1935 – Das erneute Einsetzen des Terrors

Am 28. Dezember 1934 wurde Wilhelm Schumann von der Generalstaatsanwaltschaft Kassel angeklagt, im März und April 1933 ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitet zu haben. Er war nach dem Reichstagsbrand untergetaucht. Inzwischen saß Schumann in Untersuchungshaft in der Strafanstalt Kassel-Wehlheiden. Seit 1920 Mitglied in der KPD, war zuletzt Mitglied der Bürgervorsteherversammlung in Hann. Münden und Mitglied des Kreistages. Während seiner Illegalität hielt er sich größtenteils in Kassel auf. In den besagten Monaten kontaktierte er die Führer der RGO (Revolutionären Gewerkschaftsorganisation), um diese organisationstechnisch zu erfassen. Er blieb in ständiger Verbindung mit der illegalen Bezirksleitung der Partei in Kassel. Der Umstand, dass er vom Bezirkskassierer August Cohn in der Zeit der Illegalität mehrmals Geldbeträge erhielt führte zu dem Vorwurf entgeldlich (!) für die illegale Neuorganisation der KPD gearbeitet zu haben.1

Am 8. Februar 1935 wurden auf Veranlassung der Stapo-Stelle Kassel in den frühen Morgenstunden Haussuchungen in Münden nach der Roten Fahne durchgeführt. Die für illegale Zwecke verkleinerte Ausgabe wurde nur bei Bernhard Wucherpfennig gefunden.2

In der Nacht zum 13. August verhaftete die Stapo Kassel wegen des Verdachts der fortgesetzten illegalen Betätigung 10 Mündener: Bernhard und Luise Wucherpfennig, Frau Rahn, Theodor Eisfeld, Bernhard Scharf, Wilhelm Schön, Kornelius Bölling, Otto Nelges und Georg Ringsleben. Einen Tag später wurde Karl Scharf verhaftet. Die Polizei stellte zudem eine vergrabene Druckmaschine sicher. Die Verhafteten wurden nach Kassel überführt.3 Am 20. und 31. August wurden zudem verhaftet und ins Polizeigefängnis nach Kassel überführt: Ludwig Barke (bei dem die Polizei eine vergrabene Schreibmaschine finden konnte), Friedrich Dilcher, Heinrich Schäfer, August Wieland, Henny Schön, Wilhelm Hesse, August Lutter und Georg Kohlmann.4

Kurz vor der großen Verhaftungswelle in Hann. Münden im Oktober 1935 sorgte eine Demonstration für einige Irritation bei der Mündener Polizei.

Im Lagebericht der Staatspolizeistelle (Stapo-Stelle) Hannover hieß es für den Oktober: Viele der früheren Sozialdemokratischen Partei angehörige Arbeiter haben sich wieder zusammengefunden in irgendwelchen äußerlich harmlos erscheinenden Vereinen, so insbesondere in ,,Konsumvereinen'' und dem ,,Bund der Kinderreichen''. So hat sich in Hann.-Münden eine große Menschenmenge zusammengerottet und gegen einen Hauswirt öffentlich protestiert, weil dieser angeblich seine Räume nicht an eine kinderreiche Familie vermieten wollte. Bei dieser Gelegenheit ist es auch zu heftigen Angriffen auf einen Polizeibeamten gekommen. Wenn auch die Menge das Deutschland- und Horst-Wessel-Lied bei dieser Gelegenheit gesungen hat, so ist dies nur eine Tarnung. Die zur Erreichung der Ziele angewandten Mittel erinnern aIlzusehr an frühere marxistische Methoden.

Im selben Bericht ist zu lesen: Großes Aufsehen hat im hiesigen Bezirk ferner die Aufdeckung einer umfangreichen kommunistischen Organisation in Hann.-Münden durch den Untersuchungsrichter beim Volksgerichtshof erregt. Im Zuge der bereits im August und September durchgeführten Aktionen wurden im Oktober d. J. weitere 63 Personen, darunter ein jüdischer Arzt, wegen illegaler Betätigung für die KPD, festgenommen, so daß sich jetzt insgesamt 103 Personen aus Stadt und Kreis Hann.-Münden in Haft befinden.5

Die Verhaftungswelle im Oktober 1935

Zwei Monate nach den Verhaftungen des August wurden für eine umfangreiche Verhaftungsaktion in Münden neben Kräften der Stapo Kassel und der Ortspolizei Münden 20 Feldjäger aus Kassel und 55 SA-Männer zusammengezogen. Insgesamt 64 Frauen und Männer wurden in der Nacht zum 8. Oktober 1935 wegen illegaler Betätigung festgenommen, zunächst in die Rathaushalle und dann nach Kassel, Göttingen und Hannover gebracht. (Liste der Verhafteten PDF)6

Die Aktion galt offiziell der Bezirksleitung Kassel und ihren Untergliederungen der illegalen KPD. Zu bedenken ist aber, dass wenn die Unterbezirksleitung der illegalen KPD zu diesem Zeitpunkt 64 Personen umfasst hätte, dann hätte sie eine wundersame Vermehrung des Personals der Jahre vor 1933 erlebt. Festgenommen wurde z.B. auch der Vater des 1933 aus dem Amt gedrängten Magistratssekretärs Drubel. Der alte Mann, einer der Gründer der Mündener SPD, war damals 70 Jahre alt. Die Vorstellung, er könne 1935 zur Unterbezirksleitung der KPD gehört haben, ist abwegig. Nach einer Nacht im Göttinger Gefängnis stellte ihm der Staatsanwalt am Abend des nächsten Tages frei, nach Hause zu gehen oder eine weitere Nacht im Gefängnis zu verbringen, es läge kein schwerwiegender Grund für seine Verhaftung vor. Herr Drubel hat damals die 35 Kilometer zurück zu seiner Familie zu Fuß zurückgelegt. (Gedächtnisprotokoll, Interview Drubel 11.3.1983)7

Die Verhaftungen zerstörten größtenteils das Gefüge von Selbstbehauptung und Widerstand innerhalb der Mündener Arbeiterbewegung und hinterließen ihre Spuren in der kollektiven Erinnerung. (Zeitzeugen PDF / Käthe Barth PDF / Sigmund Freudenthal PDF)

Prozesse gegen Hann. Mündener 1936

Ab 1936 kam es im Gefolge der Verhaftungen ab Oktober 1935 zu einigen Prozessen gegen Mündener Kommunisten und Sozialdemokraten. Mit dem Verweis auf einzelne Urteile schließt die Betrachtung an dieser Stelle.

18.1.1936 Anklageschrift des Generalstaatsanwalts Kassel gegen 18 Mündener (PDF)

5.2.1936 - Oberlandesgericht Kassel - Urteil gegen 8 Kommunisten aus Lippoldshausen wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens (PDF)

13.3.1936 - Urteil gegen 18 Mündener - Auszug (PDF)

28.9.1936 – Anklageschrift gegen 12 Mündener – Auszug (PDF)

Nach der Zählung von Wilhelm Schumann aus dem Jahre 1973 wurden von den Hann. Mündener Bürgern 29 Personen in Konzentrationslagern ermordet oder starben an den Folgen der Mißhandlungen. Davon waren 20 Personen der KPD, sieben der SPD und eine dem ISK zuzuordnen, eine Person gehörte keiner Gruppierung an.

Von den politischen KZ-Häftlingen wurden 18 ohne ihre Zustimmung zum Kriegseinsatz an die Front befördert. 85 Bürgerinnen und Bürger aus Stadt und Kreis Hann. Münden wurden ermordet. Die Verurteilungen der 223 Widerständler erfolgte fast ausschließlich wegen Vorbereitung zum Hochverrat.

unter den 223 Opfern waren:
91 Mitglieder der KPD
52 Mitglieder der SPD
14 Mitglieder des ISK
60 parteilose Antifaschisten bzw. Mitglieder demokratischer bürgerlicher Parteien
159 Mitglieder einer dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund angeschlossenen Gewerkschaft.
8 (Liste der politisch und religiös Verfolgten sowie der Widerständler in Hann. Münden nach Schumann PDF)

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Literatur

Christmann, Gottfried; Kropp, Dieter (1984): Arbeiterbewegung in Hann. Münden von 1918 bis 1936: (Katalog der Ausstellung "Arbeiterbewegung in Münden von 1869 bis 1945“). Göttingen [u.a.]: Zentralstelle für Weiterbildung der Georg-August-Univ. [u.a.] ([Göttinger Beiträge zur universitären Erwachsenenbildung / Sonderheft] Göttinger Beiträge zur universitären Erwachsenenbildung).

Mlynek, Klaus (1986): Gestapo Hannover meldet--. Polizei- und Regierungsberichte für das mittlere und südliche Niedersachsen zwischen 1933 und 1937. Hildesheim: A. Lax (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXXIX, Niedersachsen 1933-1945, Bd. 1).

Schumann, Wilhelm (1973): Ihr seid den dunklen Weg für uns gegangen … : Skizzen aus dem Widerstand in Hann. Münden 1933 - 1939. Frankfurt/Main: Röderberg-Verl.



1Schumann 1973, S. 99

2Schumann 1973, S. 27, 13.2.1935 - Meldung über Haussuchung und Beschlagnahmung "Rote Fahne".

3Christmann und Kropp 1984, S. 129, August 1935 - Verhaftungen in Münden mit Schutzhaftangaben 33.

4Christmann und Kropp 1984, S. 127, 1935 - Verhaftungsaktionen in Hann. Münden und nachfolgende Zerschlagung der organisierten Opposition. (StAMü, Pol. 2-158/60-65).

5Mlynek 1986, S. 442, Lagebericht der Staatspolizeistelle Hannover an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin für den Monat Oktober 1935 / 4. November 1935 BA: R 58/552 (Kopie aus dem ZPAB). Abschrift.

6Christmann und Kropp 1984, S. 130-132.

7Ebenda, S. 128.

8Schumann 1973, S. 53–56.

Rainer Driever