat an Superintendenten und Pastore – Flugschriften.
6Ebenda, Bl. 11–13, 17.9.1934 - Landrat an Stapo-Stelle Hannover - Entwurf Bericht Kirchenstreit.
7Ebenda, Bl. 14, 19.10.1934 - Landesleitung Deutsche Christen an Ortsgruppen- und Stützpunktleiter - Bittgottesdienst Landesbischof.
8Ebenda, Bl. 16, 15.12.1934 - Funkspruch Reg.Präs. Hildesheim – Kanzelabkündigung.
9Ebenda, Bl. 17, Stapo-Stelle Hannover an Landräte – Kanzelabkündigung.
10Mlynek 1986, S. 496, 63 / Lagebericht der Staatspolizeistelle Hildesheim an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin für den Monat Januar 1936 / 3. Februar 1936 BA: R 58/570. Abschrift.
11Ebenda, S. 497, 63 / Lagebericht der Staatspolizeistelle Hildesheim an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin für den Monat Januar 1936 / 3. Februar 1936 BA: R 58/570. Abschrift.
12Ebenda, S. 529, 66 / Lagebericht der Staatspolizeistelle Hildesheim an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin für den Monat Februar 1936 / 4. März 1936 BA: R 58/604. Abschrift.
13Altkreis Göttingen - Kirchliche Angelegenheiten, Bl. 19, 4.7.1936 - Nachweis über die im Landkreis Göttingen vorhandenen Gruppen der evangelischen Frauenhilfe.
14http://de.evangelischer-widerstand.de/html/view.php?type=dokument&id=91, zuletzt 26.4.2016.
15Ebenda, Bl. 27, 26.10.1937 - Gestapa Berlin an Landräte, Außendienststellen - Gründung eines landeskirchlichen Hilfsvereins.
Rainer Driever