Alternative Informationsbeschaffung: Radio
Eine der wichtigen Maßnahmen der Nationalsozialisten war die Schaffung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (Reichspropagandaministerium) unter Leitung von Joseph Goebbels im März 1933. In der Folgezeit sollte das Ministerium nicht nur die Zentralinstanz der Informationsverwaltung für die Presse werden, seine Arbeit wurde auch auf Literatur und Film ausgedehnt, also eine umfassende Medienkontrolle etabliert. Kontrolle war die eine, die andere Seite dieses Vorgehens war die Schaffung eines mächtigen Propagandaapparates. Eines der ersten und sicherlich eines der grundlegendsten Projekte dazu war die Etablierung bzw. Nutzung des Mediums Radio. Von Goebbels in Auftrag gegeben, wurde der Volksempfänger Modell VE 301 auf der Deutschen Funkausstellung im August 1933 vorgestellt. Sein Preis lag bei 76 RM. Das Gerät sollte in der Folgezeit Hitlers Stimme in die deutschen Wohnstuben tragen. Allerdings ermöglichte das Kurz-und Langwellengerät auch das Hören von ausländischen Sendern.1
In den Quellen taucht im Zusammenhang immer wieder der Moskauer Sender auf. Der Sender Radio Moskau begann seine Tätigkeit im Oktober 1929. Geschaffen für Hörer im Ausland, sendete er in Deutsch, Englisch und Französisch. Er sollte der Solidarisierung mit der Sowjetunion dienen. Der Sender war unter dem Informationsmonopol der Nationalsozialisten eine wichtige Ressource des kommunistischen Widerstands in Deutschland. Die deutsche Redaktion bestand unter anderem aus Egon Erwin Kisch, Wilhelm Pieck, Johannes R. Becher, Erich Weinert, Willi Bredel, als Sprecher fungierten aber auch deutsche Schauspieler.
Empfangen werden konnte in Göttingen auch Radio Beromünster, ein Schweizer Landessender. Dieser war für Deutschland und Österreich von großer Bedeutung und konnte später bis ins Warschauer Ghetto empfangen werden.
Die Hörfunksendungen des Deutschen Dienstes der British Broadcasting Corporation (BBC) wurden mit vier Paukenschlägen eingeleitet: kurz-kurz-kurz-lang. Sie sind den ersten Töne von Beethovens Fünfter nachempfunden und entsprechen dem Morsezeichen für den Buchstaben V wie Victory (Sieg). Der Deutsche Dienst (Hier ist England) sendete zum ersten Mal am 27. September 1938 in deutscher Sprache, sein wohl prominentester Sprecher war Thomas Mann.
Das Hören von ausländischen Sendern war nicht explizit verboten, wurde aber nicht gerne gesehen. Eine Ausnahme bildete der Moskauer Sender. Dessen Anhören konnte in den Prozessen bis 1939 bereits einen Straftatbestand bilden. Hörergemeinschaften wurden bereits 1933 inhaftiert, ihre Radioapparate beschlagnahmt. Urteilsrelevant wurde solches Verhalten stets, wenn die Informationen „eingesetzt“ wurden. Denn: Die Übertragungen des Moskauer Senders in deutscher Sprache dienen der Unterstützung der hochverräterischen KPD. Vorbereitungen zum Hochverrat lägen dann vor, wenn jemand die Übertragung hört, um seinerseits wieder von ihrem Inhalt, sei es durch mündliche Propaganda oder durch Auswertung in der illegalen Presse der KPD, Gebrauch zu machen.2
Der
Volksempfänger erreichte eine gewisse Popularität und
Radiohören wurde gewissermaßen zur “staatspolitischen
Pflicht”. Wer kein Radio besaß, machte sich verdächtig,
wurde zum Außenseiter. Goebbels formulierte dies 1936 ganz
explizit: Wer
sich von der Teilnahme am Rundfunk ausschließt, läuft
daher schon heute Gefahr, auch am Leben der Nation vorbeizugehen.3
Dies wurde natürlich kontrolliert, z. B. wurde in der Schule
nachgefragt, welche
politischen Radiosendungen zu Hause gehört wurden.4
Das Hören von ausländischen Sendern ist zunächst
einmal als alternative Methode der Informationsbeschaffung anzusehen.
Sie konnte aus reiner Neugier erfolgen und kann uns nicht als
Nachweis einer regimekritischen Haltung dienen.
Mit
Datum des Überfalls auf Polen wurde die Verordnung
über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen
am 1. September 1939 erlassen. Mit ihr wurde das Hören von sog.
Feindsendern mit teils drakonischen Strafen bis hin zur Todesstrafe
bedroht. In § 1 hieß es: Das
absichtliche Abhören ausländischer Sender ist verboten.
Zuwiderhandlungen werden mit Zuchthaus bestraft. In leichteren Fällen
kann auf Gefängnis erkannt werden. Die benutzten Empfangsanlagen
werden eingezogen. Der §
2 war schweren Fällen vorbehalten: Wer
Nachrichten ausländischer Sender, die geeignet sind, die
Widerstandskraft des deutschen Volkes zu gefährden, vorsätzlich
verbreitet, wird mit Zuchthaus, in besonders schweren Fällen mit
dem Tode bestraft.
In
den §§ 4 und 5 wurde festgelegt, dass Strafverfolgung nur
auf Antrag der Staatspolizeistellen und Verfahren nur vor den
Sondergerichten stattfinden sollten.
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Literatur
Rosenbaum, Heidi (2014): "Und trotzdem war's 'ne schöne Zeit". Kinderalltag im Nationalsozialismus. Frankfurt a.M.
2http://www.dra.de/rundfunkgeschichte/75jahreradio/nszeit/volksgenosse/2411.html.
3Rosenbaum 2014, S. 253.
4Rosenbaum 2014, S. 375.
Rainer Driever