Bekennende Kirche - Theologische Fakultät

Die Situation der Theologischen Universität unterschied sich insofern von den übrigen Fakultäten, als ihr Lehrgegenstand in den Bereich heftiger Auseinandersetzungen über den Kurs der evangelischen Kirche fiel. 1934 prägte sich einerseits der Gegensatz zwischen Bekenntnisgemeinschaften und Deutschen Christen aus, andererseits befand sich die Landeskirche in Hannover in einer Frontstellung zur Reichskirchenleitung, die in einer (zeitweisen) Entlassung von Landesbischof Marahrens im Dezember kulminierte.

Die Konfliktlinien am Theologischen Seminar der Universität Göttingen verliefen entlang den Auseinandersetzungen zwischen dem nationalsozialistisch eingestellten Dekan Hirsch in enger Fühlung mit dem Reichs- und Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (Minister Rust, im Folgenden REM) und eines kleinen Teils der Lehrenden sowie der Studentenschaft. Deren Verhalten bestand nicht in Widerstandshandlungen im strengen Sinne, sie wollten weder das NS-Regime stürzen noch sich ihm entgegenstellen. Aktionen der Selbstbehauptung am Theologischen Seminar waren eher eine Reaktion auf den Kirchenkampf, sind also im Rahmen kirchenpolitischer und theologischer Auseinandersetzungen zu verorten.1

Unter den insgesamt fünfzehn Ordinarien, die in der Zeit von 1933 bis 1945 dort lehrten, unterstützten Hermann Dörries (seit 1929 angestellt) und Joachim Jeremias die Bekennende Kirche, von den Privatdozenten gehörten Hoffmann und von Campenhausen ebenfalls zur BK.2

Nach Einschätzung der Stapo-Stelle Hannover gehörten bereits 1934 ungefähr 50 Studenten der Theologie der Universität Göttingen zur Bekenntnisgemeinschaft.3

1935

Eine Verordnung des REM vom Februar 1935 verbot den Theologieprofessoren, sich als Beamte am Kirchenkampf zu beteiligen, d.h. öffentliche Erklärungen dazu abzugeben.4

Als Reaktion darauf schrieben Dörries, Hoffmann, von Campenhausen (Jeremias war noch nicht in Göttingen), sowie drei ältere Mitglieder der Fakultät, die nicht zur BK gehörten - Walter Bauer, Johannes Meyer und Carl Stange - einen Protestbrief an Rust. Darin unterstrichen sie zwar ihre Loyalität zum NS-Staat, traten aber auch für ihr Recht ein, sich an kirchlichen Fragen zu beteiligen: (...) Soweit also der Kirchenstreit ein Lehrstreit ist, waren und sind wir genötigt, mit den von uns in wissenschaftlicher Arbeit gewonnenen Erkenntnissen unserer Kirche und damit unserem Volk in ihrem schweren Ringen um die christliche Wahrheit und die daraus sich ergebende Gestaltung der Kirche beizustehen. (…) Infolgedessen ist es uns nicht möglich, darauf zu verzichten, unsere theologische Überzeugung gegebenenfalls auch vor der Öffentlichkeit der Kirche zu vertreten. Dazu rechnen wir auch die Pflicht, uns unter Umständen an frei gebildete kirchliche Vereinigungen, die jedem Christ offen stehen, anzuschliessen und in ihnen mitzuarbeiten, die für den nationalsozialistischen Staat als für ihre von Gott gesetzte Obrigkeit rückhaltlos eintreten werden, (das) versteht sich für uns von selbst.5

Gleichwohl Prof. Joachim Jeremias noch in Greifswald lehrte, schrieb er Rust analog am 22. März einen Brief als Stellungnahme zum Erlass vom 28. Februar. Dort heißt es u.a, dass er als evangelischer Christ, Geistlicher und Professor geradezu verpflichtet sei, Irrlehren in der Kirche zu wehren Und dieses umso mehr, als die gegenwärtige Reichskirchenregierung in wiederholten Fällen nicht nur den Rechtsboden verlassen, sondern auch durch schrift- und bekenntniswidriges Verhalten die unantastbare Grundlage der Kirche angetastet hat.6

Ein Thema, das im weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen bestimmend werden sollte, klingt bereits im Mai 1935 an. Von Campenhausen wehrt sich in einem Brief an Dekan Hirsch gegen den Verdacht auf illegale Vorlesungen in Kiel, wo er während des Wintersemesters eine kommissarische Vertretung übernommen hatte. Er habe lediglich in dem Gemeinschaftslager der Kieler theologischen Fachschaft und Fakultät einen Vortrag (...) gehalten. Diesen hätte er in einem Wochenendlager der Studenten der Göttinger Bekenntnisgemeinschaft wiederholt.7

1935 kam es zu einer folgenreichen politischen Berufung an die Fakultät. Walter Birnbaum wurde auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie berufen. Seine Nähe zu den Deutschen Christen weckte den Widerspruch unter Studenten und einigen Lehrkräften ebenso wie seine anscheinend nicht vorhandene theologisch-wissenschaftliche Befähigung. Mit Unterstützung einiger Personen der Landeskirche und der Solidarität von Dörries begannen Georg Hoffmann und verschiedene BK-Pastoren in Göttingen (u.a. Lueder) mit Ersatzkursen für Birnbaums Lehrangebote. 8

In einem Bericht an Minister Rust im Mai 1935 beschreibt Dekan Hirsch die Tätigkeit der Bekenntnisgruppen innerhalb der Theologie-Studentenschaft. Diese Gruppe arbeitet in enger persönlicher Verbindung mit der Spitze der sogenannten Vorläufigen Leitung dieser bekennenden Kirche, dem Landesbischof D. Marahrenz in Hannover. Die beteiligten Studenten verträten die These, dass (das) Theologiestudium allein im Auftrage der bekennenden Kirche richtig und sinnvoll sei. Sie entfalten für diesen Standpunkt eine starke Werbetätigkeit durch die gesamte theologische Studentenschaft. Sie versuchen auch, auf Studenten anderer Fakultäten Einfluss zu gewinnen. Es entwickele sich so eine Gegen-Fachschaftsarbeit, die zudem gut organisiert sei und über Lager mit Geistlichen der Bekennenden Kirche sowie einigen wenigen Göttinger Theologieprofessoren gesteuert werde. Dekan Hirsch schätzt die Anhänger dieser Gruppe auf ein Fünftel der Theologiestudenten. Zudem seien zwei seiner Kollegen, darunter Birnbaum, bereits mit dem Boykott ihrer Veranstaltungen konfrontiert. Dekan Hirsch äußert darüber hinaus die Vermutung, dass diese Kreise innerhalb der Studentenschaft Kampfparolen von auswärts Folge leisten würden, dass aber Umtriebe gegen die staatliche Autorität nicht beabsichtigt wären. Hirsch versichert zum Schluss seines Berichtes, dass die Probleme in Göttingen ohne ministerielle Intervention gelöst werden können. 9

Im Verlauf des Juli kam es in der „Sache Oberkirchenrat Birnbaum“ zu einer Unterredung von Studenten der Fakultät mit Mitgliedern des Landeskirchenamts (die Assistenten des Präsidenten Mahrenholz und Flügel), welches dem Landesamt eine Verwarnung seitens des Ministeriums einbrachte.10 Im Folgenden missbilligte das Landeskirchenamt diese Verhandlungen. Die beiden Studenten des Theologischen Stifts, Bode und Heger, wurden informiert und zugleich darauf hingewiesen, daß in den Gemeinschaftsräumen des Theologischen Stifts Gespräche kirchenpolitischer Tendenz untersagt sind.11

Auch die außerhalb der Fakultät liegenden Aktivitäten der Lehrenden, vor allem auf Veranstaltungen der Bekennenden Kirche, wurden überwacht. So ordnete das Reichsministerium am 15. Oktober über den Dekan an, dass die Mitglieder der theologischen Fakultät zu einer dienstlichen Erklärung anzuhalten wären über:
1. Teilnahme an Bekenntnissynode der deutschen evangelischen Kirche am 4. Juli
1935 in Augsburg
2. Teilnahme an Beratung des sog. "Hochschulausschusses betr. Vorbildung und Prüfung der Pfarrer der Bekennenden Kirche"
3. Mitwirkung bei der Formulierung der vorgelegten Anträge
4. Zustimmung zu den Anträgen
12

Etwa 14 Tage später erhielt die Ortspolizei von der Stapo-Stelle Hildesheim eine gleichlautende Anfrage. Nach der Antwort vom 8. November haben 15 Angehörige der theol. Fakultät die Fragen mit "Nein" beantwortet.13 Dörries und Hoffmann fügten dem "Nein" eine ergänzende Bemerkung bei, aus der hervorgeht, dass sie sich die Freiheit ihrer inneren Stellungnahme zur Augsburger Synode vorbehielten.14 Die Kommentare wurden über den Rektor Hirsch dem REM zugesandt.

Dekan Hirsch war sichtlich bemüht, den konfliktfreien Fortgang des Fakultätsbetriebs zu sichern, ohne das Ministerium einschalten zu müssen. Darum bat er auch um Verzicht auf alle Maßnahmen, die den weiteren Frieden an der Fakultät stören könnten.15 Zu seinen Bemühungen gehörte auch eine Unterredung mit dem Führer der Bekenntnisstudenten Bode.16
Aber auch die Lehrenden blieben gegenüber der fachlichen Kompetenz Birnbaums skeptisch. Im November intervenierte Dörries bei Hirsch wegen der Einrichtung von Parallelübungen zu denen von Birnbaum. Dörries begründete dies mit Birnbaums Verhältnis
zur Kirche und angesichts der theologisch unrichtigen Haltung des Oberkirchenrats Birnbaum in den Vorlesungen und Übungen. Hirsch lehnte dies ab und betonte Dörries gegenüber, dass er auch nachträgliche spontane Vorlesungsanzeigen des Emeritus Stange und des systematischen Privatdozenten Hoffmann auf dem Gebiet der praktischen Theologie pflichtgemäß nicht billigen könnte (...).17 Etwas versöhnlicher gab sich Hirsch in einer zeitgleichen Zusammenfassung: Herr Kollege Hoffmann hat m.E. als Pfarrer der Landeskirche das unbestreitbare Recht, Studenten in seiner nicht allzu weit von Göttingen liegenden Pfarrkirche (Dransfeld, RD) predigen zu lassen und die Predigt mit den predigenden Studenten und seinen Freunden zu besprechen.18

Ende des Jahres richtete er sich noch einmal an alle Lehrenden: (Ich) verbiete ich hiermit sämtlichen Professoren und Dozenten einschl. Lehrbeauftragten der Evangelisch-Theologischen Fakultäten die Beteiligung an illegalen Prüfungen und an solchen Vorlesungen, die als Gegenveranstaltung gegen den Vorlesungsbetrieb der Fakultäten beabsichtigt sind bzw. angesehen werden können.19

Ausdrücklich richtete sich Hirsch noch einmal an Hoffmann und bat ihn um eine Stellungnahme zur Einstellung der homiletischen Sonderübungen (Predigtlehre). Hoffmann betonte, dass diese von den Studenten gebildete freie Arbeitsgemeinschaft außerhalb der Vorlesungstätigkeit läge. Die Leitung dieses Arbeitskreises falle nicht unter den Erlass des REM vom 17. Dezember 1935.20

In seinem Bericht an den Minister vom Jahresende 1935 fasst Hirsch die Situation zusammen: Die Bekenntnisstudentengruppe mit ungefähr 40 organisierten Mitgliedern21 unter Leitung des stud. theol. Bode arbeite in enger Fühlungnahme mit Professor Dörries und dem Dozenten Hoffmann. Es lägen keine formalen Boykotterklärungen vor, die Gruppe verhalte sich äußerst friedlich, doch die kleinen Arbeitskreise unter Leitung Hoffmanns bedeuteten faktisch eine homiletische Ersatzausbildung. Eine Störung des akademischen Unterrichts habe sich dadurch nicht ergeben, die Fachschaftsarbeit aber werde nachhaltig beeinträchtigt.22 Mit Hilfe südhannoverscher kirchlicher Stellen würden eigene Lager und Freizeiten abgehalten. Ein ministerielles Einschreiten gegen die Bekenntnisstudentengruppe hielt Hirsch aber nach wie vor weder für erwünscht noch zweckmäßig.23

1936

Im neuen Jahr wandte sich Hoffmann noch einmal beschwichtigend an den Dekan. In die homiletische Arbeitsgemeinschaft bringe er lediglich seine theologisch-kirchliche Mitarbeit ein, die die Fachschaftsarbeit nicht berühre. Mittelpunkt dieser Tätigkeit sei die Pflege und Stärkung der Verbindung zwischen der Landeskirche und ihren Theologiestudenten, also die kirchliche Ausrichtung des Studiums.24

Auch von Campenhausen betonte gegenüber dem Dekan, dass das seit Semesterbeginn geplante Lager sich nicht gegen die Fachschaftsarbeit der Theologischen Fakultät richte. Mit seinem Rat und seiner Hilfe stünde er selbstverständlich sowohl aus christlicher Pflicht als auch der eines Dozenten der Theologie den Studenten bei. Zum Schluss seines Schreibens bat er nachdrücklich, mich wie bisher in der Freiheit meiner persönlichen theologischen und kirchlichen Überzeugung nicht hindern zu wollen.25

Gegenüber dem Ministerium verteidigte er im März 1936 ebenfalls seine Auffassung. Zu seinen Pflichten gehöre es, der Kirche, an die wir mit unserer Arbeit gewissensmässig gebunden sind, in öffentlichen Notlagen den schuldigen Dienst mit unserem Wort nicht zu versagen. Soweit also der Kirchenstreit ein Lehrstreit ist, waren und sind wir genötigt, mit den von uns in wissenschaftlicher Arbeit gewonnenen Erkenntnissen unserer Kirche und damit unserem Volk in ihrem schweren Ringen um die christliche Wahrheit und die daraus sich ergebende Gestaltung der Kirche beizustehen. (…) Infolgedessen ist es uns nicht möglich, darauf zu verzichten, unsere theologische Überzeugung gegebenenfalls auch vor der Öffentlichkeit der Kirche zu vertreten. Dazu rechnen wir auch die Pflicht, uns unter Umständen an frei gebildete kirchliche Vereinigungen, die jedem Christ offen stehen, anzuschliessen und in ihnen mitzuarbeiten (...).26



Zu Beginn des Wintersemesters wandte sich der Theologiestudent Heinz Rettberg an alle Göttinger Studenten in der Bekennenden Kirche. Rettberg thematisiert in seinem Rundschreiben die Überwindung der Spaltung, die sich innerhalb der BK abzeichnete.27 Regelmäßige offene Bibelstunden und geschlossene Gesprächskreise werden angekündigt. Arbeitsgemeinschaften sollen wöchentlich 2 Stunden tagen, alle 2-4 Wochen soll ein Vortrag eines bedeutenden Mannes der BK stattfinden. Zudem listet Rettberg einige Veranstaltungen für den November auf.28 (Rundschreiben PDF)

Natürlich übersandte Dekan Hirsch das Zirkular nach Berlin.29 Dort versuchte das Ministerium Ende November immer noch, des Problems der theologischen Parallelausbildung der Studenten durch Kräfte der Bekennenden Kirche Herr zu werden. Dies sollte in der Folgezeit ein Schwerpunkt der Auseinandersetzungen sein. Über den Dekan sprach er ein strenges Verbot der Ersatzkurse und Boykotte gegen Hochschullehrer aus. Als Sanktion stellte er den dauernden Ausschluss vom Studium an allen deutschen Hochschulen in Aussicht.30

1937

Die Reaktion war mutig. Im Auftrag von 40 Göttinger Studenten der evangelischen Theologie wandte sich Rettberg an den Minister.31 In dem Brief bitten die Studenten um Lernfreiheit. Eine ähnliche Bindung von Lehrer und Schüler an Schrift und Bekenntnis sei eine unerlässliche Bedingung für die wissenschaftliche und charakterliche Ausbildung: (...) Wir bitten, uns in der freien Wahl unserer Lehrer nicht zu beeinträchtigen.

Inzwischen hatte Martin Niemöller am 10. Februar Göttingen besucht. Dekan Hirsch betonte in seinem Begleitschreiben zu Rettbergs Brief an den Minister dessen Einfluss auf die Göttinger Studenten. Nach Berichten von Ohrenzeugen habe Niemöllers Rede auch einen scharfen maßlosen Angriff auf die Fakultätspolitik des Reichswissenschaftsministeriums enthalten. N. hat sogar davon gesprochen, daß die bekennende Kirche ihre Theologen notfalls in Kellern ausbilden würde. Angesichts des Einflusses von Niemöller sowie einiger Leute im Landeskirchenamt plädierte Hirsch für die Ablehnung von Rettbergs Bitte, dies umso mehr, als alle theologischen Fakultäten betroffen wären. Der fehlenden weiteren Unterschriften wegen bescheinigt er den Genossen des Herrn Rettberg einen Mangel an Mut und Offenheit (...), der an einem deutschen Studenten nicht erfreulich ist.32

Der Minister lehnte das Ansinnen der Göttinger Theologiestudenten im April 1937 ab.33

Konsequenzen eines Einsatzes für die Bekennende Kirche hatten nicht nur die Studenten zu bedenken. Hans von Campenhausen, Mitglied des Lehrkörpers der theologischen Fakultät, arbeitete jahrelang als Lehrbeauftragter und Lehrstuhlvertreter. Seine Berufung 1937 an das Heidelberger Ordinariat scheiterte an einem Einspruch der Partei – die Voraussetzungen, die von einem Erzieher an der nationalsozialistischen Universität gefordert werden gingen ihm ab. Er könne nicht Mitträger der nationalsozialistischen Erneuerung der Universitätserziehung werden, sondern hat den Typus eines Gelehrten älterer Prägung und Gesinnung. Gegen eine Beschäftigung im Archiv- oder Bibliothekswesen hatte der Gaudozentenführer keine Einwände. Dekan Hirsch setzte sich beim Minister für von Campenhausen ein.34 Diese Einwände motivierten im Juni 1937 auch die Ablehnung von Campenhausens Bewerbung als Stiftsinspektor, der Dozentenführer wollte bei der für die Erziehungsarbeit der Theologischen Fakultät so entscheidende(n) Stelle des Stiftsinspektors nicht jemanden unterstützen, der aus den genannten Gründen bei seiner Bewerbung auf ein beamtetes Ordinariat gescheitert war.35 Eugen Mattiat, Referent im Reichserziehungsministerium (ab 1938 Prof. für Volkskunde in Göttingen), stellte Ende Juni für von Campenhausen einen Lehrauftrag in Halle in Aussicht.36

Im August 1937 erschien ein offizielles Verbot der Prüfungen von Theologiekandidaten durch die Bekennende Kirche, das auch seitens des Reichsführers der SS verbreitet wurde.37 Dekan Hirsch schrieb Mitte des Monats nach Berlin, dass in Göttingen wegen Teilnahme an Ersatzkursen und -vorlesungen der BK nicht gegen Studenten eingeschritten werden musste. Ob das vom evangelischen Studentenpfarrer mitgetragene Ferienlager für Theologiestudenten als ein Ersatzkurs angesehen werden könne, bleibe fraglich. Nicht fraglich hingegen sei, dass der betreffende Studentenpfarrer im Rundschreiben für die Bekennende Kirche eingetreten sei und das betreffende Studentenlager so eine unerwünschte Erscheinung sei.38 Für seine Kollegen unter den Lehrenden stellte er fest, dass ein Bruch der dienstlichen Solidarität mit Professor Birnbaum in der Prüfungsfrage nicht vorgekommen sei.39

Hirsch meldete im Oktober 1937 an den Rektor, dass die Deutsch-Christliche Studentenvereinigung zwar an der Universität bestehe, Vertreter aber nicht bekannt seien. Der DCSV sei mit der Bekennenden Kirche auf das Engste verwachsen. Disziplinarmaßnahmen auf Basis des Ministerialerlasses vom 9.10.1937 (Auflösung des DCSV) in blieben in Göttingen aus.40

1938

Der Minister für kirchliche Angelegenheiten kündigte im Mai und nochmals im August 1938 an, die finanzielle Unterstützung für alle Theologiekandidaten und zukünftigen Geistlichen zu streichen, die sich außerhalb von Universität und Reichskirche prüfen ließen. Dekan Hirsch hängte eine Warnung vor den „wertlosen“ Examina der Hannoverschen Landeskirche an das Schwarze Brett.

Ende August legten Kirche und Staat schließlich den Konflikt mit einem Kompromiss bei: Oberkirchenrat Birnbaum prüfte nur Studenten, die seine Ansichten nicht ablehnten; Hirsch prüfte selbst nicht mehr. Die „Bekenntnisstudenten“ und die Landeskirche akzeptierten auf dieser Grundlage die staatlichen Prüfungen.41

Am 30.11.1938 wurden Theologiestudenten aus den Kameradschaften des NSDStB ausgeschlossen.42 Im Herbst des darauffolgenden Jahres beklagt sich Dekan Hirsch beim Reichsminister, dass die evangelischen Theologiestudenten vom Erntedienst der Studentenschaft ausgeschlossen wurden. Durch diese und andere Tatsachen ist unter unseren Studenten, und zwar gerade unter denen, die bewußt Nationalsozialisten sein wollen, das Gefühl einer sie tief verletzenden Entehrung und Deklassierung wachgerufen worden. Die theologischen Hochschullehrer, und zwar wiederum vor allem die Parteigenossen, empfinden es bitter, daß sie Studenten zu unterrichten und zu erziehen haben, die gleichsam als zweitklassig gelten sollen.43



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Quellen und Literatur

Altkreis Göttingen - Kirchliche Angelegenheiten: kirchliche Angelegenheiten; Kreisarchiv Göttingen, AK Gö 54.

Ericksen, Robert P.: Widerstand als ambivalenter Gegenstand historischer Forschung : am Beispiel der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Göttingen, in: Kirchliche Zeitgeschichte 1 (1988), S. 68-79.

Generalakten betreffend die evangelische Kirche und Kirchenstreit, Bd. 1; StA Göttingen, Pol. Dir., Fach 157, Nr. 1.

Mlynek, Klaus (1986): Gestapo Hannover meldet--. Polizei- und Regierungsberichte für das mittlere und südliche Niedersachsen zwischen 1933 und 1937. Hildesheim: A. Lax (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXXIX, Niedersachsen 1933-1945, Bd. 1).

Personen der theologischen Fakultät; Universitätsarchiv Göttingen, R 3202 b.

Theologische Fakultät - Personalakte Hoffmann II; Universitätsarchiv Göttingen, TF PA 0072 II.

Theologische Fakultät - Personalakte Jeremias; Universitätsarchiv Göttingen, TF E J Personalakte Jeremias.

Theologische Fakultät - Personalakte von Campenhausen; Universitätsarchiv Göttingen, TF PA 0067.

Theologische Fakultät, kirchliche Angelegenheiten und Kirchenpolitik, besonders im 3. Reich; Universitätsarchiv Göttingen, Theol. SA 140.



1Ericksen (1987), S. 72.

2Ebd., S. 71.

3Mlynek 1986, S. 174–175, 27 / Lagebericht der Staatspolizeistelle Hannover an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin für den Monat Juni 1934 / 4. Juli 1934 Nds. HStAH: Hann. 180 Hannover Nr. 798, f. 238-248. Abschrift.

4Personen der theologischen Fakultät, Bl. 48, 28.2.1935 - REM an Uni-Kuratoren - Zurückhaltung in öffentlichen Streitfragen

5Ebenda, Bl. 56-56v, 12.3.1935 - Brief an REM.

6Theologische Fakultät - Personalakte Jeremias, Bl. 41v, 23.3.1935 - Theol. Fak. Greifswald an REM - Eingabe Jeremias.

7Theologische Fakultät - Personalakte von Campenhausen, Bl. 6-6v, 6.5.1935 - Campenhausen an Dekan Hirsch.

8Ericksen (1987), S. 73.

9Theologische Fakultät, kirchliche Angelegenheiten und Kirchenpolitik, besonders im 3. Reich, Bl. 218-221, 17.5.1935 - Dekan an REM - Bericht Bekenntnisgruppen innerhalb der Theologie-Studentenschaft.

10Personen der theologischen Fakultät, Bl. 110, 16.8.1935 - Aktennotiz Dekan Hirsch – Landeskirchenamt.

11Theologische Fakultät, kirchliche Angelegenheiten und Kirchenpolitik, besonders im 3. Reich, Bl. 152–153, 6.11.1935 - Dekan an den stellv. Inspektor des Theol. Stifts - Sache Birnbaum.

12Generalakten betreffend die evangelische Kirche und Kirchenstreit, Bd. 1, Bl. 284, 15.10.1935 - REM – Anfrage.

13Ebenda, Bl. 286, 8.11.1935 - Ortspolizei an Stapo-Stelle Hildesheim - Teilnahme an Bekenntnissynode Augsburg.

14Personen der theologischen Fakultät, Bl. 129, 25.10.1935 - Dekan an REM - Beantwortung Fragebogen zur Bekenntnissynode.

15Theologische Fakultät, kirchliche Angelegenheiten und Kirchenpolitik, besonders im 3. Reich, Bl. 139–140, 22.11.1935 - Urteil des Dekans über das einzuschlagende Verfahren.

16Personen der theologischen Fakultät, Bl. 142, 22.11.1935 - Erklärung des Dekans Hirsch - Sache Birnbaum.

17Ebenda, 22.11.1935 - Erklärung des Dekans Hirsch - Sache Birnbaum.

18Ebenda, Bl. 149–150, 22.11.1935 - Dekan Hirsch - zusammenfassende Darstellung Sache Birnbaum.

19Theologische Fakultät, kirchliche Angelegenheiten und Kirchenpolitik, besonders im 3. Reich, Bl. 169, 23.12.1935 - Dekan an Dozenten der theol. Fak. - Verbot Teilnahme illegale Prüfungen.

20Ebenda, Bl. 165, 23.12.1935 - Dekan Hirsch an Hoffmann - Abschrift: Einstellung Sonderübungen.

21Mlynek 1986, S. 497, 63 / Lagebericht der Staatspolizeistelle Hildesheim an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin für den Monat Januar 1936 / 3. Februar 1936 BA: R 58/570. Abschrift.

22Theologische Fakultät, kirchliche Angelegenheiten und Kirchenpolitik, besonders im 3. Reich, Bl. 135-135v, 23.12.1935 - Dekan Hirsch an REM - Situation an der theol. Fak.

23Ebenda, Bl. 163, 3.1.1936 - Dekan Hirsch an REM - Kirchenstreit an der Theol. Fak.

24Theologische Fakultät - Personalakte Hoffmann II, Bl. 6-6v, 4.3.1936 - Erklärung Hoffmann.

25Theologische Fakultät, kirchliche Angelegenheiten und Kirchenpolitik, besonders im 3. Reich, Bl. 130, 29.3.1936 - von Campenhausen an Dekan Hirsch – Fachschaftslager.

26Personen der theologischen Fakultät, Bl. 56-56v, 12.3.1935 - Brief an REM.

27Nach der Bekenntnissynode der Bekennenden Kirche in Bad Oeynhausen vom 18. bis 22. Februar 1936 bildeten sich zwei Flügel. Der gemäßigte Flügel befürwortete eine Zusammenarbeit mit dem Reichskirchenausschuss und dem im September 1935 ernannten neuen „Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten“ Hanns Kerrl. Der radikalere Flügel lehnte diese Zusammenarbeit ab. Eine Denkschrift an Hitler (Link http://de.evangelischer-widerstand.de/html/view.php?type=dokument&id=91) von Ende Mai 1936, die dezidiert nichtkirchliche Fragen thematisierte, wurde aufgrund einer Indiskretion Beteiligter in mehreren europäischen Zeitungen veröffentlicht. Dies führte zu Verfolgung und Verhaftung vieler Geistlicher und vertiefte den Unterschied zwischen den beiden Flügeln der Bekennenden Kirche.

28Theologische Fakultät, kirchliche Angelegenheiten und Kirchenpolitik, besonders im 3. Reich, Bl. 93-95, 10.1936 - Abschrift eines Zirkulars innerhalb der Göttinger Studentenschaft.

29Ebenda, Bl. 92, 13.11.1936 - Dekan an REM - Vervielfältigungen unter der Studentenschaft.

30Ebenda, Bl. 89, 24.11.1936- Rektor nach Anweisung REM - Verbot Ersatzkurse.

31Ebenda, Bl. 86, 16.2.1937 - Heinz Rettberg via Dekan Hirsch an REM - Gesuch von 40 Studenten.

32Ebenda, Bl. 83, 19.2.1937 - Dekan Hirsch an REM – Bekenntnisstudenten.

33Ebenda, Bl. 82, 5.4.1937 - REM via Rektor an Rettberg - Antwort Gesuch vom 16.2.1937.

34Theologische Fakultät - Personalakte von Campenhausen, Bl. 5, 4.5.1937 - Dekan Hirsch an REM - Campenhausens Scheitern der Berufung.

35Ebenda, Bl. 4, 4.6.1937 - Dekan Hirsch an Campenhausen.

36Ebenda, Bl. 3, 8.6.1937 - Campenhausen an Dekan Hirsch - Kündigung Göttinger Stift. Link Eugen Mattiat WIKI.

37Altkreis Göttingen - Kirchliche Angelegenheiten, Bl. 26, 25.8.1937 - Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei an Gestapa Berlin - Verbot der Lehr-, Studenten- und Prüfungsämter der Bekennenden Kirche.

38Theologische Fakultät, kirchliche Angelegenheiten und Kirchenpolitik, besonders im 3. Reich, Bl. 79, 14.8.1937 - Dekan Hirsch an Kurator – Ersatzkurse.

39Theologische Fakultät - Personalakte von Campenhausen, Bl. 2, 21.9.1937 - Dekan Hirsch an Campenhausen - Sache Birnbaum.

40Theologische Fakultät, kirchliche Angelegenheiten und Kirchenpolitik, besonders im 3. Reich, Bl. 76, 26.10.1937 - Dekan Hirsch an Rektor – DCSV.

41Ericksen (1984), S. 75.

42Theologische Fakultät, kirchliche Angelegenheiten und Kirchenpolitik, besonders im 3. Reich, Bl. 18, 16.6.1939 - Präs. des Fakultätentages der ev.-theol. Fak. Deutschlands an Reichsstudentenführer.

43Ebenda, Bl. 14, 18.10.1939 - Dekan an REM - Diskriminierung Theologiestudenten.

Rainer Driever