Auswirkungen der Konspiration

Aktionen der Selbstbehauptung und des Widerstands gegen die nationalsozialistische Diktatur unterlagen im günstigen Fall Regeln der Konspiration, mit denen sich die Akteure zu schützen suchten. Bei Einzelaktionen oder spontanen Handlungen war dies nicht unbedingt der Fall. Wenn aber mehrere Personen beteiligt und Vorbereitungen zu treffen waren, mussten diese Regeln beachtet werden. (ISK - -Willst du gesund bleiben? PDF) Beachtete man alle Regeln, konnten trotzdem Irritationen eintreten, die unter den Bedingungen der Verfolgung sehr folgenreich sein konnten, wie z.B. der Autounfall Oskar Schmitts und seiner Gewerkschaftskollegen aus dem Ruhrgebiet auf dem Weg zu einer Tagung des ITF.

Wenn eine illegale Organisation aufgebaut werden sollte, galt es, diese Regeln besonders zu beachten. (z.B. ISK – Übergang in die Illegalität) Eine wesentliche Rolle spielte dabei die Frage von Bindungen. Der ISK erörterte diese Frage bereits auf seiner Tagung in Saarbrücken im August 1933. Willi Eichler berichtete darüber: Es ergab sich die Schwierigkeit, die auch offen ausgesprochen wurde, dass ein Unterschied besteht zwischen Verheirateten und Unverheirateten, zwischen Unabhängigen und Genossen mit Frau und Kindern, kurz, die Frage der Bindungen. Ein Unverheirateter könne ungehindert ins Ausland reisen, sich in irgend einer Wohnung versteckt halten, seinen Wohnort wechseln u.s.w., was natürlich kaum möglich ist, wenn jemand Frau und Kinder mitzunehmen hat. Niemand konnte sich diesen Befürchtungen verschliessen, die für die illegale Zeit gewiss niemand vorgesehen hatte, die aber aufs neue bestätigten, welche Störungen solche Bindungen in einem heftigen politischen Kampfe wie dem unsrigen mit sich bringen können. (Also) entschieden wir uns in dieser Saarbrücker Augusttagung von 1933, als Funktionäre nur Menschen zuzulassen, die nicht solche Bindungen hatten.1

Die Bedingungen der illegalen Arbeit hatten mentale Folgen für den Einzelnen. Für den ISK stellte Willi Eichler noch vor dem Krieg fest, dass es besonders für die Funktionäre mitunter sehr belastend war, den unter hartem Gestapo-Druck arbeitenden Genossen bestimmte Vorschriften und sogar Befehle zu geben. Einmal entstand unter dem Druck des Terrors in Deutschland unvermeidlich die Stimmung: „Die draussen haben es gut“; diese Stimmung entstand innerhalb jeder politischen Gruppe und wahrscheinlich, verständlicherweise, mindestens zeitweilig bei jedem illegal Arbeitenden.

Eichler benannte aber noch einen weiteren Punkt. Der Druck auf die Widerständler war enorm. Er berichtete davon auf dem Bundestag des ISK im Juli 1942: Die ständige Gefahr, in der sie lebten, und der ununterbrochene und angestrengte Kampf gegen die Polizei brachten es unvermeidlich mit sich, dass sie in einer Art von gemildertem Verfolgungswahn lebten. Wir versuchten, diese Entwicklung dadurch abzuschwächen, dass wir bei jedem darauf drängten, ihn von Zeit zu Zeit in das freie Ausland zu holen, so dass er erstens eine gewisse Erholung fand und ausserdem die Möglichkeit, seinen Geist auszuruhen und wieder zu bereichern. Wir haben mit diesen Versuchen gute Erfolge gehabt; vor allem die Funktionäre brachten wir manchmal bis zu drei Monaten ins Ausland, gerade um den Abstand zwischen den in der Illegalität und den in der Freiheit Lebenden nicht zu gross werden zu lassen. Es versteht sich, dass gerade die Leitung der illegalen Arbeit die besonders delikate Mission hatte, Verständnis und Nachdruck auf die Forderungen des in Freiheit lebenden BW zu legen.2

Dieser „Urlaub“ von der illegalen Arbeit war der günstigste Fall. Wichtiger war der Kontakt zu Leuten, die eine ähnliche Einstellung zur nationalsozialistischen Diktatur hatten. Das Gefühl, „nicht allein zu sein“, war eine wichtige Ressource für den Widerstand. Dies war umso wichtiger, als die wuchtige Präsenz des Regimes im Alltag die eigenen Sinne zu überwältigen drohte. Dies war der Grund für die Wünsche der ISK-Leitung nach öffentlichkeitswirksamen Aktionen, wie z.B. der Koffer-Farbstempel-Aktion der Göttinger ISK'ler. (ISK - Widerstand) Heinrich Düker erinnerte sich, warum die Göttinger die illegale Arbeit nicht aufgegeben hatten: Nicht, weil wir glaubten, wir könnten den Nationalsozialismus noch aus Deutschland eliminieren. Sondern weil wir diejenigen stärken wollten, die so eingestellt waren wie wir.3

Diese „Ermutigung“ galt auch explizit den Mitgliedern der eigenen Organisation. Denn: Die illegale Arbeit im einzelnen leidet darunter, dass infolge der vielen Verhaftungen natürlich die Widerstandskraft der Menschen zermürbt wird.4

Unter den Bedingungen des Krieges und der weitgehenden Besetzung Europas war diese Bestärkung eine schwierige Aufgabe. Der ISK-Auslandsvorstand unternahm ab Mitte 1943 Bemühungen, von denen Eichler berichtete: Es wird in den nächsten Wochen der Versuch gemacht werden, unsere Freunde dort persönlich aufsuchen zu lassen durch jemanden, den sie kennen. Wie weit sich darüber hinaus eine Erweiterung unserer dortigen Bemühungen ergeben wird, muss natürlich abgewartet werden. Doch wir sind froh, dass wir zunächst jedenfalls überhaupt die Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme gefunden haben. Nach dem Zusammenbruch der faschistischen Regierung in Italien scheint es uns besonders dringend, solche Möglichkeiten zu ergreifen, selbst wenn sie nicht ungefährlich sind.5

Dies verzögerte sich noch, wurde aber im Herbst 1944 tatsächlich umgesetzt. Jupp Kappius wurde als Beauftragter des ISK-Auslandsvorstandes mit dem Fallschirm über dem Reichsgebiet abgesetzt. Diese „Ermunterung“ wurde auch für die verbliebenen ISK-Genossen in Göttingen durchgeführt. Kappius schrieb in seinem Bericht: This contact we used to stimulate and encourage activities on the lines we had started in the Ruhr (…).6 Dass solche Versuche angesichts der tatsächlichen Situation vor Ort vergeblich sein konnten, zeigt ein späterer Bericht von ihm:

Wir haben versucht, sie vom Ruhrgebiet aus zu neuer Tätigkeit anzuregen, aber ich hatte nicht den Eindruck, daß groß was daraus geworden ist. Fritz Schmalz, der in Göttingen sehr bekannt ist, fühlte sich in seiner Bewegungsfreiheit zu sehr gehemmt, und Heinrich Düker konnte auch nicht viel machen. Es war auch dort eine Frage der Verbindungen, die vernachlässigt worden waren. (...) Wir dürfen aber nicht aus dem Auge verlieren, daß Düker und seine Frau mehrere Jahre gesessen haben, Erna [Düker bzw. Bräsecke] war sogar eine Zeitlang in einer Nervenklinik. Sie ist wieder ganz gesund, doch müssen beide natürlich besonders vorsichtig sein, wenn sie wieder anfangen, sich zu betätigen.7



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Literatur und Quellen

Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Bundestage, Parteiausschusstagungen, Konferenzen, Treffen, Besprechungen, Aussprachen, Kurse, Funktionärsbefragungen: Bericht auf dem Ersatz-Bundestag des ISK am 11. Juli 1942. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000010.

Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946): Korrespondenz 1936. Archiv der sozialen Demokratie, 4/IJB-ISK000030.

Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946): Emigration: Briefe, Berichte. Archiv der sozialen Demokratie.

Rüther, Martin (1998): Deutschland im ersten Nachkriegsjahr: Berichte von Mitgliedern des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK) aus dem besetzten Deutschland 1945/46. Unter Mitarbeit von Uwe Schütz und Otto Dahn (Hrsg.). München: Saur (Texte und Materialien zur Zeitgeschichte).

Tausch, Reinhard (1983): „Für die Freiheit kann man schon was riskieren“. Heinrich Düker im Gespräch mit Reinhard Tausch. In: Psychologie heute 10. Jg. (Nr. 9), S. 48–51.



1Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Bundestage, Parteiausschusstagungen, Konferenzen, Treffen, Besprechungen, Aussprachen, Kurse, Funktionärsbefragungen, S. 10, Willi Eichler - Bundesarbeit, 11.7.1942 - illegale Arbeit – Unverheiratete.

2Ebenda, S. 18.

3Tausch 1983, S. 50.

4Internationaler Jugend-Bund (IJB) / Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK), Aktengruppe: ISK, Korrespondenz B (1933 - 1946), S. 1, 1.8.1936 Eichler Bericht.

5Ebenda, S. 1, August 1943 MA an die Ff, Nr. 2.

6Rüther 1998, S. 44, 1944 - Kappius- Bericht.

7Ebenda, S. 60, 12.5.1945 - Reiseberich Jupp Kappius aus London: Göttingen.

Rainer Driever