Spionage

Ebenso wie der Rückgriff auf den Verdacht auf Sabotage, ist der auf Spionage ein fast untrügliches Kennzeichen diktatorischer Regimes. Ansonsten unverdächtige Verhaltensweisen geraten unter den Verdacht, Informationen für eingebildete und tatsächliche „Feinde“ zu beschaffen. Fälle von Spionage blieben in Göttingen aus. Trotzdem ermittelte die Polizei zu verschiedenen Anlässen.

Am 5. Februar 1934 bat die Kreispropagandaleitung die Kriminalpolizei Göttingen um die Beobachtung der 38-jährigen Lotte Schmidt, die im Ebertal wohnte. Sie sei Mutter einer unehelichen Tochter von 15 Jahren und in Göttingen als Hochstaplerin bekannt. Schmidt sei in einem Spionageprozess bereits zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Sie unterhalte Verkehr mit Reichswehroffizieren, besuche das Kasino und gebe sich als Gräfin von Hanstein aus. Zudem unterhielte sie zur Zeit regen Männerverkehr in ihrer Wohnung. Sie trage Schwesterntracht und sei kommunistischer Spitzeldienste verdächtigt.1

Viereinhalb Monate später war der Bericht zu Frieda (genannt Charlotte) Schmidt fertig. Der Bericht der Polizei erklärte die Schwesterntracht Schmidts mit ihrer Tätigkeit als private Krankenpflegerin. Der Nachweis kommunistischer Spitzeldienste oder staatsfeindlicher Bestrebungen sei bislang nicht gelungen. Trotzdem wurde sie weiter beobachtet.2

Im Lagebericht des Hildesheimer Regierungspräsidenten an den Reichsminister des Innern für den September 1934 wird von einem Vorfall berichtet, der für die Behörden den Rückschluss auf Spionage im Bezirk nahelegte. Im sperrigen Behördendeutsch hieß es: Über ein Bauvorhaben der Heeresverwaltung in Lenglern bei Göttingen berichtete der Straßburger Sender, daß es sich bei dieser Anlage um ein Munitionslager handele. Deshalb müsse ein Fall von Spionage vorliegen. Der Regierungspräsident beklagte weiter erhebliche Störungen bei den Ermittlungen, die von dilettantischen Interventionen durch SS-Angehörige hervorgerufen wurden.3

Gefragt werden konnte seitens der Stapo-Stellen auch gezielt nach bestimmten Personen, woraufhin eine Postkontrolle durch die Ortspolizei initiiert wurde. Im Dezember 1934 wurde für Göttingen nachgefragt für Frenz und Zauner (Spionageverdacht: Verhalten der Personen), Dietrich Küchemann (Sohn des Lehrers und ISK-Mitglieds Rudolf Küchemann) sowie Professor Brandl (als politisch nicht zuverlässig eingeschätzt) und Dr. Messmer (ISK-Sympathisant). Konkrete Anhaltspunkte für staatsfeindliche Tätigkeiten konnten jedoch nicht ermittelt werden.4

Im Dezember 1934 ging eine Anfrage, wiederum von der Stapo-Stelle Hannover, ein. Sie drehte sich um August Eckhardt aus Diemarden.5 Grund der Anfrage war Eckhardts politische Vergangenheit in Verbindung mit seiner neuen Arbeitsstelle im Aerodynamischen Institut ab Anfang 1935. (August Eckhardt PDF)

Ab Ende Juli 1935 beschäftigte die Ortspolizei ein vermeintlicher Fall von Spionage. Aufgetaucht war eine Lageskizze der Munitionsanstalt in Lenglern, die auf der Rückseite zudem eine ominöse Beschriftung trug: (...) Ich komme erst morgen zur Wache (...) Bring Geld mitt (…). Die angedeutete Unterschrift „Pro“ ließ den Schluss auf den dort angestellten Wachmann Hermann Probst zu, eine Handschriftenprobe schloss diesen aber vom Verdacht aus. Am 6. August wurde der Arbeitslose Gottfried Wille aus Adelebsen zur Sache vernommen (SA-Mann seit 1926, seit 1930 Pg in der Ortsgruppe Adelebsen und seit 1932 in der SS). Wille gab zu, den Zettel im Juni angefertigt und vor dem Wachlokal der Munitionsanstalt platziert zu haben. Wille war auf der Warteliste der Munitionsanstalt vermerkt und hoffte, als Nachrücker den sowieso nicht gut beleumdeten Probst um seine Stelle als Wachmann zu bringen.6 Welche Folgen für Wille dadurch entstanden, ist nicht bekannt.

Im Frühjahr 1944 wurden ein Deutscher wegen Fotografierens öffentlicher Verkehrsanlagen sowie ein Lette wegen Fotografierens in der Nähe militärischer Objekte festgenommen.7 Im Februar 1945 kam es zum letzten Vorfall dieser Art, einer Anzeige wegen des Verdachts auf Spionage.8



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Literatur und Quellen:

Anfragen und Beobachtungen über Personen in politischer Hinsicht: Personenbeobachtung. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 31a, Nr. 14.

Mlynek, Klaus (1986): Gestapo Hannover meldet--. Polizei- und Regierungsberichte für das mittlere und südliche Niedersachsen zwischen 1933 und 1937. Hildesheim: A. Lax (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXXIX, Niedersachsen 1933-1945, Bd. 1).

Tagesmeldungen der Kripo-Leitstelle Hannover - Außenstelle Göttingen. Stadtarchiv Göttingen, Fach 175, Nr. 1, Bd. 1.

Tagesmeldungen der Kripo-Leitstelle Hannover - Außenstelle Göttingen. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir., Fach 175, Nr. 1, Bd. 2.

Verächtlichmachung der Reichsregierung. Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir., Fach 31a, Nr. 8.



1Anfragen und Beobachtungen über Personen in politischer Hinsicht, S. 65v, 5.2.1934: Gauleitung; Kreispropagandaleitung an Kripo Göttingen.

2Ebenda, S. 75–76; Bericht Alster zur Anzeige durch Kreisparteileitung, 29.6.1934.

3Mlynek 1986, S. 247, Lagebericht des Hildesheimer Regierungspräsidenten an den Reichsminister des Innern für den Monat September 1934 / 10. Oktober 1934, BA: R 18/1559 (Kopie aus dem ZPAB). Abschrift.

4Anfragen und Beobachtungen über Personen in politischer Hinsicht, S. 172–173, Ortspolizei an Stapo-Stelle Hannover, Personenauskünfte, 14.12.1934.

5Ebenda, S. 178, Stapo–1934.

6Verächtlichmachung der Reichsregierung, S. 293-305.

7Tagesmeldungen der Kripo-Leitstelle Hannover - Außenstelle Göttingen, S. 180-181v, Zusatzbericht zu der Statistik des II. Vierteljahrs 1944 laut RKPLST-Verordnung Nr. 23 vom 8.3.1944.

8Ebenda, S. 187, Tagesmeldung 4.2.1945.

Rainer Driever