Heinrich Oberdiek
wurde
am 25. 12. 1903 in Göttingen geboren. Er besuchte bis 1918 die
Volksschule und absolvierte eine Lehre als Kürschner.1
Ab 1926 wohnte Oberdiek im Kreutzbergweg (heute Kreuzbergring und
Von-Bar-Straße). Am 25.3.1933 heiratete er Lina Wünsch
(geb. 11.9.1905). Am selben Tag zog die junge Familie in die
Geschäftsstelle des ISK ein, wo die beiden bis Anfang November
wohnten. Ihr erster Sohn, Rainer, wurde am 12.2.1940, der zweite,
Herbert, am 22.5.1941 geboren. Lina Oberdiek zog während der
Untersuchungshaft ihres Mannes zurück in den Kreutzbergweg.
Oberdiek trat 1924 dem Kürschnerverband bei. 1928 wurde er Mitglied im Freidenkerverband. Dort lernte er Eichler‚ Körber, Westernhagen, Gries und Düker kennen. Vor allem durch Körber und Westernhagen kam der Kontakt mit der ISK-Ortsgruppe zustande, an deren Veranstaltungen er sich seit 1930 beteiligte. Zudem gehörte er zu den ISK'lern, die mit Fritz Schmalz und Fritz Körber in der Arbeiterwehr (KPD Göttingen Antifa) aktiv waren.
Aber
auch schon vorher war Oberdiek in die Auseinandersetzung mit der
NSDAP involviert: Am Abend des 2. Mai 1930 kam es zu einer
Auseinandersetzung, in der sieben Nationalsozialisten und drei
Kommunisten schwer verletzt wurden. Fritz
und Helmut Schmalz hatten zunächst Anzeige gegen die
Nationalsozialisten erstattet, zu einem Verfahren kam es nicht.
Daraufhin klagten die Nationalsozialisten und am
7. Mai wurde Adolf Kreitz zusammen mit Helmut Schmalz, Oskar Knodt
und einer weiteren Person festgenommen. Die Vier saßen bis zum
September in Untersuchungshaft. Der Prozess begann am 14. September.
Es gab 12 Hauptangeklagte: neben verschiedenen KPD-Angehörigen
oder -sympathisanten auch Fritz Schmalz und Heinrich Oberdiek vom
ISK. Der Staatsanwalt beantragte hohe Freiheitsstrafen.2
Verurteilt wurden die Angeklagten zu Freiheitsstrafen bis zu einem
Jahr, die allerdings zur Bewährung ausgesetzt wurden.3
Oberdiek wurde freigesprochen.
Heinrich
Oberdiek wurde zusammen mit Fritz Körber, Heinrich Westernhagen,
Elisabeth Deppe und Ludwig Fürchtenicht im Frühsommer 1931
als ordentliches Mitglied
in den ISK aufgenommen.4
Er
beteiligte sich an den Veranstaltungen, nahm unter anderem an einem
von Eichler geleiteten Kurs im ISK-Heim teil und verkaufte
ISK-Schriften.5
Nach der Machtübertragung und dem Verbot der Organisation blieb Oberdiek mit Westernhagen und Körber in Verbindung und beteiligte sich vermutlich auch an den illegalen Aktionen der beiden Fünfergruppen. Nach den Ermittlungen, die der Verhaftung im Januar 1936 vorausgingen und bis zum Prozess weitergingen, war Oberdiek vor allem für Verbindungen zuständig, z.B. für die nach Hann. Münden.
Oberdiek kannte Karl Gries, den Leiter der Hann. Mündener ISK-Gruppe, von einer Schulung des ISK und belieferte die Mündener mit Reinhart-Briefen und anderem ISK-Material. Er nahm auch an Besprechungen des Mündener ISK teil, die meist in der Wohnung von Gries stattfanden, aber auch als Kaffeegesellschaften getarnt abgehalten wurden. Oberdiek war auf diesen Treffen als Instrukteur im Sinne der Eichler'schen Anweisungen für die illegale Arbeit aktiv.6
Über
Heinrich Oberdiek verlief auch die Verbindung zur Reichsleitung, die
in Berlin unter Hellmuth Rauschenplat (alias Fritz Eberhard)
arbeitete. Dieser (oder Hans Jahn) scheint mehrere Male im Herbst
1935 in Göttingen gewesen zu sein, auch um den Kontakt mit
Oberdiek zu nutzen, um die Möglichkeit neuer Verbindungen der
illegalen Gruppen zu prüfen. Bei dieser Gelegenheit übergab
er zudem neues Material und bat Oberdiek, möglichst die Wirkung
der Schriften abzuschätzen.7
(ISK
Widerstand Göttingen)
Am
17.1.1936 wurde Oberdiek wegen Vorbereitung zum Hochverrat in das
Gerichtsgefängnis Göttingen eingeliefert. Der Prozess gegen
die ISK'ler fand am 28.4.1936 in Kassel statt. (ISK
Urteil 29.4.1936 PDF)
In
der Begründung zu seinem Urteil steht, es sei der grosse
Umfang und die erhebliche Bedeutung ihrer (Körber,
Westernhagen, Oberdiek) Tätigkeit
für den ISK im Bezirk Südhannover zu berücksichtigen.
Sie alle bekleideten führende Stellungen in der von ihnen
vornehmlich neu aufgebauten Organisation und waren sich wohl bewusst,
was sie taten und dass sie hohe Strafe riskierten. (…)
Von
nicht viel geringerer Bedeutung war die Tätigkeit der
Angeklagten Westernhagen und Oberdieck, ohne deren Hilfe Körber
allein gar keine genügende Möglichkeit zur weiteren
Einflussnahme gehabt hätte. Die Wirksamkeit der ganzen
Organisation hing davon ab, dass die Funktionäre als
unentbehrliche Bindeglieder zu den einzelnen Anhängern des
Bundes ihre Arbeitskraft dem ISK zur Verfügung stellten, wie sie
es auch getan haben.
(…) Bei
der ihrem Umfang nach etwas geringeren Betätigung des
Angeklagten Oberdieck war für ihn eine Zuchthausstrafe von drei
Jahren und 6 Monaten angemessen. Zu einer milderen Beurteilung
bestand vor allem deswegen kein Anlass, weil über ihn die
Verbindung mit der Reichsleitung wieder hergestellt wurde und es auf
seinen Einsatz zurückzuführen ist, wenn die ISK-Arbeit nach
den Weisungen einer einheitlichen Leitung in Berlin erfolgen konnte.
8
Wo Heinrich Oberdiek seine Haftzeit verbrachte, ist unbekannt. In den Jahre 1939 und 1940 war er wieder in Göttingen. Danach kam er als Soldat in ein Strafbataillon, Oberdiek gilt als vermisst.9
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Literatur und Quellen
Gefangenenpersonalakte Gustav Funke: Strafgefängnis Hameln. Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86a Hannover Acc. 2000/057 Nr. 195.
Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an Bundesvorstand: Berichte 1931. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000021.
Nachlass Arthur Levi : Anklageschrift 9.3.1936; Fritz Körber. Stadtarchiv Göttingen.
Rohrbach, Rainer (1989): „Die politische Lage ist hier als verhältnismäßig ruhig zu betrachten …“: Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Göttingen 1933 bis 1945. Unter Mitarbeit von Hans-Georg Schmeling. In: 100 Jahre Göttingen und sein Museum, S. 161–180.
1Nachlass Arthur Levi 09.03.1936, S. 1, 9.3.1936 - Generalstaatsanwalt Kassel - Anklageschrift, S. 1.
2Bons et al. 1986, S. 59, 2.9.1930 - Briefauszug - August Stapel an Heinrich Schlieper.
3Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an Bundesvorstand, S. 8, 23.9.1930 Willi Eichler an OVV.
4Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an Bundesvorstand, S. 2, 6.7.1931 Vierteljahresbericht II. Quartal.
5Gefangenenpersonalakte Gustav Funke, S. 15, 1924 29.4.1936.
6Ebenda, S. 17, 29.4.1936.
7Ebenda, S. 15, 29.4.1936.
8Ebenda S. 32, 29.4.1936.
9Rohrbach 1989, S. 173, 16.6.1936, Prozess Düker u.a. Haftstrafen.
Rainer Driever