Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen

  1. "Um die Lage der hiesigen nothleidenden Classe zu verbessern" der Frauenverein zu Göttingen von 1840 bis 1956 / Traudel Weber-Reich. - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1993. - 189 S. - ISBN 3-525-85419-6. - 19,90 EUR

    Erhältlich beim Stadtarchiv oder im Buchhandel

Zum Vergrößern bitte hier klicken
Band vorher

nächster Band


VorbemerkungVII
VorwortIX
Einleitung1
Danksagung1
Erste Frauenvereine im Königreich Hannover2
Forschungsstand3
Quellenlage und methodisches Vorgehen3
Der Frauenverein und die "christliche Liebesthätigkeit"7
"Christliche Liebesthätigkeit" als Antwort auf die Soziale Frage7
Einfluß der Erweckungsbewegung auf den Frauenverein10
Amalie Sieveking und der "würdige Beruf" für Frauen12
Zur sozialen Lage in Göttingen um 184013
"Edle Frauen und Töchter Göttingens" gründen einen Frauenverein17
Die Vereinsgründung17
Der "Zweck" des Frauenvereins19
Die innere Organisation20
Die Rechtslage21
Öffentliche Bekanntmachung21
Die Vereinsmitglieder22
Vorstellungen von Armut und Verarmungsursache und das Konzept der "individuellen Fürsorge"23
Die Planungszeit25
Die Einrichtung der "Arbeitszweige"26
Zusammenfassung27
Die Finanzierung29
Die Rechnungsführer29
Die Vereinsbotin29
Die von Hugoische Schulstiftung und der Erwerb des Hauses Neustadt 1231
Legate und Stiftungen32
Verlosungen33
Professorenvorträge zum Besten des Frauenvereins34
Allgemeine Finanzentwicklung41
Die Finanzkrise im Rechnungsjahr 1844/4537
Erhaltung und Sicherung des Betriebskapitals39
Zusammenfassung41
Die Korporationsrechte und die Beziehung zur Armendeputation43
Gutachten der Armendeputation über den Frauenverein43
Zweites Gesuch beim Ministerium46
Die Verleihung der Korporationsrechte47
Zusammenfassung48
Familien- und Erwachsenenfürsorge51
Die Versorgung Armer und Kranker mit Speise51
Der Speiseverein51
Die Vereinsküche52
Das "Comite zur Ernährung der Armen"52
Die Armenspeisungsanstalt im Vereinshaus53
"Die Einrichtung geht ihren sicheren Gang"54
Die Vorsteherinnen55
Private Helferinnen ziehen sich zurück56
Versorgungsnotstand im Ersten Weltkrieg56
Die "Speisehalle für guten billigen Mittagstisch"57
Die "Volksküche" in der Neustadt 12 ohne Frauenverein58
Die letzten Jahre der Armenspeisung durch den Frauenverein58
Die Familienpflege61
Ermittlung von Informationen61
Das "rechte Maß in der Beaufsichtigung"62
Die Krankenpflege64
Familienfürsorge anhand ausgewählter Pflegeprotokolle65
Zur Vorgehensweise66
Die Pflegefamilien66
Aus den Erstkontaktberichten68
Basisversorgung70
Arbeit71
Krankheit - Wohnung - Hygiene75
Unterstützungsgesuche80
Die Vorsteherinnen81
Die Umstrukturierung der Armenpflege nach 185083
"Reiche und Arme müssen untereinander sein"83
Diakonissen kommen nach Göttingen84
Die Vereins-Armenpflege als Maßstab für die öffentliche Armenpflege85
Der Krankenbesuchsdienst85
Zusammenfassung86
Die Spinnerei89
Zur Garn- und Leinenproduktion im südniedersächsischen Raum89
Die Vereinsspinnerei in der ersten Jahrhunderthälfte89
Das "Local" der Spinnerei93
Die Blütezeit der Spinnerei93
Der unaufhaltsame Rückgang94
Die Weiterverarbeitung des Garns95
Das Auskochen95
Die Leineweber95
Die Vorsteherinnen und Gehilfinnen96
Zusammenfassung97
Die Strickerei99
Kleiner Betrieb mit geringem Lohn99
Die Kinderstrickerei100
Zusammenfassung101
Die Weißnäherei103
Die Weißnäherei für "feinere und gröbere Gegenstände"103
Handarbeit ist nicht mehr gefragt104
Vorsteherinnen und Gehilfinnen der Strickerei und Näherei105
Zusammenfassung105
Kinder- und Mädchenfürsorge107
Die von Hugoische Vereinsschule107
Zur Vorgeschichte der Arbeits- und Industrieschulen107
Die Arbeitsschule für arme Mädchen wird eingerichtet107
Das Schulkollegium109
Innere Gliederung und pädagogische Leitlinien110
"Jetzt kommen die Kinder im Allgemeinen gern und regelmäßig"112
Die Verflechtung mit den Elementarschulen114
Die Eingliederung in das öffentliche Schulsystem115
Zum Problem Arbeitspädagogik und Fortschritt117
Das Regulativ von 1863 und die Nachtragsbestimmungen119
Obligatorischer Handarbeitsunterricht120
Freiwilliger Handarbeitsunterricht bis 1905121
Zusammenfassung122
Die Dienstbotenschule125
Dienstbotin - ein ganz normaler Frauenberuf?125
Dienstbotenschule für arme konfirmierte Mädchen126
Die Ausbildung zur Dienstbotin126
Die Ausbildungskosten129
Bessere Berufs- und Verdienstchancen?129
Erziehung der "verwahrlosten Geschöpfe"130
Die Hausverwalterin131
Die besten Jahre der Dienstbotenschule131
Die Dienstbotenschule in der Krise132
Der Lohn für Dienste der Schülerinnen134
"Sie wollen überhaupt nicht mehr gern in Dienst treten"135
Die Antwort auf die Dienstbotenfrage136
Zusammenfassung137
Die Kleinkinderbewahranstalt139
Die Bewahranstalt in der ersten Kindergarten-Generation139
Die erste Göttinger Bewahranstalt in der Neustadt 12139
Äußere Organisation140
Erste pädagogische Leitvorstellungen141
Pädagogische Methode142
Die Aufnahmeentwicklung bis zur Übergabe an den Deutsch-Evangelischen Frauenbund145
Gesundheitsvorsorge - Hygiene - Räumlichkeiten148
Gesundheitsvorsorge bei Bewahrschulkindem148
Hygiene in den Bewahrschulräumen und auf dem Spielplatz149
Bewahrschul-Vorsteherinnen und Kleinkinderlehrerinnen153
Erste vorgebildete Kleinkinderlehrerinnen153
Konflikt mit einer Diakonisse155
"Freie" Kleinkinderlehrerinnen157
Arbeitsvertragliche Regelungen157
Erwartungen an die Kleinkinderlehrerin158
Zusammenfassung159
Schlußbetrachtung161
Ein "uns gewordener Beruf" (1843)162
Die Forderung öffentlicher Rechte (1846 - 1850)163
Die Ehefrauen der Demokraten (1848/49)163
Absage an den Vaterländischen Frauenverein (1876/77)164
Wahlrechtsforderung an die hannoversche Landessynode (1905)164
Anschluß an den Stadtbund Göttinger Frauenvereine (1926/27)165
Versuch der Gleichschaltung (ab 1933)167
Mitarbeit bei der "Göttinger Nothilfe"? (1945)167
Abkürzungsverzeichnis169
Personenregister171
Quellenverzeichnis175
Literaturverzeichnis177



Vorbemerkung
Die Darstellung des "Frauenvereins zu Göttingen von 1840 bis 1956" ist die zweite Magisterarbeit, die in den "Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen" erscheint. Die Schriftleitung ist dem Wunsch der Autorin und ihrer Betreuer um Aufnahme in diese Reihe gern nachgekommen, da es sich hier um die Erschließung eines Archivbestandes handelt, der vor noch nicht sehr langer Zeit als Depositum mit Ergänzungen von Archivalien kirchlicher und privater Provenienz in städtischen Besitz gelangt ist. Die Materialfülle und die lebendige Sprache der Quellen ließ die Autorin den Weg wählen, neben interpretierenden und wertenden Ausführungen die Menschen in Briefen, Berichten und Protokollen selbst sprechen zu lassen. Der Frauenverein hat sich mit seiner weitverzweigten Tätigkeit sehr bald einen wichtigen Platz in der vielseitigen Göttinger Armen-Verwaltung und in dem noch recht dürftigen städtischen Bildungs- und Ausbildungsangebot geschaffen. Über einen so langen Zeitraum hinweg in überwiegend ehrenamtlicher Tätigkeit Menschen in allen Altersgruppen zu helfen und dabei den Widerstand und die Skepsis der etablierten, männlich geleiteten Institutionen in Kauf zu nehmen, fordert Respekt vor diesen Frauen und fördert die Neugier, mehr von ihnen selbst und ihrer von viel Phantasie und Einsatzbereitschaft getragenen Arbeit zu erfahren. Es war nicht allein das Bedürfnis "die Lage der hiesigen nothleidenden Classe zu verbessern", sondern auch der Wunsch nach Selbstbestätigung, der diese Frauen im 19. Jahrhundert zu ihren Aktivitäten motivierte.

So ist dieser Band der Studien ein wichtiger Beitrag zur Göttinger Frauengeschichte, die sich noch besser verstehen und interpretieren ließe, wenn in ebenso gründlicher Weise die Quellen der "Armen-Deputation" und der zahlreichen "Wohlfahrts-Institutionen" der Stadt im gleichen Zeitraum untersucht und vorgestellt würden.

Helga-Maria Kühn




Vorwort
Im Zeitalter staatlicher Wohlfahrtspflege erscheint private Wohltätigkeit als ein Relikt vergangener Zeiten; dennoch ist es gerade der akute Pflegenotstand in der modernen Gesellschaft, der deutlich macht, welche wichtige soziale Bedeutung der Pflegetätigkeit von Frauen zukam und noch heute zukommt. 1840, als der in diesem Buch vorgestellte "Göttinger Frauenverein" gegründet wurde, war bürgerliche Wohltätigkeit nicht nur christlich caritativ motiviert, sondern besaß auch eine explizit politische Funktion. Mit der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung unterstrich das Bürgertum seinen politischen Anspruch auf Partizipation in der Verwaltung von Gemeinde und Staat. Dies gilt auch für die Frauen, die in den Wohltätigkeitsvereinen oft die praktische Arbeit erledigten oder wie die Göttingerinnen gar eigene Frauenvereine gründeten. Damit übten die Frauen im Verein eine fürsorgende und pflegende Tätigkeit aus, die in gleicher Weise auf uneigennützige Liebe gegründet war wie ihre Arbeit in der Familie als Ehefrauen und Mütter. Wohltätigkeit erscheint so als ein spezifisches Handlungsfeld von Frauen, die damit eine Art "sozialer Mutterschaft" für die Gesellschaft übernahmen. Dieser Ausdruck ist insofern auch treffend, als mit der Wohltätigkeit zugleich ein Erziehungsziel verbunden war; verarmte Menschen wurden zu Arbeit, Fleiß und Sparsamkeit angehalten und in ihrer Haushaltsführung überwacht. Wenn bürgerliche Frauen die Kinder armer Unterschichtsfamilien im Spinnen oder Stricken anstellten oder bei ihren Familienbesuchen die häusliche Reinlichkeit kontrollierten, diente dies der Vermittlung bürgerlicher Werte und Normen. So gesehen spielten Frauen eine wichtige Rolle beim inneren Aufbau der bürgerlichen Gesellschaft, ganz abgesehen von realen Hilfeleistungen, die sie durch Speiseküchen oder in der Krankenpflege erbrachten.

Für die im Wohltätigkeitsverein engagierten Frauen, die in Göttingen oft aus dem Kreis der Professorenfamilien kamen, war möglicherweise genauso wichtig, daß sie mit solchen Aktivitäten die enge Häuslichkeit und ihr soziales Umfeld verlassen und eine für die Stadt wichtige und öffentlich anerkannte Tätigkeit ausüben konnten. Die Mitarbeit im Verein bot die Gelegenheit, organisatorische und pädagogische Fähigkeiten auszubilden und entsprechende Erfahrungen zu sammeln. Außerdem stellte der Verein einen dichten und regelmäßigen Kontakt unter den Frauen her. Schließlich darf nicht vergessen werde, daß Frauen im 19. Jahrhundert kein politisches Wahlrecht besaßen und nach der Revolution 1848/49 auch von jeglichen anderen politischen Betätigungen ausgeschlossen waren. Umso wichtiger waren deshalb jene Zusammenschlüsse, in denen Frauen fürsorgliche Funktionen übernahmen. Damit entstanden Frauennetzwerke, die - wie das Göttinger Beispiel zeigt - über mehrere Generationen Bestand hatten. Mit ihrer Untersuchung des Göttinger Frauenvereins hat Traudel Weber-Reich nicht nur einen interessanten Quellenbestand der Stadtgeschichte erschlossen, sondern auch einen wichtigen Grundstein für die Erforschung der Geschichte bürgerlicher Frauen im 19. Jahrhundert und 20. Jahrhundert gelegt. Als Frauengeschichtsforscherin und Kulturwissenschaftlerin wünsche ich diesem Buch, das aus einer Magisterarbeit an der Universität hervorgegangen ist, viele Leserinnen und Leser.

Carola Lipp


Impressum