Nach der Machtübertragung
Die
ersten Meldungen für 1933 betrafen eine Beschwerde, die der
Elternbeirat der Mädchen-Mittelschule (Personnschule) am
20.9.1932 an den Stadtschulrat Koch gerichtet hatte. Darin wurde
deutlich das Verhalten von Erna Siem und Maria Kneisel als
internationale
Lehrerinnen ihren deutschen Schülerinnen
gegenüber gerügt. Internationale
heidnische Lehrerinnen
an einer evangelischen
Mädchenmittelschule –
das konnte von der nationalen
evangelischen Elternschaft
so nicht hingenommen werden. Im Einzelnen ging es bei der Beschwerde
um das Nicht-Absingen der Nationalhymne angesichts der sie
beobachtenden Schülerinnen, die Mitgliedschaft beider
Lehrerinnen in der kommunistischen Partei, Beteiligung an deren
Demonstrationen, ihr Austritt aus der Kirche und ihr demonstratives
Bekenntnis zum ISK. Hier wäre durch scharfe
Maßnahmen sofortige Abhilfe dringend
erforderlich.1
Diese Beschwerde führte über einige Stationen und das
Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933 zur
Suspendierung der ISK-Lehrkräfte. (Suspendierungen
Siem)
Um die Arbeitsfähigkeit der Göttinger Ortsgruppe war es nicht gut bestellt. Dazu schrieb Willi Eichler am 8.2.1933: Der Göttinger OV ist leider durch Nachlässigkeiten und Mängel verschiedener Art bei einem erheblichen Teil der Göttinger Genossen auf ein so niedriges Maß von organisatorischer Schlagkraft gesunken, dass wir uns entschlossen haben, ihn bis auf weiteres nur als AG zu führen. Ich will hier in aller Kürze darüber nur mitteilen, dass es bisher den führenden Ff (Funktionären, RD)nicht gelungen ist, sich über einige Fragen der politischen Arbeit und des politischen Auftretens zu verständigen. Diese Genossen gingen soweit auseinander, dass sie ihre Kontroversen geradezu öffentlich austrugen und der eine den anderen öffentlich desavouierte. Was funktionierte war der weitere Straßenverkauf des Funken, bei dem im Januar 1933 noch einmal 617 Exemplare in Göttingen abgesetzt werden konnten.2
Am
3.2.1933 wurde durch Fritz Körber eine öffentliche
Versammlung im kleinen Saal des Volksheims veranstaltet. Das Thema
war Rechtsnot
und Sondergerichte,
über das der Rechtsanwalt Erich Lewinski aus Kassel (dort seit
1930 Mitglied) Auskunft gab.3
Eine Veranstaltung der Göttinger Arbeiterwehr am 11.2. sollte die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit der linken Kräfte in Göttingen ausloten, beschäftigte sich somit mit dem Thema, das der ISK seit Ende 1930 propagierte. Der Funke berichtete unter dem Titel Vorwärts, und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht am 15.2.1933. Diese Versammlung und die Demonstration am 15.2. verbreiteten einige Zuversicht im ISK.4 Deshalb wurde von Fritz Körber für den 24. Februar eine Versammlung im Volksheim angemeldet, zu der die Vorstände von SPD, KPD und ADGB eingeladen wurden.5 Diese wurde abgesagt, wahrscheinlich weil eine Resonanz auf die Einladung ausblieb.6 (ISK Einheitsfront)
Nach dieser Enttäuschung gingen die Göttinger zunächst so vor, wie es der Bundesvorstand festgelegt hatte: weitere Vorbereitung auf Verbote von Publikationen und Organisation des ISK, bei Unterbrechung der Verbindung zum Bundesvorstand Orientierung an den Freien Gewerkschaften. Eichler ergänzte: Natürlich geben wir keine einzige Arbeitsmöglichkeit auf, bevor wir nicht mit Gewalt daran gehindert werden, sie zu benutzen.7 Die Berichterstattung zwischen den Ortsgruppen und der Bundesleitung wurde ab dem 4.3. eingestellt, einen Tag vor der Reichstagswahl. Mitgliederlisten, Akten und Kassenbücher wurden noch vor den ersten Haussuchungen vernichtet oder versteckt.8
Anfang März traf es eine befreundete Organisation, mit der der ISK zusammenarbeitete und zu der personelle Kontakte bestanden. Im Jugendheim wurde eine „wilde Haussuchung“ durch Mitglieder der Göttinger Hitlerjugend vorgenommen. Diese beschlagnahmten zwei Schränke mit Inhalt, die mit der Aufschrift „Eigentum des Touristenvereins der Naturfreunde“ versehen waren. Zur Begründung der Aktion war seitens der HJ ein Schreiben der Naturfreunde aus dem Jahre 1928 dem Stadtjugendpfleger übersandt worden. Der Verein erstattete umgehend Anzeige.9
Während
im März die Verhandlungen über die unliebsamen ISK-Lehrer
zwischen Stadtschulrat und Regierungspräsident weiter
vorangetrieben wurden, bereiteten die neuen Machthaber ihre erste
größere Aktion gegen den ISK vor. Sie galt der Roten
Burg,
der Geschäftsstelle im Nikolausberger Weg 67. Am Abend des
14.3.1933 gegen
20.30 Uhr erschienen 30-40 Nationalsozialisten, die sich als
Hilfspolizisten ausgaben, und durchsuchten die Geschäftsstelle.
Ob die Räume der dort wohnenden ISK-Mitglieder ebenfalls
durchsucht wurden, ist unklar. Angeführt wurden sie von Heinrich
Soest, einem Göttinger SA-Oberführer. Auslöser dieser
Aktion war das Gerücht,
dass das Gebäude der Kommunistischen
Jugend
überlassen worden sei. Dem sollte anscheinend zuvorgekommen
werden. Eine Anzahl von Mitgliedern der Hitlerjugend unter dem
HJ-Führer Rudolf Meyer nahm an dieser Aktion teil.10
Am 16. März beantragte der Sturmbann
Göttingen
der Hitlerjugend
beim Reichskommissar für Preußen, Franz von Papen (noch
bis zum 11. April, dann wurde Göring preußischer
Ministerpräsident), das Haus Nikolausberger Weg 67 zur Verfügung
gestellt zu bekommen.11
Fritz Körber, als Verwalter des Hauses schrieb eine Beschwerde
über die Durchsuchung und deren Umstände an die
Ortspolizei.12
Am 20.3.1933 wurde gegen die beiden Lehrerinnen Maria Kneisel und Erna Siem ein Dienststrafverfahren eingeleitet (Grund .s.o.).13 (Maria Kneisel)
Am 10.4.1933 war das erste ISK-Mitglied von einer Haussuchung betroffen. Es traf den Buchhändler Albert Steen im Goldgraben, seine Frau Hedwig leitete den ISK-Kindergarten in der Gronerlandstraße. Kriminalsekretär Döring durchsuchte mit den beiden SA-Leuten Bleßmann und Kleinsorge als Hilfspolizisten die Wohnung nach sozialistischem Material. Das vorgefundene Material wurde sichergestellt und zur schließlich ergebnislosen Durchsicht mit auf die Polizeiwache genommen.14 Albert Steen gab in seiner Vernehmung lediglich an, dass er seit Januar 1930 dem ISK angehört und ab Januar 1932 die Funktion des zweiten Vorsitzenden der Ortsgruppe versehen habe. Daneben behauptete er, dass die Ortgruppe ab Anfang Februar aufgelöst sei.15 (Der Ortsverein wurde zur Arbeitsgruppe zurückgestuft, vgl. Brief Eichler 8.2.1933)
Daneben wurden Anfang April bei einer ganzen Anzahl politisch links eingestellter Personen, insbesondere bei Mitgliedern des ISK, Durchsuchungen nach politischen Schriften vorgenommen, wobei jedoch belastendes Material nicht gefunden wurde.16
Am
Tag der Aktion bei Steen, drei Tage nach Erlass des Gesetzes zur
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, schrieb der stellvertretende
Vorsitzende des NSDAP-Ratsfraktion eine Vorlage an den Magistrat: Da
festgestellt wurde, dass die als kommunistisch eingestellt bekannten
Lehrer Hermann Küchemann, Knabenmittelschule, Rudolf Küchemann,
Oberrealschule, sowie zwei Lehrerinnen Fräulein Siem,
Mädchenmittelschule, Fräulein Kneisel, Mädchenmittelschule,
noch bis unmittelbar vor den Osterferien ihr Lehramt versehen haben,
wird der Magistrat gebeten, mit allen Mitteln dafür zu sorgen,
dass diese Lehrkräfte bei Beginn des neuen Schuljahres keinen
Unterricht mehr erteilen. Die national gesinnte Elternschaft
Göttingens würde es als unerträglich empfinden, die
Erziehung ihrer Kinder weiterhin kommunistisch gesinnten Lehrkräften
anvertrauen zu müssen.17
Die Göttinger Zeitung berichtete zwei Tage später über
die Anträge der NSDAP-Ratsfraktion und vertauschte dabei den
Namen „Maria Kneisel“ mit „Elsa Adomeit“,
dies wurde am 22.4.1933 in der GZ richtiggestellt.18
Noch einmal zwei Tage später, am 12.4.1933, schrieb Kriminalsekretär Theodor Griethe seinen Bericht über den ISK. Trotz einiger offenkundiger Fehler (z.B. ISK-Gründung 1919) zeigt dieser, dass die Polizei gut über den ISK und seine Arbeit informiert war. Griethe beschreibt seine Arbeit, die Liegenschaften des ISK in Göttingen u.a. Dieser Bericht wurde bis Ende Mai 1933 ergänzt. Er enthält inzwischen Vorgefallenes, wie z.B. den Beschluss zur Beschlagnahmung des ISK-Vermögens.19 (Polizeibericht PDF)
Der
Bundesvorstand berief zu Ostern 1933 (Mitte April) Vertreter der
einzelnen Ortsgruppen zu einer illegalen Tagung nach Berlin, an der
20 Funktionäre teilnahmen. Unter ihnen waren auch Max Mayr aus
Kassel und Fritz Körber aus Göttingen.20
Nach dem endgültigen
Verbot der Zeitschriften und Organisation des ISK ging man daran,
eine illegale Organisation zu schaffen, die die politische Arbeit des
ISK unter den veränderten Bedingungen weiterführen konnte.
Zudem wurde eine Organisation gegründet, die in der Tradition
der Bemühungen um eine Einheitsfront gegen den
Nationalsozialismus bemüht war, bislang politisch oder
gewerkschaftlich nicht organisierten Regimegegnern die Möglichkeit
zu verschaffen, den illegalen Kampf gegen den Faschismus aufzunehmen.
Diese zweite Organisation wurde später unter dem Namen
Unabhängige
sozialistische Gewerkschaft
(USG) bekannt.21
In Göttingen ging es noch, im Vergleich zu der gleichzeitig stattfindenden Schutzhaftwelle gegen Kommunisten und Sozialdemokraten, für die ISK-Mitglieder vergleichsweise glimpflich zu. Parallel zu den Beschlagnahmungen sozialdemokratischen Vermögens (incl. Reichsbanner und Arbeiterjugend) wurde am 10.5.1933 der Standartenführer Peters auch als Kommissar der Ortspolizeibehörde Göttingen für das ISK-Vermögen eingesetzt. Dieser war für die Fest- und Sicherstellung verantwortlich.22 Der Wert der ISK-eigenen Grundstücke wurde geschätzt, für die Geschäftsstelle wurde 1200 RM, für das Grundstück des Kindergartens auf der Gronerlandstraße wurden 624 RM veranschlagt. Für beide Grundstücke wurde ein Sperrungsvermerk im Grundbuchamt erwirkt, da der ISK beabsichtigte, diese zur Vermeidung der drohenden Enteignung zu verkaufen.23 (Bericht Enteignung PDF)
Am
18.5.1933 erreichte den Universitätskurator Valentiner eine
Anfrage aus dem Erziehungsministerium. Es ging um Heinrich Düker
bzw. seine Stellung als Privatdozent an der
Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Düker sei
hinreichend
verdächtig
(...), der
kommunistischen Partei Deutschlands anzugehören.
Minister Rust ersuchte um einen Bericht
unter eingehender Darstellung des Sachverhalts.24
Die Angelegenheit wurde bis zum Juni vorangetrieben, der Kurator
holte sich zu Düker noch weitere Stimmen aus dem universitären
Umfeld ein. Schließlich schrieb Valentiner noch an
Polizeidirektor Gnade und teilte ihm das Ergebnis seiner
Untersuchungen mit. Das bedeutete
aber nicht, dass die Polizei nicht auch selbst ermittelte.
(Dienststrafverfahren)
Düker
war bereits am 28.4.1933 von der Polizei vernommen worden.
Bezeichnender Weise kam der erste Verhaftete nicht aus den Reihen des
ISK Göttingen. Am Morgen des 19.5.1933 wurde der Schlosser
Wilhelm Warncke aus Kassel beim Verlassen des Nikolausberger Weges 67
– die Geschäftsstelle stand unter Beobachtung der Polizei
- festgenommen und in Schutzhaft genommen. Er hatte eine Anzahl Akten
des ISK bei sich, die er aus der Walkemühle für Minna
Specht nach Hannover bringen wollte.25
Am
16.6.1933 wurde Warncke wieder aus der Schutzhaft entlassen.26
Als nächste stand am 2.6.1933 die Wohnung von Fritz Schmalz in der Weenderstraße 71/72 zur Durchsuchung an. Er wohnte dort mit seiner Mutter Auguste und seinem Bruder Helmut, der Ende der 1920er Jahre vom ISK zur KPD gewechselt hatte. Allerdings galt die Suche vermutetem Material des Freidenkerverbandes, dessen langjähriger Vorsitzender Schmalz gewesen war. Die Polizei nahm zwei Briefordner mit Schriften, Aufsätzen und sonstige Broschüren der Freidenker und des ISK mit, unter denen sich allerdings kein staatsfeindliches Material befand.27
Zusätzlich
zu diesen Maßnahmen und der weiteren Beobachtung der
Geschäftsstelle und des Kindergartens28
wurde die Buchhandlung Peppmüller observiert. Ein Denunziant
hatte am 22.6.1933 gegenüber der Polizei angegeben, dass in der
Peppmüller'schen
Buchhandlung
(...) zwei
Personen beschäftigt (seien),
die sich in staatsfeindlichem Sinne betätigen und Druckschriften
staatsfeindlichen Inhalts herstellen ließen und verbreiten.
Diese wurden bei der Firma Grosse in der Barfüsser Straße
7 angefertigt. Die
Observierung blieb ergebnislos, eine Durchsuchung der Druckerei am
23.6.1933 lieferte ebenfalls keine Ergebnisse.29
Die Buchhandlung Peppmüller wurde geführt von Anni und
Richard Schmidt, zwei ISK-Mitgliedern. Bereits 1931 hatte Willi
Eichler alle
Genossen,
die
nicht aus organisatorischen Gründen ihre Bücher bei
bestimmten Buchhändlern
kaufen müssen (gebeten),
sie (die
Bücher) aus
der Buchhandlung Robert Peppmüller, Barfüsserstr. 7, zu
beziehen, deren Inhaber unser Genossen Richard Schmidt ist. Gerade
dieser Genosse erfährt immer wieder, dass unsere Gegner es weit
besser verstehen als wir, ihre Kaufkraft auszunutzen.30
Neben den Liegenschaften des ISK in der Stadt wurde auch das vegetarische Restaurant beobachtet, das die Mutter von Fritz und Helmut Schmalz in der Weenderstraße 71/72 betrieb. Auguste Schmalz war seit spätestens 1927 Mitglied im ISK, sie hatte bereits vegetarische Kochkurse in der Walkemühle abgehalten.31 Vegetarische Restaurants waren ein finanzielles Standbein der Organisation, profitabler und dafür in Frage kommend waren aber eher die Restaurants in den größeren Städten, wie Berlin, Hamburg (dort arbeitete ab 1934 Anna Kothe, die lange Zeit in der Geschäftsstelle in Göttingen als Hauswirtschafterin gearbeitet hatte), Köln oder Frankfurt.32 Der vegetarische Mittagstisch der Auguste Schmalz bestand seit spätestens 1931 und war ein regelmäßiger Treffpunkt. Hannah Vogt erinnerte sich: Ich erinnere mich (...) an ein Lokal in der Weender Straße – von der Mutter des Gewerkschaftlers Fritz Schmalz geführt –, wo sie alle vegetarisch zu Mittag aßen. Viele von ihnen waren dort regelmäßig anzutreffen.33 Seit Frühjahr des Jahres 1933 wurde das Lokal überwacht, dennoch gelang es der Polizei nicht zu beweisen, daß unter den Gästen des Schmalz'schen Mittagstisches in der Wohnung der Witwe Schmalz staatsfeindliche Gespräche geführt werden.34
Auf die Verdienstmöglichkeiten, die sich mit einem solchen Restaurant eröffneten, fiel auch der begehrliche Blick der Volksgenossen. In einem Schreiben an den Rektor der Universität vom Ende Oktober 1933 bot jemand Abhilfe für einen Notstand in der Ernährung der Studenten. Von den 4000 Studenten seien mindestens 150 Vegetarier, die nun auch die Lebensweise unseres Volkskanzlers leben möchten, dies aber nicht könnten, weil der einzige hier bestehende vegetarische Mittagstisch (...) von dem ehemaligen Kommunisten Schmalz betrieben würde. Dieser würde sogar noch durch einen Aushang am Schwarzen Brett der Aula Werbung machen, trotzdem doch bewiesen werden könne, daß dort die Studenten verhetzt werden und (dass) in sehr raffinierter Weise dabei vorgegangen wird. Der Briefschreiber sah es als seine vornehmste Aufgabe an, den Studierenden der Göttinger Universität zum billigsten Preise eine hochwertige und der neuen Ernährungslehre entsprechende Kost zu verabreichen. Er hoffte natürlich auf die Unterstützung des Rektors für seine wertvolle Idee, die auch Hitler, Rudolf Hess, Göbbels (!) und sogar viele Göttinger Professoren vertreten.35 Der Schmalz'sche Mittagstisch hielt sich trotz dieser Anfechtungen mindestens bis Kriegsausbruch.
Die zweite Funktionärskonferenz des ISK fand vom 10. - 14.8.1933 in Saarbrücken statt. Ob ein Göttinger ISK-Mitglied dort anwesend war, ist unbekannt. Zusammen mit den Beschlüssen der Osterkonferenz wurden hier die Richtlinien für die künftige illegale Arbeit des ISK gelegt. (ISK Widerstand allgemein)
Bis
Ende des Jahres 1933 versuchten die Göttinger ISK-Mitglieder,
sich auf die neue Situation einzustellen. Alle Treffpunkte waren
inzwischen durch die Beschlagnahmungen nicht mehr benutzbar, allein
der Mittagstisch im vegetarischen Restaurant bot die Möglichkeit,
die Genossen abseits der Privatwohnungen zu treffen. Ende des Jahres
1933 kam ein alter Bekannter nach Göttingen, einer der Chinesen,
von denen im Polizeibericht im Mai 1933 zu lesen war. Wei Si Luan war
seit 1924 Mitglied im IJB, er wurde damals von Willi Eichler als
Leiter des IJB in China vorgesehen. Seine Bekannte Chijin Chen
besuchte ab 1925 die Walkemühle36
und trat am 6.4.1932 in Göttingen als Rednerin des ISK auf.37
Sie hielt sich zu der Zeit in Berlin auf und profitierte beim
Straßenverkauf des Funken
von ihrem, auch für Berlin, exotischem Aussehen (an
vier Abenden 222 Zeitungen).38
Wei Si Luan kam Ende Dezember 1933 nach Göttingen und arbeitete
hier zu chinesischer Literatur.39
Er beendete seine Studien im Juli 1934 und traf sich auf seiner Fahrt
nach Genua noch mit dem Mann von Hanna Fortmüller in der
Schweiz.40
Für Anfang Februar findet sich ein Ertrag zur Briefüberwachung der ISK-Mitglieder in den Polizeiakten. Der Referendar Wilhelm Merz („Widerspruchsgeist“) schrieb an Ludwig Fürchtenicht, der als ISK-Mitglied der Postkontrolle unterlag. Merz war während seiner Studienzeit mit den Kindern des Fürchtenicht befreundet. Ludwig Fürchtenicht war seit 1930 Kandidat und seit Sommer 1931 Mitglied im ISK.41 Wohl eher reflexhaft ist in dem Vorgang gegen Merz von einem Verdacht staatsfeindlicher Betätigung gegen Fürchtenicht die Rede.42 (Ludwig Fürchtenicht)
Fürchtenichts Tochter Marie (geb. 10.5.1914) arbeitete als Wäscherin bis zum 18.8.1934 in der Frauenklinik. Ihr Lebenswandel war Gegenstand vertraulicher Ermittlungen. Die Polizei teilte über sie am 22.1.1935 mit, dass sie ihre Arbeitsstelle selbst gekündigt habe, andererseits hat man auf ihr weiteres Verbleiben (…) keinen Wert gelegt, da ihr Verhalten in sittlicher Hinsicht unmoralisch und verkommen war. (…) In politischer Hinsicht scheint sie auf dem Boden des „Internationalen Sozialistischen Kampfbundes“ zu stehen. Diese Verknüpfung der Bewertung des „Sittlichen“ mit dem „Politischen“ ist für Frauen der linksstehenden Arbeiterschaft durchaus nicht selten anzutreffen.
Bis zu den Verhaftungen am 17.1.1936 verlief die Repression gegenüber den Göttinger ISK-Mitgliedern eher verhalten. Noch im November 1935 meldete die Staatspolizeistelle Hildesheim an das Gestapa in Berlin: Im Gebiet Göttingen ist der ,,Internationale Sozialistische Kampfbund“' in Verbindung mit der KPD in Erscheinung getreten. Während sich bei der KPD meistens Personen aus der Bürgerschaft und dem Arbeiterstand beteiligen, befinden sich innerhalb des ISK gebildete Kreise der sogenannten ,,verkrachten Existenzen“' wie Fabrikanten, frühere Offiziere, Lehrer usw. Von einem polizeilichen Zugriff ist bisher abgesehen worden, da es noch einer längeren Beobachtung bedarf, bis sämtliche Fäden restlos aufgedeckt sind.43 Diese Zeit war zwei Monate später gekommen.
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Literatur und Quellen
Anfragen und Beobachtungen über Personen in politischer Hinsicht: Personenbeobachtung. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 31a, Nr. 14.
Berichte über stattgefundene öffentliche Volksversammlungen. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 153, Nr. 6.
Beschlagnahme staatsfeindlichen Vermögens. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 31a, Nr. 10.
Der Funke. Tageszeitung für Recht, Freiheit und Kultur. Internationaler Sozialistischer Kampfbund (Hg.), Berlin, Verlag Öffentliches Leben, 1932-1933, Archiv der sozialen Demokratie, http://library.fes.de/inhalt/digital/funke/funke.html.
Durchsuchungen und Festnahmen: Verfolgung Systemgegner. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 31a, Nr. 9.
Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Bundestage, Parteiausschusstagungen, Konferenzen, Treffen, Besprechungen, Aussprachen, Kurse, Funktionärsbefragungen: Bericht auf dem Ersatz-Bundestag des ISK am 11. Juli 1942. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000010.
Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an Bundesvorstand: Briefe, Berichte 1930-33. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000012.
Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an Bundesvorstand: Berichte 1931. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000021.
Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946): Korrespondenz 1934. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000027.
Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Personalarchiv A: Personalunterlagen. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000067.
Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK). Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 155, Nr. 5.
Interview mit Hannah Vogt (31.03.1976). Stadtarchiv Göttingen, Dep. 77 I, Nr. 99a.
Link, Werner (1964): Die Geschichte des Internationalen Jugend-Bundes (IJB) und des Internationalen Sozialistischen Kampf-Bundes (ISK): ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Meisenheim am Glan: Hain (Marburger Abhandlungen zur politischen Wissenschaft).
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät - Personalakte Heinrich Düker. Universitätsarchiv Göttingen, UAG Kur PA Düker, Heinrich, Bd. 1.
Mlynek, Klaus (1986): Gestapo Hannover meldet--. Polizei- und Regierungsberichte für das mittlere und südliche Niedersachsen zwischen 1933 und 1937. Hildesheim: A. Lax (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXXIX, Niedersachsen 1933-1945, Bd. 1).
Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 153, Nr. 21.
Schulakte Erna Siem: ISK-Lehrer. Stadtarchiv Göttingen, Schulverwaltungsamt C 44, Lehrerpersonalakte: Erna Siem.
Schulakte Maria Kneisel: ISK-Lehrer. Stadtarchiv Göttingen, Schulverwaltungsamt C 44, Lehrerpersonalakte: Maria Kneisel.
Verbotene Vereinigungen. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 31a, Nr.3.
Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik: Schutzhaft. Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Göttingen, Fach 31a, Nr. 2, Bd. 1.
Zarusky, Jürgen und Mehringer, Hartmut (1994-1998): Widerstand als „Hochverrat“ 1933-1945. Verfahren gegen deutsche Reichsangehörige vor dem Reichsgericht, dem Volksgerichtshof und dem Reichskriegsgericht. München: K.G. Saur.
1Schulakte Maria Kneisel, S. 4, 20.9.1932 - Elternbeirat der evang. Mädchenschule (Personnschule) an Stadtschulrat - Denunziation Siem und Kneisel.
2Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an Bundesvorstand, S. 32, 8.2.1933 Eichler an die OVV des ISK.
3Der Funke, Nr. 313, 3.2.1933, S. 4.
4Der Funke, Nr. 323, 15.2.1933, S. 3 - Veranstaltung 11.2.1933.
5Berichte über stattgefundene öffentliche Volksversammlungen, S.116, 24.2.1933 - Versammlungsankündigung des ISK für das Volksheim.
6Ebenda, S. 61, 23.2.1933 - ISK an Polizeidirektion.
7Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an Bundesvorstand, S. 32, 8.2.1933 Eichler an die OVV des ISK.
8Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, S. 11, 24.5.1933 - Bericht des kommissarischen Kassenführers.
9Verbotene Vereinigungen, S. 171, 28.3.1933 - Naturfreunde am Kriminalpolizei Göttingen – Beschlagnahmungen.
10Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), S. 64v-65, Bericht Ippensen vom 17.3.1933 zur „Haussuchung“ in der ISK-Geschäftsstelle.
11Ebenda, S. 77v, 16.3.1933 - Eingabe HJ zur Nutzung des Gebäudes.
12Ebenda, S. 64, 15.3.1933, Beschwerde Körber über Haussuchung am 14. März 1933 an die Polizeidirektion.
13Schulakte Erna Siem, S. 10, 23.3.1933 - Reg.Präs. an Stadtschulrat - Einleitung Dienststrafverfahren Siem sowie Schulakte Maria Kneisel 1912-1937 #161S: 17, 24.3.1933 - Reg.Abt. für Kirchen- und Schulwesen, Hildesheim an Magistrat Göttingen – Kneisel.
14Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), S. 70, Bericht über die Haussuchung bei Albert Steen, Goldgraben 19 vom 10. April 1933.
15Ebenda, S. 71v, Aussage Albert Steen, 28.4.1933.
16Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik, S. 146, Bericht Griethe, Zahl der Schutzhäftlinge, 13.4.1933.
17Schulakte Erna Siem, S. 54, 10.4.1933 - Dr. Ambronn als stellv. Vorsitzender der NSDAP-Fraktion - Stellungnahme ISK-Lehrer, Bl. 54.
18Göttinger Zeitung, 22.4.1933 - Entlassung ISK-Lehrer.
19Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), S. 76-77, Bericht über den ISK und seine Verbindungen zum Landerziehungsheim „Walkemühle“ bei Melsungen vom 29. Mai 1933,maschinenschriftliche Fassung des Berichts von Griethe vom 12. April.
20Link 1964, S. 175, Ostern 1933, Konferenz Berlin.
21Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Bundestage, Parteiausschusstagungen, Konferenzen, Treffen, Besprechungen, Aussprachen, Kurse, Funktionärsbefragungen, S. 7.
22Beschlagnahme staatsfeindlichen Vermögens, S. 2, 10.5.1933 - Gnade an Standartenführer Peters - Beschlagnahmung Vermögen staatsfeindlicher Organisationen.
23Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, S. 11, 24.5.1933 - Bericht des kommissarischen Kassenführers.
24Math.-Nat. Fak. - Personalakte Heinrich Düker, S. 1, 18.5.1933 - REM an Kurator - Nachfrage KPD-Mitgliedschaft Dükers.
25Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), S. 78, Anzeige über Schutzhaft Warnke, Ippensen 19. Mai 1933.
26Durchsuchungen und Festnahmen, S. 59, Verpflichtungsschein Wilhelm Warnke, 16.6.1933.
27Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), S. 86-86v, Bericht Röttgen vom 4. Juni 1933 über eine Haussuchung bei Fritz Schmalz.
28Ebenda, S. 22v, Bericht Ippensen 25. April 1933, Beobachtung ISK Liegenschaften.
29Verordnung über Verhängung des Ausnahmezustandes und Schutz der Republik, S. 238-238v, 22.6.1933: Bericht Röttger, Observierung Grosse und Peppmüller.
30Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an Bundesvorstand, S. 16, 29.6.1931 - Willi Eichler an OVV.
31Ebenda, S. 18, 28.8.1931 - Willi Eichler an OVV.
32Zarusky, Jürgen und Mehringer, Hartmut 1994-1998, S. Fiche 541/10, 13.8.1936 - Anklage, ORAnw Volksgerichtshof, ISK, Organisationsstruktur, Anklage Dönch.
33Interview mit Hannah Vogt 31.03.1976, S. 5, Augenzeugenbefragung Hannah Vogt, 31.3.1976.
34Anfragen und Beobachtungen über Personen in politischer Hinsicht, S. 59, Bericht Alster vegetarisches Restaurant, 18.4. und 16.7.1933. Diese Überwachungen wurden fortgesetzt und verliefen bis zum Frühjahr 1934 weiterhin ergebnislos.
35Ebenda, S. 58, 28.10.1933 - Anton Schrempp an den Rektor der Universität, vegetarisches Restaurant.
36Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Personalarchiv A, S. 7, 4.12.1924 - Willi Eichler, Gutachten Wei Si Luan.
37Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an Bundesvorstand, S. 24, 22.3.1932 - Eichler an OVV und AGL des ISK.
38Ebenda, S. 23, 11.1.1932 - Rundschreiben Eichlers an die Vertriebsleiter des Funken.
39Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946), S. 1, 27.1.1934 - Wei Si Luan an Herrn Fortmüller.
40Ebenda, S. 5, 8.7.1934 - Wei Si Luan an Herrn Fortmüller.
41Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz A (1925-1933), ISK-Untergliederungen an Bundesvorstand, S. 2, 6.7.1931 Vierteljahresbericht II. Quartal.
42Anfragen und Beobachtungen über Personen in politischer Hinsicht, S. 60, Ortspolizei an Stapo-Stelle Hannover, 2.2.1934 - Überwachung staatsfeindlicher Personen.
43Mlynek 1986, S. 448–449, Lagebericht der Staatspolizeistelle Hildesheim an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin für den Monat November 1935 / 2. Dezember 1935 GStA: Rep. 90-P Nr. 3, H. 4. Behändigte Ausfertigung.
Rainer Driever