Bekennende Kirche in Göttingen

Der preußische Innenminister ersuchte zwar um Berichterstattung, ordnete aber an, von polizeilichen Zwangsmaßnahmen gegen evangelische Pfarrer nur aus kirchenpolitischen Gründen zunächst abzusehen.1 Dieses Vorgehen wurde mit Erlass der sog. „Maulkorbverordnung“ durch Reichsbischof Müller vom 4.1.1934 deutlich verschärft. Diese verbot eine kirchlich-politische Betätigung evangelischer Amtsträger im Dienst und in kirchlichen Räumen, was genau überwacht und nötigenfalls verhindert werden sollte. 2

Dieser Überwachung entsprechend wurden von der Göttinger Polizei auf Anweisung der Gestapa Berlin auch die Mitglieder des Pfarrernotbundes in den Blick genommen: Diese wären in Göttingen aber nicht reaktionär eingestellt sondern ständen auf dem Boden der nationalen Regierung.3 Auch Instanzen der Partei waren in diese Überwachung mit eingebunden. So meldete Ortsgruppenleiter Oberdiek Ende Januar an die Kreisleitung, , dass von den beiden Geistlichen der Albanigemeinde Konsistorialrat Wiebe und Pastor Saathoff keine Äusserung bekannt geworden (sei), die eine Schädigung der Bestrebungen der NSDAP durch diese Herren beweist.4

Der preußische Innenminister Göring bedankte sich Ende Januar 1934 für die vorgelegten Berichte über die Haltung von Geistlichen der Evangelischen und katholischen Kirche gegenüber Staat und Bewegung. Als aktive Kampfgruppen stufte er dabei den Pfarrernotbund und die diesem angeschlossene Laien-Notbewegung ein, die gefährliche politische Angriffe gegen Staat und Bewegung auf breiter Front eröffnet haben. Die Geheime Staatspolizei greife zwar nicht in rein theologische Auseinandersetzungen ein, gehe aber vor gegen alle offenen oder versteckten Angriffe auf den Staat und die Grundsätze der nationalsozialistischen Bewegung, namentlich gegen das Führerprinzip, gegen die Rassenlehre, (und) gegen Symbole des nationalsozialistischen Staates. Dabei solle aber die Schaffung von Märtyrern verhindert werden, die Verhängung der politischen Schutzhaft gegen Geistliche bedürfe grundsätzlich Görings Zustimmung.5

Diese Überwachungen führten für Göttingen u.a. zu einer ernsten Verwarnung Pastor Albrecht Saathoffs wegen eines von Superintendenten Lueder verfassten Artikels im Göttinger Gemeindeblatt Nr. 3 vom März 1934.6

Die erste Bekenntnissynode fand vom 29. bis zum 31. Mai 1934 in Wuppertal-Barmen statt und verabschiedete die Barmer Theologische Erklärung als ihr theologisches Fundament. Sie wies damit den Totalitätsanspruch des Staates und die Vereinnahmung des Evangeliums zurück. In Göttingen waren der Widerstand gegen die Deutschen Christen und das in Reichsbischof Müller verkörperte Führerprinzip in der evangelischen Kirche sowie der daraus resultierende Widerstand gegen die Gleichschaltung der hannoverschen Landeskirche ab Frühsommer 1934 die beherrschenden Themen. 7

Diese Auseinandersetzung verlief mitunter als stummer Protest. An der Versammlung der Volkskirchlichen deutschen Glaubensbewegung am 17. Mai 34, geleitet von Pastor a.D. Roggenthien8, nahmen u.a. auch viele Geistliche aus Stadt und Umgebung teil. Die Ablehnung der Inhalte wurde deutlich, als 800 Teilnehmer beim Schlusswort demonstrativ den Saal verließen.9

Die Auseinandersetzungen drehten sich um Wesen und Aufgabe der Kirche. In der Landeskirche Hannover wuchs der Mitgliederbestand bis Juni 1934 auf 35000 Personen an, die Stapo-Stelle Hannover rechnete ungefähr 700 Pastoren zur Bekenntnisgemeinschaft. Im Lagebericht des Regierungspräsidenten für Juli 1934 ist davon die Rede, dass in Göttingen die Deutschen Christen einen Bestand von 10 % des Kirchenvolkes gerade wahren, während auf der anderen Seite die Bekenntnisgemeinschaft eine ständige Zunahme zu verzeichnen hat.10

An einer Versammlung der Bekenntnisgemeinschaft am 21.6.1934 in Hannover, die von etwa 2000 Personen besucht war, sprach der Redakteur der Jungen Kirche (Junge Kirche) Söhlmann als Redner.11 Am gleichen Tag predigte der Landesbischof Marahrens in der Göttinger Jacobikirche, zuvor wurde von der Bekenntnisgemeinschaft eine vertrauliche Besprechung im Gemeindehaus der Johannisgemeinde durchgeführt. Anwesend waren ungefähr 60 Geistliche und Kirchenmitglieder. Die Äußerungen von Pastor Thomas aus Bremke sowie des Studentenpfarrers Hofmann, u.a. über die Stellung der Landeskirche und den Barmer Kongress, wurden ausführlich von der Ortspolizei protokolliert. Von Marahrens' Predigt selbst wurde eine stenografische Mitschrift angefertigt.12

Die Versammlungen der Bekenntnisgemeinschaft, insbesondere solche mit Vorträgen, boten eine willkommene Abwechslung von nationalsozialistischer Kampfrhetorik und Inhalten (Beispiel: Versammlung am 13.8.1934 mit 130 Anwesenden. Polizeibericht PDF). Diese Vorträge wurden oft hektografiert und weitergegeben.13

Neben Versammlungen und Vorträgen der von der Polizei inzwischen als "Bekenntnisfront" titulierten Bekenntnisgemeinschaft boten Gottesdienste selbst die Möglichkeit der Meinungsäußerung. Darum unterlagen Erklärungen, die von der Kanzel (später Kanzelabkündigungen genannt) verlesen wurden (stets als Angriffe gegen die Reichsregierung angenommen), einer dauernden Kontrolle.14 Sie wurden, trotz ihrer heute anmutenden Harmlosigkeit, teils von vorherein verboten. In einer so verbotenen Kanzelabkündigung des Landesbischofs im Dezember 1934 hieß es: Nunmehr ist sogar von verantwortlicher Stelle öffentlich der Vorwurf erhoben worden, dass sich unter dem Deckmantel kirchlicher Belange alle möglichen staatsfeindlichen und landesverräterischen Elemente zusammenfinden, um Politik gegen das dritte Reich zu machen. Dagegen wird in der Erklärung Verwahrung eingelegt.15

In einem zusammenfassenden Bericht der Ortspolizei an die Stapo-Stelle Hannover vom September 1934 heißt es, dass der Kirchenstreit bislang in Göttingen kaum wahrnehmbar sei. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, der sich in der Bekenntnisgemeinschaft der evangelisch-lutherischen Landeskirche zusammengefunden hat, veranstaltet hier bisher einige geschlossene Mitgliederversammlungen (...). Die hiesige Bekenntnisgemeinde, der auch fast sämtliche hiesige evangelische Geistliche angehören, zählt etwa 150 Mitglieder. (…) Auseinandersetzungen innerhalb des ev.-luth. Kirchenvolkes über den Kirchenstreit sind hier bislang (...) vermieden. Daher ist die Lage des Kirchenstreites hier auch im allgemeinen als ruhig zu bezeichnen.16

Am 3. Dezember 1934 fand im Stadtpark eine geschlossene Versammlung der ev.-luth. Bekenntnisgemeinschaft mit etwa 900 Personen statt, die teilweise aus den Landkreisen Göttingen und Hann. Münden kamen. Die Versammlung wurde von einem Pastor Hoffmann, Dransfeld, eröffnet und geleitet. Als Redner waren erschienen Pastor Butz (Eduard Putz, RD) aus Bayern (Ursachen und Folgen des Kirchenstreits) und Pastor Stratenwert aus Westfalen ("Kirche unterm Kreuz"). Pastor Hofmann verlas zudem eine kirchenamtliche Kundgebung des Landesbischofs Marahrens (abgedruckt in "Junge Kirche" Heft 23, S. 1003).17 Der Restposten dieses flugblattartigen Rundschreibens ("Vorläufiges Kirchenregiment der deutschen evangelischen Kirche" vom 23.11.1934) wurde kurz darauf im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht beschlagnahmt.18

Landesbischof Marahrens wurde auf dem Höhepunkt des Kirchenkampfes in Hannover durch Beschluss des deutsch-christlich dominierten Kirchensenats am 5. Dezember 1934 für abgesetzt erklärt. Nach einem persönlichen Gespräch mit Hitler, zusammen mit den Bischöfen der beiden anderen oppositionellen Landeskirchen, Dr. Wurm, Württemberg und Dr. Meiser Bayern‚ konnte er jedoch sein Amt wieder aufnehmen.19

1935

Die Zustimmung des aktiven Teils der Göttinger evangelischen Kirchenmitglieder zu Landesbischof Marahrens wurde Anfang Februar 1935 von der Ortspolizei auf 60-70% geschätzt. Diese sollte unter den ev. Geistlichen des Stadtbezirks noch etwas höher liegen (73%). Äußerungen oder Handlungen aber, die auf eine Gegnerschaft zum neuen Staat schließen lassen, wären nicht bekannt. 20

Für das Jahr 1935 sind vor allem die Aufträge der Stapo-Stelle Hannover an die Ortspolizei erhalten. Diese richteten sich vornehmlich auf die Überwachung von Aktionen und Gottesdiensten der Göttinger Bekenntnisgemeinschaft. So wurde die Ortspolizei angewiesen, die Verlesung der Kundgebung von Marahrens am 24.2.1935 im Hauptgottesdienst von der Kanzel zu unterbinden. Sie betraf eine Vereinbarung der Bischöfe von Hannover und der ebenfalls unter Druck geratenen Landeskirchen in Württemberg und Bayern.21 Ebenso sollte im März 1935 eine Kanzelabkündigung über die sog. Bekenntnissynode der evangelischen Kirche der altpreuß. Union unterbunden werden. Grund dafür war stets die Annahme von Äußerungen, die sich gegen Staat und Partei richten.22

Die Aktionen gegen die Kanzelabkündigung über die Bekenntnissynode der evangelischen Kirche der altpreuß. Union sorgten für große Unruhe. Die Stapo-Stelle Kassel beklagt einen großen Prestigeverlust des Staates im Anschluß an die Aktion gegen die Bekenntnisfront am Sonntag den 17. 3. 1935. Durch diese Aktion hat sich auch der staatstreuen und zuverlässigen Pfarrer eine große Erregung bemächtigt, insbesondere deshalb, weil sie aufgefordert wurden, eine Kanzelabkündigung zu unterlassen, die sie zum Teil gar nicht kannten. (…) Vollkommen unbegreiflich ist es aber nun für die Öffentlichkeit, daß erstens einmal die Pfarrer, die sich nicht gebeugt hatten, am Montag, dem 18.3.1935, ohne weiteres auf freien Fuß gesetzt werden mußten und zweitens, daß dieselbe Kanzelabkündigung (…) nun doch zur Verlesung gebracht werden darf. (…).23 ( Bericht Stapo-Stelle Kassel PDF)

Diese unglückliche Aktion verhinderte allerdings nicht weitere Reglementierungen, die allerdings ebenfalls ins Leere laufen konnten. Am 6 4.1935 rief die Stapo-Stelle Hannover bei der Ortspolizei Göttingen an, um darauf hinzuweisen, dass am folgenden Tag, 7.4.1935, nach einer Weisung der hannoverschen Landeskirche das Glockengeläut unterbleiben und im Gottesdienst eine Fürbitte für gemaßregelte Pfarrer in Hessen erfolgen sollte. Nach der Überwachung der Gottesdienste findet man den lakonischen Vermerk: beide Aktionen haben in Göttingen nicht stattgefunden.24 Auch die von der Stapo im Oktober angemahnte Beschlagnahmung aller evangelisch-kirchlichen Zeitungen, Zeitschriften, Flugschriften und Broschüren, die gegen die Einsetzung und die Tätigkeit des neuen Reichskirchenausschusses der evangelischen Kirche (..) Stellung nahmen, konnten für Göttingen bis zum 25.4.36 nur mit einer Fehlanzeige beantwortet werden.25 Ebenso führte die Überwachung der evangelischen Kirchen Göttingens am 8. Dezember 1935 wegen einer Kanzelabkündigung zu dem Ergebnis, dass diese nicht verlesen wurde.26

1936

Anfang des Jahres 1936 kam es zur Haussuchung in den Räumen der sog. „Bekenntnisfront“. Hierbei ging es um die Broschüre "Die Staatskirche ist da", von der ein Rest von 7 Exemplaren beim Vorsitzenden des Bruderrates der Göttinger Bekenntnisgemeinschaft, Rechtsanwalt Dr. Paul Ernestie, beschlagnahmt wurde. 93 Exemplare wurden an Mitglieder der Bekenntnisgemeinschaft verteilt, sollten aber wieder abgeliefert werden (63 Exemplare wurden tatsächlich wieder abgegeben).27

Wie transparent die Bekenntnisgemeinschaft für die Polizei war, zeigte neben den Mitschriften aus Versammlungen z.B. auch ein Bericht vom Sommer 1936 auf eine Anfrage der Stapo-Stelle Hildesheim zur Evangelischen Frauenhilfe. In diesem werden Frauenvereine in den Göttinger evangelischen Kirchengemeinden St. Johannis, St. Albani, St. Jacobi und St. Marien genannt. Die Frauenschaft der Johannis- sowie der Jacobigemeinde waren der ev. Frauenhilfe nicht angeschlossen, während die Frauenschaften der Albani- und der Mariengemeinde der ev. Frauenhilfe angehörten. Die Zahl ihrer Mitglieder war für:
1. St. Johannis ca. 100
2. St. Jacobi ca. 28
3. St. Albani ca. 230
4. St. Marien ca. 80

Als Betätigung der Frauenschaften wurden im Bericht angeben: religiöse Zusammenkünfte zur Schulung und Fortbildung auf religiösem Gebiete, die Einrichtung von Bibelkreisen, die Helferschaft für das Pfarramt, die Unterstützung hilfsbedürftiger Gemeindemitglieder sowie die Mithilfe beim Sammeln für die Winterhilfe. Das Verhältnis zur NSD-Frauenschaft wurde allgemein als sehr gut bezeichnet, ein großer Teil der Frauen aus den kirchlichen Gemeindefrauenschaften waren Mitglieder der NS-Frauenschaft.28 Die Notizen der Berichtvorlage geben zudem Namen an und führen Tätigkeiten detaillierter aus. (Polizeibericht Frauenhilfe PDF)

Auf Provokationen durch die Deutschen Christen antwortete die Göttinger Bekenntnisgemeinschaft durchaus auch einmal mit einer Beschwerde bei der Ortspolizei, so z.B. auf eine Werbeplakataktion der Deutschen Glaubensbewegung am 30.4.1936 an sämtlichen Plakatsäulen Göttingens. Die Beschwerde wegen Störung der Volksgemeinschaft in Form der Bekämpfung und Herabwürdigung des Christentums galt dem Vers:

Älter als Kirchen und Klöster ist unser Väter Land.
Fester als Priesters Taufe bindet des Blutes Band.
Unser Reich, ihr Brüder, ist von dieser Welt.
Es gesund zu bauen hat uns Gott bestellt
.29

Versammlungen und Vorträge wurden weiterhin von der Ortspolizei beobachtet. Die Reglementierung der Aktivitäten der Bekenntnisgemeinschaften scheint dabei von der politischen Konjunktur abhängig gewesen zu sein. So sollte die Kanzelabkündigung "Pfingstworte" 1936 zwar erlaubt, die flugblattmäßige Verbreitung und Veröffentlichung in kirchlichen oder Gemeindeblättern aber unterbunden werden. Haussuchungen sollten nicht vorgenommen werden.30 Zum Totensonntag wurden die Verteilung von Schriften und Friedhofssammlungen hingegen verboten.31 Kurz darauf wurde im Dezember 1936 die Grußpflicht für Geistliche vom Reichskirchenausschuss angemahnt: Der Geistliche erweist grundsätzlich auch im Ornat den deutschen Gruß, Ausnahmen galten nur für liturgische Handlungen.32

1937

Am 10. Februar 1937 fand ein Vortragsabend der Göttinger Studentenschaft in der St. Jacobi-Kirche statt. Vor einer vollbesetzten Kirche sprach Martin Niemöller, 4 Monate vor seiner erneuten Verhaftung, zum Thema "Volkskirche, Freikirche, Nationalkirche". Krim.Bez.Sekretär Griethe und sein Beamtenanwärter lieferten einen zehnseitigen Bericht. (Polizeibericht PDF) 33

Der von Reichsminister Kerrl eingesetzte Reichskirchenausschuss trat am 12. Februar 1937 zurück. Von den Neuwahlen erhoffte man sich eine Regelung des Kirchenstreits in der evangelischen Kirche. Die Neuwahl einer Generalsynode wurde durch Führererlass vom 15. Februar festgelegt. Bekenntnisgemeinschaften und Deutsche Christen hielten Versammlungen in Johannis- und Jacobikirche ab34, die zu diesen Gelegenheiten überfüllt waren. Form und Zeitpunkt der Wahlen blieben offen, tatsächlich sollten sie niemals stattfinden. (PDF Nationalkirche – ein Traum!) 35

Ebenso kam es auch weiterhin zu punktuellen Überwachungen von Gottesdiensten. Am 15. August 1937 wurden die Johannis-, Marien- und die Reformierte Kirche durch drei Kriminalbeamte überwacht, um eine Kollekte als Notopfer für die Bekenntniskirche zu verhindern (gesammelt wurde für die Wander-Armenfürsorge).36 Dies wiederholte sich am 18. September mit Überwachung von Albani-, Johannis-, Marien- und Jacobikirche wegen Kollekten für die Innere Mission, außerhalb der Kirchen waren diese Sammlungen verboten. Pastor Köppen in der Marienkirche betonte die Nützlichkeit der Mission und bat, nach besten Kräften dafür zu spenden. In der Albanikirche führte Pastor Mensching als Anhänger der BK eine Sammlung im Gottesdienst für die Innere Mission durch. Vermerkt wurde vom Kriminalbeamten Ippensen ausdrücklich, dass auf den Sammeltellern 5 RM-Stücke und Geldscheine zu finden waren. Zudem betonte er, dass Pastor Mensching in der Fürbitte innerhalb des Schlussgebets zwar die Einigung von Staat und Kirche erbat, der Führer in diese Fürbitte aber nicht mit hineingezogen wurde. In der ebenfalls gut gefüllten Jacobikirche hob Pastor Wolff vom Stefansstift Hannover die Wichtigkeit der Mission hervor. Auch hier wurde in der Kirche gesammelt.37
Kurz darauf berichtete die Polizei, dass am Volkstag der
Inneren Mission von kirchlicher Seite Sammlungen außerhalb der Kirche nicht vorgenommen wären, es aber zu einer Anzeige gegen Superintendent Hittmeyer von der Jacobigemeinde wegen Verstoßes gegen das Sammelverbot gekommen sei. Hittmeyer verbreitete zusammen mit dem Aufruf des Landesbischofs Marahrens einen eigenen Zusatz, der die am Kirchgang Verhinderten dazu aufforderte, eventuelle Spenden Helfern oder Mitgliedern des Kirchenvorstandes zur Ablieferung zu übergeben. Damit verstieß er gegen das Sammelverbot.38

1938

Die Stapo-Außenstelle Göttingen (Prinzenstraße 10-12) teilte am 4. Februar 1938 der Ortspolizei mit, dass die Abhaltung eines Gemeindeabends in einem öffentlichen Lokal aufgrund der Verordnung des Ministerpräsidenten vom 7.12.1934 nicht zu gestatten sei. Pastor Saathoff sei in diesem Sinne Bescheid zu geben. Gegen einen Gemeindeabend in der Kirche oder im Gemeindesaal bestünden keine Bedenken. Der Gemeindeabend fand in der Albanikirche statt.39

Einen Monat später informierte die Stapo-Stelle Hildesheim ihre Außenstelle in Göttingen, dass in der konfessionellen Presse die Veröffentlichung von Konfirmandenlisten verboten wurde, da dies als Propaganda angesehen wurde. Die Herausgabe besonderer Broschüren mit diesen Listen sollte überwacht und die betreffenden Broschüren beschlagnahmt werden.40

Im Sommer wurde die Überwachung der kirchlichen Veranstaltungen am 2.7.1939 befohlen. Befürchtet wurden Protestaktionen, Kanzelabkündigungen oder Fürbitten zum Gedenken Niemöllers, der sich zu der Zeit bereits als „persönlicher Gefangener“ Adolf Hitlers im Konzentrationslager Sachsenhausen befand.41

Nach 1938 werden die polizeilichen Meldungen über die Bekennende Kirche deutlich weniger. Diese hatte nach der Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen vom 18. bis 22. Februar 1936 zwei Flügel ausgebildet. Der gemäßigte Flügel befürwortete eine Zusammenarbeit mit dem Reichskirchenausschuss und dem im September 1935 ernannten neuen Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten Hanns Kerrl. Der radikalere Flügel lehnte diese Zusammenarbeit ab. Eine Denkschrift an Hitler (Evangelischer Widerstand) von Ende Mai 1936, die dezidiert nichtkirchliche Fragen thematisierte, wurde aufgrund einer Indiskretion von Beteiligten in mehreren europäischen Zeitungen veröffentlicht. Dies führte zu Verfolgung und Verhaftung vieler Geistlicher und vertiefte den Unterschied zwischen den beiden Flügeln der BK. Mit dem Jahr 1939 verliert sich die Überlieferung für die Stadt und bricht mit einer Meldung von 1941 ab:

Die Stapo-Stelle Hildesheim wies am 10. März 1941 darauf hin, dass in letzter Zeit sowohl die evangelische als auch die katholische Geistlichkeit dazu übergegangen sei, in verstärktem Maße gegen Staat und Partei zu agitieren und sich in hetzerischer Weise zu betätigen.
Eine verschärfte Überwachung des Verhaltens der Geistlichkeit wurde angeordnet.
42 Meldungen aus Göttingen dazu sind nicht nachweisbar.

Für Göttingen ist festzustellen, dass anscheinend der gemäßigte Flügel der Bekennenden Kirche die deutliche Mehrheit in den Bekenntnisgemeinschaften der Stadt stellte. Veranstaltungen und Personal blieben zwar weiter Gegenstand von Überwachung, die Einschätzung der Ortspolizei vom September 1934 war aber anscheinend richtunggebend: „(...) die Lage des Kirchenstreites (ist) hier auch im allgemeinen als ruhig zu bezeichnen.



Einzelne Beurteilungen für Geistliche

Die Kreisleitung der NSDAP erstellte politische Beurteilungen auch für Geistliche. Als Beispiele seien hier die Beurteilungen von Pastor Kayser in Geismar (PDF) und die von Pastor Merker in Grone (PDF) genannt.



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Quellen und Literatur

Altkreis Göttingen - Kirchliche Angelegenheiten; Kreisarchiv Göttingen, AK Gö 54.

Generalakten betreffend die evangelische Kirche und Kirchenstreit, Bd. 1; StA Göttingen, Pol. Dir., Fach 157, Nr. 1.

Generalakten betreffend die evangelische Kirche und Kirchenstreit, Bd. 2;. StA Göttingen, PolDir, Fach 157, Nr. 1, Bd. 2.

Mlynek, Klaus (1986): Gestapo Hannover meldet--. Polizei- und Regierungsberichte für das mittlere und südliche Niedersachsen zwischen 1933 und 1937. Hildesheim: A. Lax (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen XXXIX, Niedersachsen 1933-1945, Bd. 1).

Otte, Hans (1999): Die Geschichte der Kirchen. III. Die Kirchen Göttingens in der NS-Zeit. In: D. Denecke und R. von Thadden (Hg.): Göttingen: Von der preußischen Mittelstadt zur südniedersächsischen Großstadt 1866-1989: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 624–655.

Politische Vereinigungen, Bd. 1; StA Göttingen, Pol.Dir., Fach 153, Nr. 1, Bd. 1.

Puschner, U.; Vollnhals, C. (2012): Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus: Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte: Vandenhoeck & Ruprecht. Online verfügbar unter https://books.google.de/books?id=KZGFcJtD3W8C.

Ruprecht, Günther (Manuskript, 13.07.1967): Persönliche Erinnerungen an den Kirchenkampf, Göttingen.

Schumann, Wilhelm (1973): Ihr seid den dunklen Weg für uns gegangen … : Skizzen aus dem Widerstand in Hann. Münden 1933 - 1939. Frankfurt/Main: Röderberg-Verl.

Spezialakten betr. Herausgabe der Zeitschrift "Junge Kirche"; StA Göttingen, Pol. Dir., Fach 154, Nr. 15.

Vorgänge im kirchlichen Bereich: Verhaltenskontrolle Kirchen; Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 310 I Nr. 416.



1Generalakten betreffend die evangelische Kirche und Kirchenstreit, Bd. 1, Bl. 1, 25.11.1933 Ersuchen des Preuß. Innenministeriums um Berichterstattung über kirchenpolitische Vorgänge.

2Altkreis Göttingen - Kirchliche Angelegenheiten, Bl. 3, 9.1.1934 - Reg.Präs. Hildesheim an Stapo-Stellen und Landräte - politische Betätigung Geistliche.

3Politische Vereinigungen, Bl. 204v, 15.1.1934 - Ortspolizei an Stapo-Stelle Hannover – Pfarrernotbund.

4Vorgänge im kirchlichen Bereich, Bl. op.pag. 1, 23.1.1934 OG 2 an Kreisleitung - Saathoff und Wiebe.

5Generalakten betreffend die evangelische Kirche und Kirchenstreit, Bd. 1, Bl. 4-4v, 29.1.1934- Preuß. Innenministerium - Ersuchen um Anzeige von kirchenpolitischen Aktivitäten.

6Ebenda, Bd. 1, Bl. 1v, 28.3.1934 – Ippensen, Krim.Ass. - Bericht über Saathoff.

7Otte (1999), S. 634–636.

8Puschner und Vollnhals 2012, S. 170–171. Heinrich Roggenthien, seit 1922 Parteimitglied, seit 1933 in Göttingen, war Obmann der "Volkskirchlichen deutschen Glaubensbewegung" des Gaus Südhannover-Braunschweig. Ab Herbst 1934 war er Verleger des Reichblattes der Glaubensbewegung, der „Deutschen Volkskirche“.

9Generalakten betreffend die evangelische Kirche und Kirchenstreit, Bd. 1, Bl. 17, 26.5.1934 - Ortspolizei an Reg.Präs. Hildesheim - Bericht Kirchenstreit.

10Mlynek 1986, S. 200, 30 / Lagebericht des Hildesheimer Regierungspräsidenten an den Reichsminister des Innern für den Monat Juli 1934 / 8. August 1934 BA: R 18/1559 (Kopie aus dem ZPAB). Abschrift.

11Mlynek 1986, S. 174–175, 27 / Lagebericht der Staatspolizeistelle Hannover an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin für den Monat Juni 1934 / 4. Juli 1934 Nds. HStAH: Hann. 180 Hannover Nr. 798, f. 238-248. Abschrift.

12Generalakten betreffend die evangelische Kirche und Kirchenstreit, Bd. 1, Bl. 35, 21.6.1934 - Bericht über Besprechung Johannisgemeinde und Predigt Marahrens in der Jacobikirche.

13Otte (1999), S. 638 zur Sammlung dieser Vorträge in der Jacobikirche im Landeskirchenarchiv in Hannover.

14Generalakten betreffend die evangelische Kirche und Kirchenstreit, Bd. 1, Bl. 66, 15.8.1934 - Gestapa an Stapo-Stellen – Kanzelerklärung.

15Ebenda, Bl. 28, 15.12.1934 - Funkspruch Reg.Präs. Hildesheim an Ortspolizeibehörden.

16Ebenda, Bl. 87-87v, 17.9.1934 - Ortspolizei an Stapo-Stelle Hannover - Ev. Kirchenstreit (Abschrift an Reg.Präs.).

17Ebenda, Bl. 111–112, 4.12.1934 - Bericht Griethe über die am 3.12.1934 stattgefundene geschlossene Versammlung der ev.-luth. Bekenntnis-Gemeinschaft.

18Spezialakten betr. Herausgabe der Zeitschrift "Junge Kirche", Bl. 7, 6.12.1934 - Ortspolizei an Stapo-Stelle Hildesheim - Beschlagnahme JK.

19Generalakten betreffend die evangelische Kirche und Kirchenstreit, Bd. 1, Bl. 27-27v, 15.12.1934 - Bericht Kirchenstreit.

20Ebenda, Bl. 130, 2.2.1935 - Ortspolizei an Reg.Präs. Hildesheim - Bericht Stellung zum Kirchenregiment Marahrens.

21Ebenda, Bd. 1, Bl. 132, 22.2.1935 - Stapo-Stelle Hannover an Ortspolizeibehörden.

22Ebenda, Bl. 133, 9.3.1935 - Funkspruch aus Hildesheim – Kanzelabkündigung.

23Schumann 1973, S. 49–50, nach März 1935 - Stapo Kassel über Bekennende Kirche.

24Generalakten betreffend die evangelische Kirche und Kirchenstreit, Bd. 1, Bl. 141-141v, 6.4.1935 - Anruf Stapo-Stelle Hannover.

25Ebenda, Bl. 282-282v, 28.10.1935 - Stapo-Stelle Hildesheim an Ortspolizeibehörden - Beschlagnahmung Druckschriften.

26Ebenda, Bl. 297-297v, 7.12.1935 - Funkspruch Stapo-Stelle Hildesheim an Ortspolizei – Kanzelabkündigungen. Die Überwachung durch die Kriminalabteilung wurde durchgeführt von: 1. Johanniskirche: Krim. Ass. Lichtenberg / 2. Jacobikirche: Krim.Ass.a.P. Sommer / 3. Albanikirche: Krim.Sekr. Ippensen / 4. Marienkirche: Krim.Ass.a.P. Reißwitz / 5. Reformierte Kirche: Krim.Ass. Günther / 6. Universitätskirche: Krim.Ass.a.P. Spindler.

27Generalakten betreffend die evangelische Kirche und Kirchenstreit, Bd. 1, Bl. 340, 25.1.1936 – Krim.Abt. Griethe an Stapo-Stelle Hildesheim - Beschlagnahmung Schriften.

28Ebenda, Bl. 350, 2.6.1936 - Krim.Abt. an Stapo-Stelle Hildesheim - Ev. Frauenhilfe.

29Ebenda, Bl. 371, 2.5.1936 - Ortspolizei Griethe an Stapo-Stelle Hildesheim – Werbung.

30Ebenda, Bl. 379, 30.6.1936 - Stapo-Stelle Hildesheim, Anruf.

31Ebenda, Bl. 421, 21.11.1936 - Stapo-Stelle Hildesheim an Ortspolizei - Schriftverteilung und Sammlungen am Totensonntag.

32Ebenda, Bl. 430, 12.1936 - Grußpflicht Geistliche Hitlergruß.

33Ebenda, Bl. 454–464, 11.2.1937 - Krim.Abt. an Stapo-Stelle Hildesheim - Stenogramm-Bericht Vortragsabend.

34Ebenda, Bl. 503, 24.5.1937 - Veranstaltungsankündigung Bekenntnisgemeinschaft.

35Ebenda, Bl. 30v, 23.3.1937 - Bericht Ortspolizei.

36Ebenda, Bl. 532, 15.8.1937 - Bericht Kirchenüberwachung.

37Ebenda, Bl. 533-533v, 18.9.1937 - Stapo-Stelle Hildesheim an Ortspolizei – Überwachung.

38Ebenda, Bl. 543v, 1.10.1937 - Bericht Griethe – Sammlungen.

39Generalakten betreffend die evangelische Kirche und Kirchenstreit, Bd. 2, Bl. 3, 4.2.1938 - Stapo-Außendienststelle Göttingen an Ortspolizei Göttingen, Gemeindeabend.

40Ebenda, Bl. 4, 15.3.1938 - Stapo-Stelle Hildesheim an Stapo-Außendienststellen.

41Ebenda, Bl. 12, 26.6.1939 - Stapo-Stelle Hildesheim an Stapo-Außendienststellen (Göttingen und Goslar) - Kanzelabkündigung Niemöller.

42Ebenda, Bl. 28, 10.3.1941 - - Stapo-Stelle Hildesheim an Stapo-Außendienststellen (Göttingen, Goslar, Salzgitter) - Maßnahmen gegen Geistliche.

Rainer Driever